Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Weihnachten vor Paris Wesen wäre, hätte er so etwas nie gesagt, denn wenn die Temperatur normal war, Nun also Eugens Brief, deu Vater in der Aufregung mitsamt dem Couvert Den 3. Dezember 1870 Geehrter Herr Hahn! Karl würde Ihnen selber geschrieben haben, aber ich weiß nicht, wo er ist. Wenn Vater Paris dagehabt hätte, hätte ers nach seinem Sohne durchgesiebt. Weihnachten vor Paris Wesen wäre, hätte er so etwas nie gesagt, denn wenn die Temperatur normal war, Nun also Eugens Brief, deu Vater in der Aufregung mitsamt dem Couvert Den 3. Dezember 1870 Geehrter Herr Hahn! Karl würde Ihnen selber geschrieben haben, aber ich weiß nicht, wo er ist. Wenn Vater Paris dagehabt hätte, hätte ers nach seinem Sohne durchgesiebt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0623" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236445"/> <fw type="header" place="top"> Weihnachten vor Paris</fw><lb/> <p xml:id="ID_2363" prev="#ID_2362"> Wesen wäre, hätte er so etwas nie gesagt, denn wenn die Temperatur normal war,<lb/> machte er an ihn gerichtete Briefe prinzipiell selbst auf und hatte an dem, was<lb/> seine Fran that, nie etwas auszusetzen, Unter ähnlichen Umständen hatte Karl<lb/> drei- oder viermal Prügel bekommen, wenn er sein kostbares Leben in Gefahr<lb/> gebracht hatte. In der Wurre hatte Vater etwas thun müssen, um nicht ans<lb/> Stücke zu gehn, und da hatte er den Jungen geprügelt, was ja auch in zwiefacher<lb/> Hinsicht sein Gutes gehabt hatte. Einmal, weil es Karln eine Lehre sein konnte,<lb/> in Zukunft mehr auf seiner Hut zu sein, und denn, weil dieser, der, was verdiente<lb/> Prügel anlangte, im ganzen und großen nicht das ihm gebührende Teil gehabt<lb/> hatte, dafür auf diese Weise durch unverdiente Prügel wenigstens einigermaßen ent¬<lb/> schädigt worden war.</p><lb/> <p xml:id="ID_2364"> Nun also Eugens Brief, deu Vater in der Aufregung mitsamt dem Couvert<lb/> i» zwei ungleiche Hälften zerrissen hatte, und der infolgedessen, wie dies anch in<lb/> neuerer Zeit mit gewissen aus tiefster Erniedrigung wieder hervorgeholter und leider<lb/> zu berühmt gewordnen vrozessualischen Beweisunterlagen der Fall gewesen ist, erst<lb/> mühselig wieder hatte zusammengesetzt werden müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2365"> Den 3. Dezember 1870<lb/> (Es ist uns »erboten, zu sagen, von wo wir schreiben.)</p><lb/> <note type="salute"> Geehrter Herr Hahn!</note><lb/> <p xml:id="ID_2366"> Karl würde Ihnen selber geschrieben haben, aber ich weiß nicht, wo er ist.<lb/> Er ist nämlich unter den Vermißte». Wir haben nämlich gestern ein Gefecht mit<lb/> den Rothosen in den Weinbergen rechts vom Eiseubnhnviadukt gehabt. Sehr viel<lb/> Weinbergsmauern und viel mehr Franzosen, als wir Schützen waren. Dabei war<lb/> das Terrain sehr unübersichtlich. Man wußte nie, woran man war. Jetzt hieß<lb/> es, die Nothose» hätte» sich alle ergeben, und mit Tüchern gewunken haben sie, das<lb/> habe ich selber gesehen, und gleich darauf schösse» sie wieder. Schließlich, wie von allen<lb/> Seiten immer mehr Rothose» dazu kamen, »ahn u»s unser alter Oberst zurück. Wir<lb/> haben auch über dreihundert Gefangne gemacht »ud abgeliefert, aber bei deu beide»<lb/> ersten Bataillonen sieht es bös ans. Unsers führte schließlich el» Oberleutnant, und<lb/> das zweite auch. Der Hauptmann und der Major sind beide verwundet, aber dem<lb/> Obersten haben sie nur das Pferd totschießen können. Karl war bei», Verlese»<lb/> nicht da, aber tot ist er nicht, sondern die Rothosen habe» ihn gefangen »»d mit<lb/> »ach Poris genommen. Deshalb kann er nicht selbst schreiben. Er und noch drei<lb/> andre waren in eine Sackgasse zwischen zwei Weinberge abgedrängt worden und<lb/> hatten sich verschossen. Es Habens welche gesehen, die sagen, abgekriegt hätte er<lb/> nichts, oder nur ganz wenig. Geehrter Herr Hahn, zu ängstigen brauchen Sie<lb/> sich nicht: thun werden ihm die Franzosen nichts. Es sind, was die Soldaten<lb/> sind, keine schlechten Kerle, und die andern werden doch nicht so dumm sein, die<lb/> paar lumpigen Gefangnen zu schlachten, wo der König von Preußen für jeden<lb/> einzelnen Deutschen tausend Franzosen schlachten lassen kann. Sowie ich etwas<lb/> höre, schreibe ich wieder. Das werden schlechte Weihnachten werden für Sie dort<lb/> und für uns hier. Bartel ist gesund. Es grüßt Sie achtungsvoll der gute Freund<lb/> Ih<note type="bibl"> Eugen Zeisig, Fleischer</note> res Karl </p><lb/> <p xml:id="ID_2367"> Wenn Vater Paris dagehabt hätte, hätte ers nach seinem Sohne durchgesiebt.