Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Hellenentum und Christentum Tode bestraft. Jetzt erst erfahre ich aus Nägelsbach, daß dieses Stück, das So trennten sich denn die Volksreligion und das Denken voneinander, Hellenentum und Christentum Tode bestraft. Jetzt erst erfahre ich aus Nägelsbach, daß dieses Stück, das So trennten sich denn die Volksreligion und das Denken voneinander, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236418"/> <fw type="header" place="top"> Hellenentum und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_2265" prev="#ID_2264"> Tode bestraft. Jetzt erst erfahre ich aus Nägelsbach, daß dieses Stück, das<lb/> letzte des Dichters und erst nach seinem Tode aufgeführt, eine Palinvdie be¬<lb/> deutet. Nachdem er schon in einem frühern Drama, von dem mir noch Bruch¬<lb/> stücke übrig sind, gemahnt hatte, der Mensch möge sich nicht in seinem Ver¬<lb/> standeshochmut für weiser halten als die Götter, habe er in den augen¬<lb/> scheinlich gegen die Sophistik gerichteten Baechen zeigen wollen, wie alles,<lb/> auch das in mancher Hinsicht berechtigte Vernünfteln, an der Macht der Gott¬<lb/> heit zu Schanden wird. Nach menschlichem Verstände that Pcntheus wohl<lb/> daran, daß er wilde Zügellosigkeit und den Kult eines weibisch üppigen neuen<lb/> Gottes in seinen Staat nicht wollte eindringen lassen. Seine Schuld aber<lb/> bestand darin, „daß er dieses sein menschliches Denken und Meinen der ob¬<lb/> jektiven Wirklichkeit des Gottes gegenüber nicht aufgiebt, daß er trotz dessen<lb/> Wundern und Machterweisungen, in denen er sich als Gott bewährt, auf<lb/> seinem Sinn beharrt. Nachdem Penthens alle Vorstellungen des Gottes<lb/> schnöde zurückgewiesen hat, beginnt dieser den hartnäckigen Frevler zu bethören;<lb/> der vollberechtigte Gott siegt über des Menschen nnn nicht mehr berechtigten<lb/> Unglauben, und der Wahnsinn menschlicher Verstandesanmaßung gegen den<lb/> Realismus göttlicher Kräfte wird in wirklichen Wahnsinn verwandelt, der den<lb/> vernunftstolzen König, noch bevor er untergeht, zum Gespötte macht." So<lb/> Hütte denn Euripides, ein umgekehrter Talbot („Unsinn, du siegst!"), sein<lb/> reiches Leben und Streben mit einem ersäo, Hrminvis Äbsuräunr sse geschlossen!<lb/> Wie freilich Aristophanes, der in mehreren seiner Stücke den Hermes, in den<lb/> Vögeln alle Götter des Olymp die lächerlichsten Rollen spielen läßt, sich für<lb/> berufen halten konnte, Euripides gegenüber die Religion der Väter wieder zu<lb/> Ehren zu bringen, ist schwer zu begreifen. Sein komischer Genius, denke ich<lb/> mir, wird stärker gewesen sein als seine Frömmigkeit; fiel ihm ein guter Witz,<lb/> eine komische Situation ein — und was kann es komischeres geben, als einen<lb/> Gott in komischer Situation! —, so konnte er sich einen solchen Einfall nicht<lb/> verkneifen, mochte dabei auch die Frömmigkeit zu Schaden kommen. Und da<lb/> die Athener für ihr Leben gern lachten, so haben sie dem Dichter wegen seiner<lb/> Götterpossen nicht gezürnt; an einem Philosophen, der sie langweilte oder<lb/> ärgerte, ihre Gottesfurcht durch ein Todesurteil zu bewähren, fiel ihnen nicht<lb/> schwer; einem Komiker, der sie auf Kosten der Götter amüsierte, das Hand¬<lb/> werk zu legen, haben sie sich wohl gehütet. Übrigens, meint Burckhardt,<lb/> trauten sie wohl ihren Göttern ein so dickes Fell zu, wie. sie selbst hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2266" next="#ID_2267"> So trennten sich denn die Volksreligion und das Denken voneinander,<lb/> und je mehr sich dieses in den kleinen Kreisen der Philosophen von dem<lb/> Treiben der Massen abwandte, desto roher und geistloser mußte jene werden.<lb/> Die Geistlosigkeit verkörperte sich unter anderm in der Gestalt der Tyche,<lb/> deren Kult überHand nahm. Nicht mehr von erhabnen Mächten wie Zeus<lb/> und den Moiren dachte man sich das Menschenschicksal abhängig, sondern von<lb/> einer launischen Glücksgöttin, die sich nicht wesentlich vom blinden Zufall<lb/> unterschied. Indem sich dann jede Stadt ihre eigne Tyche beilegte, in deren<lb/> Kolossalstatue sie sich selbst, ihren eigentümlichen Genius verherrlichte, wurde</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0596]
