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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mechnachteu vor Paris

zu thu" gehabt hatten. Die Eiermüllern hieß sie, weil sie nußer mit Geflügel und
Bettfedern auch mit Eiern handelte.

Sie war eine nette, adrette Frau von vierzig Jahren, der mau allgemein
scharfen Blick für die preisbestimmenden Eigenschaften des Z'eos Z^IIiim und ein
gesundes Urteil in allen den Fällen zutraute, wo es sich darum handelte, sich über
den moralischen oder sonstigen Wert junger Männer schlüssig zu macheu. Sich
darüber schlüssig zu werden, war -- wir brauchen das kaum zu sagen -- in der
Regel der Wunsch junger dem andern, schöner", obwohl schwächer!! Geschlechte an¬
gehörender Wesen. Sie nahm nach dieser Richtung hin in den Kreise", "ut denen
wir es hier zu thun haben, die Stellung eines weiblichen Börseuseusals ein, und
menschenfeindliche Kreaturen gaben ihr Schuld, daß sie für gefühlvolle Huldigungen
reputierlicher junger Leute persönlich nicht ganz unempfänglich wäre. Wir können
über diesen letzten Punkt keine Auskunft erteilen; für unsre Erzählung kommt auch
nicht er, sondern eine andre Schwäche der Frau Müller in Betracht. Es war
nämlich ihr Steckenpferd, für Liebende Partei zu ergreifen und ihnen, wo es ihrer
Überzeugung nach ehrbnrerweise geschehn konnte, behilflich zu sein.

Ihr Handel führte sie überall ein, und -- waren es ihre geräuschlosen Be¬
wegungen, war es ihr vertrauenerweckendes und verschwiegnes Wesen? überall
wiederholte sich dieselbe Erscheinung, daß man Frau Müller als eine von der Natur
gewollte und vorgesehene Vervollständigung der Hnushaltsmitglieder ansah: sie kam
und ging, feste sich oder stand herum, sprach oder schwieg, ohne daß mau den
Eindruck gehabt hätte, es sei ein dem Haushalt fremdes Element gegenwärtig. Der
Unistand, daß sie auf diese Weise überall zu Hause war, gab ihr Gelegenheit, den
Liebespostillvn zu machen, so oft der eine oder der andre ihrer Schützlinge eines
solchen bedürfte, und ihr gegen die Korrespondierenden keine Bedenken beigiugen.
Wenn der Ruf der jungen Dame, die schrieb, oder an die geschrieben wurde, uicht
eiuen ganz wolkenlosen Himmel aufzuweisen hatte, war sie unerbittlich; mit den
jungen Schäfern und deren Himmeln dagegen, hieß es, nehme sie es nicht so
genau: bei ihnen setze sie sich bisweilen über die schwersten im Abzug begriffnen
Gewitterwolken hinweg. Sie hatte heute im Hnhnschen Hause zwei geheimnisvolle
Briefchen abzugeben, eins ans der Stadt, das Fräulein Hermine Lehmann an einen
Bäckergesellen, den sogenannten lahmen Paul (es gab außer ihm auch eiuen langen
und einen kleinen) gerichtet hatte, ein zweites weitgereistes, das ihr von dem vor
Paris liegenden Eugen Zeisig unter doppeltem Couvert zugeschickt worden und für
die jüngere der beiden Knchcnmamsells, Fräulein Berthn Weber bestimmt war.
Wir werden von beiden Amornimmsaufdeineflügelsendungen noch weiter hören:
für den Augenblick heften wir uns an Frau Hahns Sohlen, die sich der Backstube
zugewandt und Frnn Müller eingeladen hatte, einstweilen in die Küche zu gehn,
wohin sie ihr in wenig Minuten folgen würde.

Eben ini Begriff, die Backstubenthür zu öffnen, traf sie mit Vätern zusammen,
der sich erkundigen wollte, warum sie ihn gerufen hätte. Da sie ihn nicht er¬
schrecken wollte, so erzählte sie ihm, der Postbote habe einen Brief von Eugen
gebracht, der wahrscheinlich irgend einen Weihnachtsauftrng enthalte, über den sie
aber im ersten Augenblicke thörichterweise etwas erschrocken gewesen sei: deshalb
habe sie nach ihm gerufen. Wenn er mit ihr vor (d. h. in die Wohnstube) kommeu
wolle, so könnten sie den Brief gemeinschaftlich lesen. Mit Vaters Kaltblütigkeit
war es, wenn es sich um Karl handelte, nicht weit her. Der Junge war für ihn
so sehr der Mittel- und Angelpunkt der geschaffnen Welt, daß ihm schon die ent¬
fernteste Möglichkeit, es könnte dem Jungen etwas geschehen sein, weit beunruhigender
war, als wenn die Erde ein wenig unter seinen Füßen gehabt hätte. Er wurde
denn auch heute, wie das seine Gewohnheit war, wenn ihm etwas zu Herze ging,
sofort heftig und machte seiner Fran Vorwürfe, daß sie den Brief nicht aufgemacht und
ihm nachher dessen Inhalt mitgeteilt habe. Wenn er nicht so in der "Wurre" ge-


Mechnachteu vor Paris

zu thu» gehabt hatten. Die Eiermüllern hieß sie, weil sie nußer mit Geflügel und
Bettfedern auch mit Eiern handelte.

