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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Zahl der Schüler und der Klassen ist oft über das Doppelte und das Drei¬
fache des frühem Standes gestiegen, die großstädtischen Gymnasien sind alle Doppel¬
anstalten mit 30 bis 40 Lehrern und 500, 600, 700 Schülern <in Preußen oben¬
drein mit Vorklassen), in oft überfüllten Klassen. Dementsprechend sind die Korrektnr-
lasten und die Anstrengung, die der Lehrer in der Stunde selbst aufwenden muß,
sowie die Verwaltungsarbeiteu des Rektors, für deren Vermehrung gelegentlich mich
noch die Behörden durch neue Ansprüche freundlich sorgen, gewachsen, und die Muße
zu wissenschaftlicher Beschäftigung oder gar zu litterarischer Produktion verkürzt oder
ganz zerstört, zumal da die sogenannte normal- oder Pflichtstundcnzahl unbegreif-
licherweise nicht etwa herabgesetzt, sondern erhöht worden ist, zum Teil unter wohl¬
wollender Mitwirkung eines Landtags. Erschwerend wirken "och die ungeheure Ver¬
mehrung des gelehrten Apparats, den heute fast jede wissenschaftliche Arbeit fordert,
und den nur noch große Bibliotheken bieten, wie sie in Mittel- und Kleinstädter gar
nicht zur Hand sind, das Sinken der Altertumswissenschaft in der allgemeinen
Schätzung und sogar in ihrer Bedeutung für die Schule, die nicht mehr die alte
Gelehrtenschule ist, die ganz überwiegende Rücksicht auf das administrative Geschick
der Direktoren und die pädagogische Tüchtigkeit der Lehrer bei der Anstellung, und
die daraus folgende Hochschätzung einerseits einer möglichst vielseitigen Verwendbar¬
keit, die es dem .Kandidaten nahe legt, sich neben den beiden ,,Hauptfakultäten"
auch noch ohne jedes innere Interesse einige "Nebcnfakultäten" in oft weit von¬
einander abliegenden Fächern, etwa in Religion, Französisch und Turnen, zu
erwerben, andrerseits die Einführung des ,,Seminarjahrs" in Preußen neben dem
längst bestehenden Probejahr, die ans einer von den Volksschullehrersennnaricn
eingeschleppten Überschätzung des Werth der "Methode" für die hohern Unterrichts-
stufeu beruht und den jungen Lehrer in den besten frischesten Jahren zu einer
halben, also unbefriedigender Thätigkeit verurteilt. Aber auch die Universitäten tragen
einen Teil der Schuld an dieser Verschlechterung und zwar durch zweierlei. Unter
vier Jahren Studium kommt heute ein Philolog schwerlich zur Staatsprüfung, die
ihn wieder ein Halbjahr kostet; hat er etwa, wie das heute meist geschieht, die
Doktorarbeit noch vorher zu beenden und von dem Professor el" zu schwieriges
Thema bekommen, worin ziemlich oft ganz unverantwortlich gesündigt zu werden
scheint, so nimmt dieses seiue beste Zeit semesterlang in Anspruch, hindert seine
allgemeine wissenschaftliche Ausbildung zu Gunsten eines vielleicht ziemlich unfrucht¬
baren Spezialstudiums und schiebt den Termin der Staatsprüfung, also weitaus
der Hauptsache, zuweilen unverhältnismäßig hinaus. Da nnn bei den meisten
vor oder nach der Studienzeit noch das Militärjahr liegt, so kommt ein junger
Mann, der im günstigen Falle etwa rin 19 Jahren die Schule verlassen hat, im
besten Falle mit 24 bis 25 Jahren zur Staatsprüfung -- und in Preußen rin
26 oder 27 Jahren, wenn das Glück gut ist, zu eiuer Hilfslehrerstelle; dann wird
er zunächst natürlich in den untersten Klassen beschäftigt, kann von dem, was er
auf der Universität gelernt und getrieben hat, gar nichts brauchen, muß vielmehr
vieles lernen, was er dort nicht gelernt oder wieder vergessen hat, findet zu wissen¬
schaftlichen Arbeiten kaum Zeit, in kleinen Städten auch kaum Gelegenheit, dagegen
den Früh- und Abendschoppen angenehm und -- versimpelt, wird zum Lehrhnnd-
werker. Energischere, strebsamere Naturen unterliegen natürlich dieser Gefahr nicht,
aber sie besteht für recht viele, und die Schuld daran trifft zum Teil die unnatürlich
verlängerte Studienzeit, also die Universitäten, die zwar die reine Wissenschaft
lehren, aber dabei den künftigen Beruf ihrer Studenten nicht vergessen sollen. Die
zweite von Paulsen betonte Gewohnheit ist die heute thatsächlich bestehende zuuft-
mcißige Abschließung der Universitäten. Wie in den alten Zünften der Lehrling
zum Gesellen, der Gesell zum Meister aufstieg, so heute der junge Akademiker vom
Pnvatdozenten zum außerordentlichen Professor und zum Ordinarius. Nur durch
dieses Fegefeuer geht er zum Paradiese ein. Außer dieser Ordnung an eine


