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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Im Acnnxf ums Lebe"

Leben der Dresdner Gesellschaft von ehemals Sinn und Geschmack haben.
Unsern Maikäferfreunden aber gönnen wir außer ihren eignen Jnsipiditäten
auch noch die mancherlei andern, mit denen die Moderne den heurigen Weih-
nachtsmarkt zu beschicken angefangen hat.




Im Kampf ums Leben
Johann Skjoldborg Erzählung von(Fortsetzung)

er Winter ist ein gieriger Mann. Er verschlingt nicht allein das
blühende Leben des Sommers, er verzehrt auch den Svmmerverdienst
der armen Leute, Darum müssen sie, die allein von ihrer Hände
Arbeit leben, in jedem Frühjahr auf demselben Punkte wieder an¬
fangen, bis die Ermattung kommt, die so viele leichtsinnig und gleich-
giltig macht.

Für die, die auf den fetten Landstrichen wohnen, wo sich die wohlgebauten
Höfe hinter einem Wall von hohen Heuschobern und Kornhäuser verbergen, und
wo gutgenährtes Vieh in den mit Stroh gestreuten Ständen wiederkäut, für die
kann der Winter eine angenehme Abwechslung sein. Sie können in ihrer warmen
Ofenecke sitzen und ans silberbeschlagnen Pfeifen rauchen, die sie vom Großvater
geerbt haben, und sie können des Nachts tief in die Federbetten sinken, deren Über¬
züge auf dem Webstuhl ihrer Mutter gewoben worden sind. Aber für die Ansiedlers¬
leute draußen auf der Heide und dem Dünensand ist der Winter ein unwilltommner
Gast. Sie haben nicht von den Eltern gekvmmne Wohlhabenheit, nicht volle Fleisch-
fässcr und keinen festgegründeten Kredit, ans den sie sich stützen könnten. Und der
Winter hemmt alle Wirksamkeit, die sie doch zu ihrem Ziele bringen sollte; er jagt
die Männer ins Haus und zwingt sie zu einem Stillleben in ihren vier Wänden.

Sören Brander kam immer noch leichter durch den Winter als die andern
Dünenbewohner, denn das Korbflechten, wozu der Vater vor seinem Tode noch den
Anstoß gegeben hatte, war nun zu einem Erwerbszweig geworden, der das ruhige
Leben der Winterzeit mit Emsigkeit erfüllte und allmählich Geld in den Beutel
schaffte. Als die Tage kamen, wo der Frost alle Arbeit im Freien unmöglich
machte, und der Schnee überall die Erde zudeckte, erhob sich Sören, lange ehe es
Tag wurde, von seinem Lager und schwang beim Schein einer Laterne den Dreschflegel.
Bei Tage ging er dann hinaus auf die Heidehügel, wo das zarte Grün des Wacholder¬
strauchs aus dem Schnee hervorsah. Er schüttelte die Zweige, daß der Schnee
herunterrieselte, dann fühlte er den verkrümmten Verzweigungen nach, schnitt mit
seinem Hakenmesser ab oder riß Busch um Busch mit der Wurzel aus, sodaß seine
Hände zuletzt ganz aufgerissen waren, band das Gewonnene in Bündel, die dann
die Ochsen auf dem Schlitten heimfuhren. Von dem Tage an, wo das Korbflechter!
seinen Anfang nahm, bis der Frühling einzog, duftete das ganze Haus unes Wacholder.
Und dieser Wacholderdnft hielt bei den Eheleuten die Erinnerung an den alten
Brander wach, und Sören wie Ane dachten, daß das doch eine recht gesegnete
Stunde gewesen sei, wo sie ihn zu sich ius Haus genommen hatten.

Aber der Sommer! Nein, da braucht das arme Volk keine Feuerung, und
die Kinder brauchen keine warmen Kleider, und wer kein Haus hat, findet leicht


Im Acnnxf ums Lebe»

Leben der Dresdner Gesellschaft von ehemals Sinn und Geschmack haben.
Unsern Maikäferfreunden aber gönnen wir außer ihren eignen Jnsipiditäten
auch noch die mancherlei andern, mit denen die Moderne den heurigen Weih-
nachtsmarkt zu beschicken angefangen hat.




Im Kampf ums Leben
Johann Skjoldborg Erzählung von(Fortsetzung)

er Winter ist ein gieriger Mann. Er verschlingt nicht allein das
blühende Leben des Sommers, er verzehrt auch den Svmmerverdienst
der armen Leute, Darum müssen sie, die allein von ihrer Hände
Arbeit leben, in jedem Frühjahr auf demselben Punkte wieder an¬
fangen, bis die Ermattung kommt, die so viele leichtsinnig und gleich-
giltig macht.

Für die, die auf den fetten Landstrichen wohnen, wo sich die wohlgebauten
Höfe hinter einem Wall von hohen Heuschobern und Kornhäuser verbergen, und
wo gutgenährtes Vieh in den mit Stroh gestreuten Ständen wiederkäut, für die
kann der Winter eine angenehme Abwechslung sein. Sie können in ihrer warmen
Ofenecke sitzen und ans silberbeschlagnen Pfeifen rauchen, die sie vom Großvater
geerbt haben, und sie können des Nachts tief in die Federbetten sinken, deren Über¬
züge auf dem Webstuhl ihrer Mutter gewoben worden sind. Aber für die Ansiedlers¬
leute draußen auf der Heide und dem Dünensand ist der Winter ein unwilltommner
Gast. Sie haben nicht von den Eltern gekvmmne Wohlhabenheit, nicht volle Fleisch-
fässcr und keinen festgegründeten Kredit, ans den sie sich stützen könnten. Und der
Winter hemmt alle Wirksamkeit, die sie doch zu ihrem Ziele bringen sollte; er jagt
die Männer ins Haus und zwingt sie zu einem Stillleben in ihren vier Wänden.

