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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Über die Germania des ^.annus

aus einem benachbarten Kloster entliehn hatte. Eine weitere Handschrift der
Germania war im Mittelalter in der Bibliothek des hochberühmten Klosters
Cvrveh vorhanden, und man kann annehmen, daß sie eine Abschrift der Fuldenser
gewesen ist. Sie ist aber mit den andern Schätzen des Klosters, die zum un¬
ersetzlichen Schaden für die Wissenschaft durch die Ungunst der Zeiten in alle
vier Winde zerstreut oder vernichtet worden sind, verloren gegangen. Eine
Abschrift davon ist aber schon im fünfzehnten Jahrhundert nach Italien gelangt,
woraus alle die Handschriften stammen, in denen der Text der Germania vor¬
liegt. Wie diese Verpflanzung zustande kam, ist merkwürdig genug und soll
deshalb in Kürze mitgeteilt werden. Seit dein Anfang des fünfzehnten Jahr
Hunderts, als die Wellen des Humanismus in Italien zu finden begannen,
hatte ^mein dortzulande angefangen, auf Handschriften römischer Autoren
Jagd zu machen. Der berühmte Humanist Francesco Poggio unternahm im
Jahre 1414 mit Unterstützung und im Auftrage des Florentiner Nobile Nicolaus
de Nicolis eine förmliche Forschungsreise durch Deutschland und brachte auch
mehrere bis dahin in Italien unbekannte Schriften, darunter höchst wertvolle,
nach Italien zurück. Bald nahmen sich auch die Päpste der Sache an. Von
Nikolaus V. (1447 bis 1455) wurde ein gewisser Enoch von Ascoli nach
Frankreich und Deutschland gesandt, Handschriften zu sammeln und nach Italien
zu bringen. Dem Deutschmeister Ludwig von Erlichshusen wies er ein
Schreiben des Papstes vor, worin es hieß, Seine Heiligkeit wünsche, daß ein
Buch weggeschafft würde (surrixmwr), damit eine Abschrift davon genommen
werde. Das fragliche Buch ist aus Gründen, deren Erörterung hier zu weit
führen würde, sicherlich die Germania, nach der schon Poggio vergeblich ge¬
forscht hatte, und die Bücherei, der sie angehörte, sicherlich keine andre, als die
des Klosters Corvey. Daß es dein Abgesandten gelungen ist, seinen Auftrag
auszuführen, ist schon bemerkt worden, und unmöglich ist es nicht, daß er noch
weiter gegangen ist, als sein Auftrag lautete, und die Handschrift selbst ent¬
führt hat. Im Jahre 1470 erschien die Germania zum erstenmal in Venedig
im Druck, zusammen mit einigen andern Taeiteischen Schriften, dann gesondert
1473 in Nürnberg.

Ähnlich wie der Germania ist es auch einer Handschrift der Taeiteischen
Annalen ergangen, die zu den Schützen des Klosters Corvey gehörte. Sie
wurde im Jahre 1508 gestohlen und nach Italien gebracht. Papst Leo X.
soll dem Überbringer 500 Dukaten dafür gezahlt habe". Wahr oder nicht,
jedenfalls hat Leo aus den: Diebstahl kein Hehl gemacht; es existiert noch
jetzt ein Schreiben von ihm an den Erzbischof Albrecht von Mainz, worin
erwähnt wird, daß die ersten fünf Bücher der Kaisergeschichte des Taeitus
durch Diebstahl entwandt und durch viele Hände gegangen wären, bis sie zu¬
letzt in die seinigen gelangt seien. Leo hat die Unterschlagung, deren er sich
schuldig wußte, später in eigner Weise wett gemacht: er hat dem deutscheu
Kloster ein schön gebundnes Exemplar der eben erst (1515) im Druck er¬
schienenen Handschrift gesandt und ihm zugleich einen ewigen Ablaß gewährt
das ist dieselbe humorvolle Deferenz, die ein andrer Leo, nämlich Leo XI11-,