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Zahl der Schüler und der Klassen ist oft über das Doppelte und das Drei¬
fache des frühem Standes gestiegen, die großstädtischen Gymnasien sind alle Doppel¬
anstalten mit 30 bis 40 Lehrern und 500, 600, 700 Schülern <in Preußen oben¬
drein mit Vorklassen), in oft überfüllten Klassen. Dementsprechend sind die Korrektnr-
lasten und die Anstrengung, die der Lehrer in der Stunde selbst aufwenden muß,
sowie die Verwaltungsarbeiteu des Rektors, für deren Vermehrung gelegentlich mich
noch die Behörden durch neue Ansprüche freundlich sorgen, gewachsen, und die Muße
zu wissenschaftlicher Beschäftigung oder gar zu litterarischer Produktion verkürzt oder
ganz zerstört, zumal da die sogenannte normal- oder Pflichtstundcnzahl unbegreif-
licherweise nicht etwa herabgesetzt, sondern erhöht worden ist, zum Teil unter wohl¬
wollender Mitwirkung eines Landtags. Erschwerend wirken «och die ungeheure Ver¬
mehrung des gelehrten Apparats, den heute fast jede wissenschaftliche Arbeit fordert,
und den nur noch große Bibliotheken bieten, wie sie in Mittel- und Kleinstädter gar
nicht zur Hand sind, das Sinken der Altertumswissenschaft in der allgemeinen
Schätzung und sogar in ihrer Bedeutung für die Schule, die nicht mehr die alte
Gelehrtenschule ist, die ganz überwiegende Rücksicht auf das administrative Geschick
der Direktoren und die pädagogische Tüchtigkeit der Lehrer bei der Anstellung, und
die daraus folgende Hochschätzung einerseits einer möglichst vielseitigen Verwendbar¬
keit, die es dem .Kandidaten nahe legt, sich neben den beiden ,,Hauptfakultäten"
auch noch ohne jedes innere Interesse einige „Nebcnfakultäten" in oft weit von¬
einander abliegenden Fächern, etwa in Religion, Französisch und Turnen, zu
erwerben, andrerseits die Einführung des ,,Seminarjahrs" in Preußen neben dem
längst bestehenden Probejahr, die ans einer von den Volksschullehrersennnaricn
eingeschleppten Überschätzung des Werth der „Methode" für die hohern Unterrichts-
stufeu beruht und den jungen Lehrer in den besten frischesten Jahren zu einer
halben, also unbefriedigender Thätigkeit verurteilt. Aber auch die Universitäten tragen
einen Teil der Schuld an dieser Verschlechterung und zwar durch zweierlei. Unter
vier Jahren Studium kommt heute ein Philolog schwerlich zur Staatsprüfung, die
ihn wieder ein Halbjahr kostet; hat er etwa, wie das heute meist geschieht, die
Doktorarbeit noch vorher zu beenden und von dem Professor el» zu schwieriges
Thema bekommen, worin ziemlich oft ganz unverantwortlich gesündigt zu werden
scheint, so nimmt dieses seiue beste Zeit semesterlang in Anspruch, hindert seine
allgemeine wissenschaftliche Ausbildung zu Gunsten eines vielleicht ziemlich unfrucht¬
baren Spezialstudiums und schiebt den Termin der Staatsprüfung, also weitaus
der Hauptsache, zuweilen unverhältnismäßig hinaus. Da nnn bei den meisten
vor oder nach der Studienzeit noch das Militärjahr liegt, so kommt ein junger
Mann, der im günstigen Falle etwa rin 19 Jahren die Schule verlassen hat, im
besten Falle mit 24 bis 25 Jahren zur Staatsprüfung — und in Preußen rin
26 oder 27 Jahren, wenn das Glück gut ist, zu eiuer Hilfslehrerstelle; dann wird
er zunächst natürlich in den untersten Klassen beschäftigt, kann von dem, was er
auf der Universität gelernt und getrieben hat, gar nichts brauchen, muß vielmehr
vieles lernen, was er dort nicht gelernt oder wieder vergessen hat, findet zu wissen¬
schaftlichen Arbeiten kaum Zeit, in kleinen Städten auch kaum Gelegenheit, dagegen
den Früh- und Abendschoppen angenehm und — versimpelt, wird zum Lehrhnnd-
werker. Energischere, strebsamere Naturen unterliegen natürlich dieser Gefahr nicht,
aber sie besteht für recht viele, und die Schuld daran trifft zum Teil die unnatürlich
verlängerte Studienzeit, also die Universitäten, die zwar die reine Wissenschaft
lehren, aber dabei den künftigen Beruf ihrer Studenten nicht vergessen sollen. Die
zweite von Paulsen betonte Gewohnheit ist die heute thatsächlich bestehende zuuft-
mcißige Abschließung der Universitäten. Wie in den alten Zünften der Lehrling
zum Gesellen, der Gesell zum Meister aufstieg, so heute der junge Akademiker vom
Pnvatdozenten zum außerordentlichen Professor und zum Ordinarius. Nur durch
dieses Fegefeuer geht er zum Paradiese ein. Außer dieser Ordnung an eine