<lb/> Und finden thu ich ihn, so schloß er die längere Rede, die er Mutter» gehalten<lb/> hatte, finden thu ich ihn, und wenn ich mich als Zuave verkleiden sollte. Frau<lb/> Hahn war überrascht, und wir wollen nicht behaupten, daß wir an ihrer Stelle<lb/> nicht auch überrascht gewesen wären, denn Wir hätten Vätern eigentlich auch wie<lb/> den Stift für etwas Pappig gehalten, und das war er bei dieser Gelegenheit ganz<lb/> und gnr nicht. Hin wollte er, rin, wie er, Paris meinend, sagte. Erscht nach<lb/> Leber galcmg zum Prinzen, denn der weiß, wo der Oberst is, und dann zum<lb/> Obersten, denn der weiß, wo Karl is.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0623]
Weihnachten vor Paris
Wesen wäre, hätte er so etwas nie gesagt, denn wenn die Temperatur normal war,
machte er an ihn gerichtete Briefe prinzipiell selbst auf und hatte an dem, was
seine Fran that, nie etwas auszusetzen, Unter ähnlichen Umständen hatte Karl
drei- oder viermal Prügel bekommen, wenn er sein kostbares Leben in Gefahr
gebracht hatte. In der Wurre hatte Vater etwas thun müssen, um nicht ans
Stücke zu gehn, und da hatte er den Jungen geprügelt, was ja auch in zwiefacher
Hinsicht sein Gutes gehabt hatte. Einmal, weil es Karln eine Lehre sein konnte,
in Zukunft mehr auf seiner Hut zu sein, und denn, weil dieser, der, was verdiente
Prügel anlangte, im ganzen und großen nicht das ihm gebührende Teil gehabt
hatte, dafür auf diese Weise durch unverdiente Prügel wenigstens einigermaßen ent¬
schädigt worden war.
Nun also Eugens Brief, deu Vater in der Aufregung mitsamt dem Couvert
i» zwei ungleiche Hälften zerrissen hatte, und der infolgedessen, wie dies anch in
neuerer Zeit mit gewissen aus tiefster Erniedrigung wieder hervorgeholter und leider
zu berühmt gewordnen vrozessualischen Beweisunterlagen der Fall gewesen ist, erst
mühselig wieder hatte zusammengesetzt werden müssen.
Den 3. Dezember 1870
(Es ist uns »erboten, zu sagen, von wo wir schreiben.)
Geehrter Herr Hahn!
Karl würde Ihnen selber geschrieben haben, aber ich weiß nicht, wo er ist.
Er ist nämlich unter den Vermißte». Wir haben nämlich gestern ein Gefecht mit
den Rothosen in den Weinbergen rechts vom Eiseubnhnviadukt gehabt. Sehr viel
Weinbergsmauern und viel mehr Franzosen, als wir Schützen waren. Dabei war
das Terrain sehr unübersichtlich. Man wußte nie, woran man war. Jetzt hieß
es, die Nothose» hätte» sich alle ergeben, und mit Tüchern gewunken haben sie, das
habe ich selber gesehen, und gleich darauf schösse» sie wieder. Schließlich, wie von allen
Seiten immer mehr Rothose» dazu kamen, »ahn u»s unser alter Oberst zurück. Wir
haben auch über dreihundert Gefangne gemacht »ud abgeliefert, aber bei deu beide»
ersten Bataillonen sieht es bös ans. Unsers führte schließlich el» Oberleutnant, und
das zweite auch. Der Hauptmann und der Major sind beide verwundet, aber dem
Obersten haben sie nur das Pferd totschießen können. Karl war bei», Verlese»
nicht da, aber tot ist er nicht, sondern die Rothosen habe» ihn gefangen »»d mit
»ach Poris genommen. Deshalb kann er nicht selbst schreiben. Er und noch drei
andre waren in eine Sackgasse zwischen zwei Weinberge abgedrängt worden und
hatten sich verschossen. Es Habens welche gesehen, die sagen, abgekriegt hätte er
nichts, oder nur ganz wenig. Geehrter Herr Hahn, zu ängstigen brauchen Sie
sich nicht: thun werden ihm die Franzosen nichts. Es sind, was die Soldaten
sind, keine schlechten Kerle, und die andern werden doch nicht so dumm sein, die
paar lumpigen Gefangnen zu schlachten, wo der König von Preußen für jeden
einzelnen Deutschen tausend Franzosen schlachten lassen kann. Sowie ich etwas
höre, schreibe ich wieder. Das werden schlechte Weihnachten werden für Sie dort
und für uns hier. Bartel ist gesund. Es grüßt Sie achtungsvoll der gute Freund
Ih Eugen Zeisig, Fleischer res Karl
Wenn Vater Paris dagehabt hätte, hätte ers nach seinem Sohne durchgesiebt.
Und finden thu ich ihn, so schloß er die längere Rede, die er Mutter» gehalten
hatte, finden thu ich ihn, und wenn ich mich als Zuave verkleiden sollte. Frau
Hahn war überrascht, und wir wollen nicht behaupten, daß wir an ihrer Stelle
nicht auch überrascht gewesen wären, denn Wir hätten Vätern eigentlich auch wie
den Stift für etwas Pappig gehalten, und das war er bei dieser Gelegenheit ganz
und gnr nicht. Hin wollte er, rin, wie er, Paris meinend, sagte. Erscht nach
Leber galcmg zum Prinzen, denn der weiß, wo der Oberst is, und dann zum
Obersten, denn der weiß, wo Karl is.
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