Über die Germania des ^.annus

aus einem benachbarten Kloster entliehn hatte. Eine weitere Handschrift der
Germania war im Mittelalter in der Bibliothek des hochberühmten Klosters
Cvrveh vorhanden, und man kann annehmen, daß sie eine Abschrift der Fuldenser
gewesen ist. Sie ist aber mit den andern Schätzen des Klosters, die zum un¬
ersetzlichen Schaden für die Wissenschaft durch die Ungunst der Zeiten in alle
vier Winde zerstreut oder vernichtet worden sind, verloren gegangen. Eine
Abschrift davon ist aber schon im fünfzehnten Jahrhundert nach Italien gelangt,
woraus alle die Handschriften stammen, in denen der Text der Germania vor¬
liegt. Wie diese Verpflanzung zustande kam, ist merkwürdig genug und soll
deshalb in Kürze mitgeteilt werden. Seit dein Anfang des fünfzehnten Jahr
Hunderts, als die Wellen des Humanismus in Italien zu finden begannen,
hatte ^mein dortzulande angefangen, auf Handschriften römischer Autoren
Jagd zu machen. Der berühmte Humanist Francesco Poggio unternahm im
Jahre 1414 mit Unterstützung und im Auftrage des Florentiner Nobile Nicolaus
de Nicolis eine förmliche Forschungsreise durch Deutschland und brachte auch
mehrere bis dahin in Italien unbekannte Schriften, darunter höchst wertvolle,
nach Italien zurück. Bald nahmen sich auch die Päpste der Sache an. Von
Nikolaus V. (1447 bis 1455) wurde ein gewisser Enoch von Ascoli nach
Frankreich und Deutschland gesandt, Handschriften zu sammeln und nach Italien
zu bringen. Dem Deutschmeister Ludwig von Erlichshusen wies er ein
Schreiben des Papstes vor, worin es hieß, Seine Heiligkeit wünsche, daß ein
Buch weggeschafft würde (surrixmwr), damit eine Abschrift davon genommen
werde. Das fragliche Buch ist aus Gründen, deren Erörterung hier zu weit
führen würde, sicherlich die Germania, nach der schon Poggio vergeblich ge¬
forscht hatte, und die Bücherei, der sie angehörte, sicherlich keine andre, als die
des Klosters Corvey. Daß es dein Abgesandten gelungen ist, seinen Auftrag
auszuführen, ist schon bemerkt worden, und unmöglich ist es nicht, daß er noch
weiter gegangen ist, als sein Auftrag lautete, und die Handschrift selbst ent¬
führt hat. Im Jahre 1470 erschien die Germania zum erstenmal in Venedig
im Druck, zusammen mit einigen andern Taeiteischen Schriften, dann gesondert
1473 in Nürnberg.

Ähnlich wie der Germania ist es auch einer Handschrift der Taeiteischen
Annalen ergangen, die zu den Schützen des Klosters Corvey gehörte. Sie
wurde im Jahre 1508 gestohlen und nach Italien gebracht. Papst Leo X.
soll dem Überbringer 500 Dukaten dafür gezahlt habe». Wahr oder nicht,
jedenfalls hat Leo aus den: Diebstahl kein Hehl gemacht; es existiert noch
jetzt ein Schreiben von ihm an den Erzbischof Albrecht von Mainz, worin
erwähnt wird, daß die ersten fünf Bücher der Kaisergeschichte des Taeitus
durch Diebstahl entwandt und durch viele Hände gegangen wären, bis sie zu¬
letzt in die seinigen gelangt seien. Leo hat die Unterschlagung, deren er sich
schuldig wußte, später in eigner Weise wett gemacht: er hat dem deutscheu
Kloster ein schön gebundnes Exemplar der eben erst (1515) im Druck er¬
schienenen Handschrift gesandt und ihm zugleich einen ewigen Ablaß gewährt
das ist dieselbe humorvolle Deferenz, die ein andrer Leo, nämlich Leo XI11-,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/652>, abgerufen am 28.07.2024.