Sören Brander kam immer noch leichter durch den Winter als die andern
Dünenbewohner, denn das Korbflechten, wozu der Vater vor seinem Tode noch den
Anstoß gegeben hatte, war nun zu einem Erwerbszweig geworden, der das ruhige
Leben der Winterzeit mit Emsigkeit erfüllte und allmählich Geld in den Beutel
schaffte. Als die Tage kamen, wo der Frost alle Arbeit im Freien unmöglich
machte, und der Schnee überall die Erde zudeckte, erhob sich Sören, lange ehe es
Tag wurde, von seinem Lager und schwang beim Schein einer Laterne den Dreschflegel.
Bei Tage ging er dann hinaus auf die Heidehügel, wo das zarte Grün des Wacholder¬
strauchs aus dem Schnee hervorsah. Er schüttelte die Zweige, daß der Schnee
herunterrieselte, dann fühlte er den verkrümmten Verzweigungen nach, schnitt mit
seinem Hakenmesser ab oder riß Busch um Busch mit der Wurzel aus, sodaß seine
Hände zuletzt ganz aufgerissen waren, band das Gewonnene in Bündel, die dann
die Ochsen auf dem Schlitten heimfuhren. Von dem Tage an, wo das Korbflechter!
seinen Anfang nahm, bis der Frühling einzog, duftete das ganze Haus unes Wacholder.
Und dieser Wacholderdnft hielt bei den Eheleuten die Erinnerung an den alten
Brander wach, und Sören wie Ane dachten, daß das doch eine recht gesegnete
Stunde gewesen sei, wo sie ihn zu sich ius Haus genommen hatten.

Aber der Sommer! Nein, da braucht das arme Volk keine Feuerung, und
die Kinder brauchen keine warmen Kleider, und wer kein Haus hat, findet leicht


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[0608] Im Acnnxf ums Lebe» Leben der Dresdner Gesellschaft von ehemals Sinn und Geschmack haben. Unsern Maikäferfreunden aber gönnen wir außer ihren eignen Jnsipiditäten auch noch die mancherlei andern, mit denen die Moderne den heurigen Weih- nachtsmarkt zu beschicken angefangen hat. Im Kampf ums Leben Johann Skjoldborg Erzählung von(Fortsetzung) er Winter ist ein gieriger Mann. Er verschlingt nicht allein das blühende Leben des Sommers, er verzehrt auch den Svmmerverdienst der armen Leute, Darum müssen sie, die allein von ihrer Hände Arbeit leben, in jedem Frühjahr auf demselben Punkte wieder an¬ fangen, bis die Ermattung kommt, die so viele leichtsinnig und gleich- giltig macht. Für die, die auf den fetten Landstrichen wohnen, wo sich die wohlgebauten Höfe hinter einem Wall von hohen Heuschobern und Kornhäuser verbergen, und wo gutgenährtes Vieh in den mit Stroh gestreuten Ständen wiederkäut, für die kann der Winter eine angenehme Abwechslung sein. Sie können in ihrer warmen Ofenecke sitzen und ans silberbeschlagnen Pfeifen rauchen, die sie vom Großvater geerbt haben, und sie können des Nachts tief in die Federbetten sinken, deren Über¬ züge auf dem Webstuhl ihrer Mutter gewoben worden sind. Aber für die Ansiedlers¬ leute draußen auf der Heide und dem Dünensand ist der Winter ein unwilltommner Gast. Sie haben nicht von den Eltern gekvmmne Wohlhabenheit, nicht volle Fleisch- fässcr und keinen festgegründeten Kredit, ans den sie sich stützen könnten. Und der Winter hemmt alle Wirksamkeit, die sie doch zu ihrem Ziele bringen sollte; er jagt die Männer ins Haus und zwingt sie zu einem Stillleben in ihren vier Wänden. Sören Brander kam immer noch leichter durch den Winter als die andern Dünenbewohner, denn das Korbflechten, wozu der Vater vor seinem Tode noch den Anstoß gegeben hatte, war nun zu einem Erwerbszweig geworden, der das ruhige Leben der Winterzeit mit Emsigkeit erfüllte und allmählich Geld in den Beutel schaffte. Als die Tage kamen, wo der Frost alle Arbeit im Freien unmöglich machte, und der Schnee überall die Erde zudeckte, erhob sich Sören, lange ehe es Tag wurde, von seinem Lager und schwang beim Schein einer Laterne den Dreschflegel. Bei Tage ging er dann hinaus auf die Heidehügel, wo das zarte Grün des Wacholder¬ strauchs aus dem Schnee hervorsah. Er schüttelte die Zweige, daß der Schnee herunterrieselte, dann fühlte er den verkrümmten Verzweigungen nach, schnitt mit seinem Hakenmesser ab oder riß Busch um Busch mit der Wurzel aus, sodaß seine Hände zuletzt ganz aufgerissen waren, band das Gewonnene in Bündel, die dann die Ochsen auf dem Schlitten heimfuhren. Von dem Tage an, wo das Korbflechter! seinen Anfang nahm, bis der Frühling einzog, duftete das ganze Haus unes Wacholder. Und dieser Wacholderdnft hielt bei den Eheleuten die Erinnerung an den alten Brander wach, und Sören wie Ane dachten, daß das doch eine recht gesegnete Stunde gewesen sei, wo sie ihn zu sich ius Haus genommen hatten. Aber der Sommer! Nein, da braucht das arme Volk keine Feuerung, und die Kinder brauchen keine warmen Kleider, und wer kein Haus hat, findet leicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/608>, abgerufen am 13.11.2024.