Sie war eine nette, adrette Frau von vierzig Jahren, der mau allgemein
scharfen Blick für die preisbestimmenden Eigenschaften des Z'eos Z^IIiim und ein
gesundes Urteil in allen den Fällen zutraute, wo es sich darum handelte, sich über
den moralischen oder sonstigen Wert junger Männer schlüssig zu macheu. Sich
darüber schlüssig zu werden, war — wir brauchen das kaum zu sagen — in der
Regel der Wunsch junger dem andern, schöner», obwohl schwächer!! Geschlechte an¬
gehörender Wesen. Sie nahm nach dieser Richtung hin in den Kreise», »ut denen
wir es hier zu thun haben, die Stellung eines weiblichen Börseuseusals ein, und
menschenfeindliche Kreaturen gaben ihr Schuld, daß sie für gefühlvolle Huldigungen
reputierlicher junger Leute persönlich nicht ganz unempfänglich wäre. Wir können
über diesen letzten Punkt keine Auskunft erteilen; für unsre Erzählung kommt auch
nicht er, sondern eine andre Schwäche der Frau Müller in Betracht. Es war
nämlich ihr Steckenpferd, für Liebende Partei zu ergreifen und ihnen, wo es ihrer
Überzeugung nach ehrbnrerweise geschehn konnte, behilflich zu sein.

Ihr Handel führte sie überall ein, und — waren es ihre geräuschlosen Be¬
wegungen, war es ihr vertrauenerweckendes und verschwiegnes Wesen? überall
wiederholte sich dieselbe Erscheinung, daß man Frau Müller als eine von der Natur
gewollte und vorgesehene Vervollständigung der Hnushaltsmitglieder ansah: sie kam
und ging, feste sich oder stand herum, sprach oder schwieg, ohne daß mau den
Eindruck gehabt hätte, es sei ein dem Haushalt fremdes Element gegenwärtig. Der
Unistand, daß sie auf diese Weise überall zu Hause war, gab ihr Gelegenheit, den
Liebespostillvn zu machen, so oft der eine oder der andre ihrer Schützlinge eines
solchen bedürfte, und ihr gegen die Korrespondierenden keine Bedenken beigiugen.
Wenn der Ruf der jungen Dame, die schrieb, oder an die geschrieben wurde, uicht
eiuen ganz wolkenlosen Himmel aufzuweisen hatte, war sie unerbittlich; mit den
jungen Schäfern und deren Himmeln dagegen, hieß es, nehme sie es nicht so
genau: bei ihnen setze sie sich bisweilen über die schwersten im Abzug begriffnen
Gewitterwolken hinweg. Sie hatte heute im Hnhnschen Hause zwei geheimnisvolle
Briefchen abzugeben, eins ans der Stadt, das Fräulein Hermine Lehmann an einen
Bäckergesellen, den sogenannten lahmen Paul (es gab außer ihm auch eiuen langen
und einen kleinen) gerichtet hatte, ein zweites weitgereistes, das ihr von dem vor
Paris liegenden Eugen Zeisig unter doppeltem Couvert zugeschickt worden und für
die jüngere der beiden Knchcnmamsells, Fräulein Berthn Weber bestimmt war.
Wir werden von beiden Amornimmsaufdeineflügelsendungen noch weiter hören:
für den Augenblick heften wir uns an Frau Hahns Sohlen, die sich der Backstube
zugewandt und Frnn Müller eingeladen hatte, einstweilen in die Küche zu gehn,
wohin sie ihr in wenig Minuten folgen würde.

Eben ini Begriff, die Backstubenthür zu öffnen, traf sie mit Vätern zusammen,
der sich erkundigen wollte, warum sie ihn gerufen hätte. Da sie ihn nicht er¬
schrecken wollte, so erzählte sie ihm, der Postbote habe einen Brief von Eugen
gebracht, der wahrscheinlich irgend einen Weihnachtsauftrng enthalte, über den sie
aber im ersten Augenblicke thörichterweise etwas erschrocken gewesen sei: deshalb
habe sie nach ihm gerufen. Wenn er mit ihr vor (d. h. in die Wohnstube) kommeu
wolle, so könnten sie den Brief gemeinschaftlich lesen. Mit Vaters Kaltblütigkeit
war es, wenn es sich um Karl handelte, nicht weit her. Der Junge war für ihn
so sehr der Mittel- und Angelpunkt der geschaffnen Welt, daß ihm schon die ent¬
fernteste Möglichkeit, es könnte dem Jungen etwas geschehen sein, weit beunruhigender
war, als wenn die Erde ein wenig unter seinen Füßen gehabt hätte. Er wurde
denn auch heute, wie das seine Gewohnheit war, wenn ihm etwas zu Herze ging,
sofort heftig und machte seiner Fran Vorwürfe, daß sie den Brief nicht aufgemacht und
ihm nachher dessen Inhalt mitgeteilt habe. Wenn er nicht so in der „Wurre" ge-