Hellenentum und Christentum
Tode bestraft. Jetzt erst erfahre ich aus Nägelsbach, daß dieses Stück, das
letzte des Dichters und erst nach seinem Tode aufgeführt, eine Palinvdie be¬
deutet. Nachdem er schon in einem frühern Drama, von dem mir noch Bruch¬
stücke übrig sind, gemahnt hatte, der Mensch möge sich nicht in seinem Ver¬
standeshochmut für weiser halten als die Götter, habe er in den augen¬
scheinlich gegen die Sophistik gerichteten Baechen zeigen wollen, wie alles,
auch das in mancher Hinsicht berechtigte Vernünfteln, an der Macht der Gott¬
heit zu Schanden wird. Nach menschlichem Verstände that Pcntheus wohl
daran, daß er wilde Zügellosigkeit und den Kult eines weibisch üppigen neuen
Gottes in seinen Staat nicht wollte eindringen lassen. Seine Schuld aber
bestand darin, „daß er dieses sein menschliches Denken und Meinen der ob¬
jektiven Wirklichkeit des Gottes gegenüber nicht aufgiebt, daß er trotz dessen
Wundern und Machterweisungen, in denen er sich als Gott bewährt, auf
seinem Sinn beharrt. Nachdem Penthens alle Vorstellungen des Gottes
schnöde zurückgewiesen hat, beginnt dieser den hartnäckigen Frevler zu bethören;
der vollberechtigte Gott siegt über des Menschen nnn nicht mehr berechtigten
Unglauben, und der Wahnsinn menschlicher Verstandesanmaßung gegen den
Realismus göttlicher Kräfte wird in wirklichen Wahnsinn verwandelt, der den
vernunftstolzen König, noch bevor er untergeht, zum Gespötte macht." So
Hütte denn Euripides, ein umgekehrter Talbot („Unsinn, du siegst!"), sein
reiches Leben und Streben mit einem ersäo, Hrminvis Äbsuräunr sse geschlossen!
Wie freilich Aristophanes, der in mehreren seiner Stücke den Hermes, in den
Vögeln alle Götter des Olymp die lächerlichsten Rollen spielen läßt, sich für
berufen halten konnte, Euripides gegenüber die Religion der Väter wieder zu
Ehren zu bringen, ist schwer zu begreifen. Sein komischer Genius, denke ich
mir, wird stärker gewesen sein als seine Frömmigkeit; fiel ihm ein guter Witz,
eine komische Situation ein — und was kann es komischeres geben, als einen
Gott in komischer Situation! —, so konnte er sich einen solchen Einfall nicht
verkneifen, mochte dabei auch die Frömmigkeit zu Schaden kommen. Und da
die Athener für ihr Leben gern lachten, so haben sie dem Dichter wegen seiner
Götterpossen nicht gezürnt; an einem Philosophen, der sie langweilte oder
ärgerte, ihre Gottesfurcht durch ein Todesurteil zu bewähren, fiel ihnen nicht
schwer; einem Komiker, der sie auf Kosten der Götter amüsierte, das Hand¬
werk zu legen, haben sie sich wohl gehütet. Übrigens, meint Burckhardt,
trauten sie wohl ihren Göttern ein so dickes Fell zu, wie. sie selbst hatten.
So trennten sich denn die Volksreligion und das Denken voneinander,
und je mehr sich dieses in den kleinen Kreisen der Philosophen von dem
Treiben der Massen abwandte, desto roher und geistloser mußte jene werden.
Die Geistlosigkeit verkörperte sich unter anderm in der Gestalt der Tyche,
deren Kult überHand nahm. Nicht mehr von erhabnen Mächten wie Zeus
und den Moiren dachte man sich das Menschenschicksal abhängig, sondern von
einer launischen Glücksgöttin, die sich nicht wesentlich vom blinden Zufall
unterschied. Indem sich dann jede Stadt ihre eigne Tyche beilegte, in deren
Kolossalstatue sie sich selbst, ihren eigentümlichen Genius verherrlichte, wurde
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