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[0688] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Zahl der Schüler und der Klassen ist oft über das Doppelte und das Drei¬ fache des frühem Standes gestiegen, die großstädtischen Gymnasien sind alle Doppel¬ anstalten mit 30 bis 40 Lehrern und 500, 600, 700 Schülern <in Preußen oben¬ drein mit Vorklassen), in oft überfüllten Klassen. Dementsprechend sind die Korrektnr- lasten und die Anstrengung, die der Lehrer in der Stunde selbst aufwenden muß, sowie die Verwaltungsarbeiteu des Rektors, für deren Vermehrung gelegentlich mich noch die Behörden durch neue Ansprüche freundlich sorgen, gewachsen, und die Muße zu wissenschaftlicher Beschäftigung oder gar zu litterarischer Produktion verkürzt oder ganz zerstört, zumal da die sogenannte normal- oder Pflichtstundcnzahl unbegreif- licherweise nicht etwa herabgesetzt, sondern erhöht worden ist, zum Teil unter wohl¬ wollender Mitwirkung eines Landtags. Erschwerend wirken «och die ungeheure Ver¬ mehrung des gelehrten Apparats, den heute fast jede wissenschaftliche Arbeit fordert, und den nur noch große Bibliotheken bieten, wie sie in Mittel- und Kleinstädter gar nicht zur Hand sind, das Sinken der Altertumswissenschaft in der allgemeinen Schätzung und sogar in ihrer Bedeutung für die Schule, die nicht mehr die alte Gelehrtenschule ist, die ganz überwiegende Rücksicht auf das administrative Geschick der Direktoren und die pädagogische Tüchtigkeit der Lehrer bei der Anstellung, und die daraus folgende Hochschätzung einerseits einer möglichst vielseitigen Verwendbar¬ keit, die es dem .Kandidaten nahe legt, sich neben den beiden ,,Hauptfakultäten" auch noch ohne jedes innere Interesse einige „Nebcnfakultäten" in oft weit von¬ einander abliegenden Fächern, etwa in Religion, Französisch und Turnen, zu erwerben, andrerseits die Einführung des ,,Seminarjahrs" in Preußen neben dem längst bestehenden Probejahr, die ans einer von den Volksschullehrersennnaricn eingeschleppten Überschätzung des Werth der „Methode" für die hohern Unterrichts- stufeu beruht und den jungen Lehrer in den besten frischesten Jahren zu einer halben, also unbefriedigender Thätigkeit verurteilt. Aber auch die Universitäten tragen einen Teil der Schuld an dieser Verschlechterung und zwar durch zweierlei. Unter vier Jahren Studium kommt heute ein Philolog schwerlich zur Staatsprüfung, die ihn wieder ein Halbjahr kostet; hat er etwa, wie das heute meist geschieht, die Doktorarbeit noch vorher zu beenden und von dem Professor el» zu schwieriges Thema bekommen, worin ziemlich oft ganz unverantwortlich gesündigt zu werden scheint, so nimmt dieses seiue beste Zeit semesterlang in Anspruch, hindert seine allgemeine wissenschaftliche Ausbildung zu Gunsten eines vielleicht ziemlich unfrucht¬ baren Spezialstudiums und schiebt den Termin der Staatsprüfung, also weitaus der Hauptsache, zuweilen unverhältnismäßig hinaus. Da nnn bei den meisten vor oder nach der Studienzeit noch das Militärjahr liegt, so kommt ein junger Mann, der im günstigen Falle etwa rin 19 Jahren die Schule verlassen hat, im besten Falle mit 24 bis 25 Jahren zur Staatsprüfung — und in Preußen rin 26 oder 27 Jahren, wenn das Glück gut ist, zu eiuer Hilfslehrerstelle; dann wird er zunächst natürlich in den untersten Klassen beschäftigt, kann von dem, was er auf der Universität gelernt und getrieben hat, gar nichts brauchen, muß vielmehr vieles lernen, was er dort nicht gelernt oder wieder vergessen hat, findet zu wissen¬ schaftlichen Arbeiten kaum Zeit, in kleinen Städten auch kaum Gelegenheit, dagegen den Früh- und Abendschoppen angenehm und — versimpelt, wird zum Lehrhnnd- werker. Energischere, strebsamere Naturen unterliegen natürlich dieser Gefahr nicht, aber sie besteht für recht viele, und die Schuld daran trifft zum Teil die unnatürlich verlängerte Studienzeit, also die Universitäten, die zwar die reine Wissenschaft lehren, aber dabei den künftigen Beruf ihrer Studenten nicht vergessen sollen. Die zweite von Paulsen betonte Gewohnheit ist die heute thatsächlich bestehende zuuft- mcißige Abschließung der Universitäten. Wie in den alten Zünften der Lehrling zum Gesellen, der Gesell zum Meister aufstieg, so heute der junge Akademiker vom Pnvatdozenten zum außerordentlichen Professor und zum Ordinarius. Nur durch dieses Fegefeuer geht er zum Paradiese ein. Außer dieser Ordnung an eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/688>, abgerufen am 01.09.2024.