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[0622] Mechnachteu vor Paris zu thu» gehabt hatten. Die Eiermüllern hieß sie, weil sie nußer mit Geflügel und Bettfedern auch mit Eiern handelte. Sie war eine nette, adrette Frau von vierzig Jahren, der mau allgemein scharfen Blick für die preisbestimmenden Eigenschaften des Z'eos Z^IIiim und ein gesundes Urteil in allen den Fällen zutraute, wo es sich darum handelte, sich über den moralischen oder sonstigen Wert junger Männer schlüssig zu macheu. Sich darüber schlüssig zu werden, war — wir brauchen das kaum zu sagen — in der Regel der Wunsch junger dem andern, schöner», obwohl schwächer!! Geschlechte an¬ gehörender Wesen. Sie nahm nach dieser Richtung hin in den Kreise», »ut denen wir es hier zu thun haben, die Stellung eines weiblichen Börseuseusals ein, und menschenfeindliche Kreaturen gaben ihr Schuld, daß sie für gefühlvolle Huldigungen reputierlicher junger Leute persönlich nicht ganz unempfänglich wäre. Wir können über diesen letzten Punkt keine Auskunft erteilen; für unsre Erzählung kommt auch nicht er, sondern eine andre Schwäche der Frau Müller in Betracht. Es war nämlich ihr Steckenpferd, für Liebende Partei zu ergreifen und ihnen, wo es ihrer Überzeugung nach ehrbnrerweise geschehn konnte, behilflich zu sein. Ihr Handel führte sie überall ein, und — waren es ihre geräuschlosen Be¬ wegungen, war es ihr vertrauenerweckendes und verschwiegnes Wesen? überall wiederholte sich dieselbe Erscheinung, daß man Frau Müller als eine von der Natur gewollte und vorgesehene Vervollständigung der Hnushaltsmitglieder ansah: sie kam und ging, feste sich oder stand herum, sprach oder schwieg, ohne daß mau den Eindruck gehabt hätte, es sei ein dem Haushalt fremdes Element gegenwärtig. Der Unistand, daß sie auf diese Weise überall zu Hause war, gab ihr Gelegenheit, den Liebespostillvn zu machen, so oft der eine oder der andre ihrer Schützlinge eines solchen bedürfte, und ihr gegen die Korrespondierenden keine Bedenken beigiugen. Wenn der Ruf der jungen Dame, die schrieb, oder an die geschrieben wurde, uicht eiuen ganz wolkenlosen Himmel aufzuweisen hatte, war sie unerbittlich; mit den jungen Schäfern und deren Himmeln dagegen, hieß es, nehme sie es nicht so genau: bei ihnen setze sie sich bisweilen über die schwersten im Abzug begriffnen Gewitterwolken hinweg. Sie hatte heute im Hnhnschen Hause zwei geheimnisvolle Briefchen abzugeben, eins ans der Stadt, das Fräulein Hermine Lehmann an einen Bäckergesellen, den sogenannten lahmen Paul (es gab außer ihm auch eiuen langen und einen kleinen) gerichtet hatte, ein zweites weitgereistes, das ihr von dem vor Paris liegenden Eugen Zeisig unter doppeltem Couvert zugeschickt worden und für die jüngere der beiden Knchcnmamsells, Fräulein Berthn Weber bestimmt war. Wir werden von beiden Amornimmsaufdeineflügelsendungen noch weiter hören: für den Augenblick heften wir uns an Frau Hahns Sohlen, die sich der Backstube zugewandt und Frnn Müller eingeladen hatte, einstweilen in die Küche zu gehn, wohin sie ihr in wenig Minuten folgen würde. Eben ini Begriff, die Backstubenthür zu öffnen, traf sie mit Vätern zusammen, der sich erkundigen wollte, warum sie ihn gerufen hätte. Da sie ihn nicht er¬ schrecken wollte, so erzählte sie ihm, der Postbote habe einen Brief von Eugen gebracht, der wahrscheinlich irgend einen Weihnachtsauftrng enthalte, über den sie aber im ersten Augenblicke thörichterweise etwas erschrocken gewesen sei: deshalb habe sie nach ihm gerufen. Wenn er mit ihr vor (d. h. in die Wohnstube) kommeu wolle, so könnten sie den Brief gemeinschaftlich lesen. Mit Vaters Kaltblütigkeit war es, wenn es sich um Karl handelte, nicht weit her. Der Junge war für ihn so sehr der Mittel- und Angelpunkt der geschaffnen Welt, daß ihm schon die ent¬ fernteste Möglichkeit, es könnte dem Jungen etwas geschehen sein, weit beunruhigender war, als wenn die Erde ein wenig unter seinen Füßen gehabt hätte. Er wurde denn auch heute, wie das seine Gewohnheit war, wenn ihm etwas zu Herze ging, sofort heftig und machte seiner Fran Vorwürfe, daß sie den Brief nicht aufgemacht und ihm nachher dessen Inhalt mitgeteilt habe. Wenn er nicht so in der „Wurre" ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/622>, abgerufen am 28.07.2024.