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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Moral und Politik

der krönenden Höhe zuzustreben. Das solltet ihr bedenken und zugleich euch
erinnern, daß wir müssen und gar nicht anders können, weil es in uns gelegt
ist. Statt dessen kommt ihr mit euerm Prokrustesbett und wollt uns die starken
Glieder abhacken, die wir doch nötig habe", zu vollbringen, was ihr selber nicht
könnt. Meint ihr denn nicht, daß wir gern zu euch hinabstiegen, um mit euch
im Schatten des Thales zu wandern und sanfte Tugenden zu üben, statt hier
oben harte, oft mitleidlose Arbeit zu verrichten, die das menschliche Fühle"
verletzt? Daß ihr es doch einmal versuchen möchtet, zu uns empor zu dringe"
und zu erfahren, wie eisig und dünn die Luft um uns herum ist, wie ver¬
lassei: und einsam unser Pfad, weil uns kein Verständnis begleitet!

Auf einsamer würdiger Höhe des Teutoburger Waldes steht das Stand¬
bild des Cheruskerfürsten Hermann, in seiner einfachen, erhabnen Größe ein
Denkmal deutsch-nationaler Kunst, wie ihm kein zweites um die Seite gestellt
werden kann. Obgleich es sich von antiker Kunst so frei und fern halt, wie
sich der germanische Flügelhelm von dein Helm des Achilles unterscheidet, so
liegt doch die Tragik dort, wo sie hervortreten muß, auf dem Antlitz des
Nömerbezwingers mit nicht geringerer Deutlichkeit ausgegossen als in de"
schmerzzerrissenen Zügen des Laokoon. Was will der deutsche Künstler mit
dieser Gestalt seines deutschen Helden sagen? Frei steht die Figur auf der
Wölbung des Eichwaldes, aus dessen Kronen sie emporgewachsen zu sein scheint.
Von der Fußsohle steigt in feinen aber starken Linien sichtbar durch Sehne"
und Muskeln die Kraft aufwärts, erscheint in breiten Ablagerungen um Hüfte"
und Brust, schwingt sich sieghaft hinauf in den hochgehobnen Arm, der das
Schwert trügt, und strahlt in heldenhaftem Ausdruck des unbezwinglichen
Willens in Miene und Gebärde.

Einheitlich ist dieses Werk vom Zeh bis zum Scheitel, und im Antlitz
liegt die höchste Spannung. Aber was soll der schmerzlich herbe, fast störende
Zug um die Nasenflügel und den Mund des Germanenfürsten? Wer Kleists
Hermannsschlacht gelesen hat, der weiß Bescheid. Derselbe Schmerz, der ans
den Worten der Thusnelda spricht, wie sie den Todesschrei des in der Um¬
armung ihres Bären sterbenden Septimius hört, zuckt auch um die Lippen des
von Bärbel geschaffnen Standbildes. Es war meine Bestimmung, das Vater¬
land von der Fremdherrschaft zu befreien, niemand anders konnte die That
ausführen. Stolz darf ich mich meines Sieges rühmen, und kein Römer soll,
solange ich lebe, ungestraft die deutsche Erde da betreten, wohin mein Blick
gewandt ist. Aber warum war der Kampf nicht möglich ohne den Widerspruch
so vieler meiner Landsleute, und warum der Sieg nicht, ohne daß ich den
Feind mit Tücke und Falschheit umgarnte? Gilt auch hier das Gesetz, daß
auch die großen Thaten der Menschheit nur unter Sünde und Schmerz ge¬
zeugt und geboren werden können?

An der Schwelle unsrer Geschichte steht Hermann der Cherusker, und an
der Grenze, wo unsre Gegenwart und die Vergangenheit ineinander fließen,
Fürst Otto von Bismcirck. Es war nicht nötig, daß ihr diesem andern Einiger
Deutschlands mit euern moralischen Vorhaltungen das Leben sauer machtet.


Moral und Politik

der krönenden Höhe zuzustreben. Das solltet ihr bedenken und zugleich euch
erinnern, daß wir müssen und gar nicht anders können, weil es in uns gelegt
ist. Statt dessen kommt ihr mit euerm Prokrustesbett und wollt uns die starken
Glieder abhacken, die wir doch nötig habe», zu vollbringen, was ihr selber nicht
könnt. Meint ihr denn nicht, daß wir gern zu euch hinabstiegen, um mit euch
im Schatten des Thales zu wandern und sanfte Tugenden zu üben, statt hier
oben harte, oft mitleidlose Arbeit zu verrichten, die das menschliche Fühle»
verletzt? Daß ihr es doch einmal versuchen möchtet, zu uns empor zu dringe»
und zu erfahren, wie eisig und dünn die Luft um uns herum ist, wie ver¬
lassei: und einsam unser Pfad, weil uns kein Verständnis begleitet!

Auf einsamer würdiger Höhe des Teutoburger Waldes steht das Stand¬
bild des Cheruskerfürsten Hermann, in seiner einfachen, erhabnen Größe ein
Denkmal deutsch-nationaler Kunst, wie ihm kein zweites um die Seite gestellt
werden kann. Obgleich es sich von antiker Kunst so frei und fern halt, wie
sich der germanische Flügelhelm von dein Helm des Achilles unterscheidet, so
liegt doch die Tragik dort, wo sie hervortreten muß, auf dem Antlitz des
Nömerbezwingers mit nicht geringerer Deutlichkeit ausgegossen als in de»
schmerzzerrissenen Zügen des Laokoon. Was will der deutsche Künstler mit
dieser Gestalt seines deutschen Helden sagen? Frei steht die Figur auf der
Wölbung des Eichwaldes, aus dessen Kronen sie emporgewachsen zu sein scheint.
Von der Fußsohle steigt in feinen aber starken Linien sichtbar durch Sehne»
und Muskeln die Kraft aufwärts, erscheint in breiten Ablagerungen um Hüfte»
und Brust, schwingt sich sieghaft hinauf in den hochgehobnen Arm, der das
Schwert trügt, und strahlt in heldenhaftem Ausdruck des unbezwinglichen
Willens in Miene und Gebärde.

Einheitlich ist dieses Werk vom Zeh bis zum Scheitel, und im Antlitz
liegt die höchste Spannung. Aber was soll der schmerzlich herbe, fast störende
Zug um die Nasenflügel und den Mund des Germanenfürsten? Wer Kleists
Hermannsschlacht gelesen hat, der weiß Bescheid. Derselbe Schmerz, der ans
den Worten der Thusnelda spricht, wie sie den Todesschrei des in der Um¬
armung ihres Bären sterbenden Septimius hört, zuckt auch um die Lippen des
von Bärbel geschaffnen Standbildes. Es war meine Bestimmung, das Vater¬
land von der Fremdherrschaft zu befreien, niemand anders konnte die That
ausführen. Stolz darf ich mich meines Sieges rühmen, und kein Römer soll,
solange ich lebe, ungestraft die deutsche Erde da betreten, wohin mein Blick
gewandt ist. Aber warum war der Kampf nicht möglich ohne den Widerspruch
so vieler meiner Landsleute, und warum der Sieg nicht, ohne daß ich den
Feind mit Tücke und Falschheit umgarnte? Gilt auch hier das Gesetz, daß
auch die großen Thaten der Menschheit nur unter Sünde und Schmerz ge¬
zeugt und geboren werden können?

An der Schwelle unsrer Geschichte steht Hermann der Cherusker, und an
der Grenze, wo unsre Gegenwart und die Vergangenheit ineinander fließen,
Fürst Otto von Bismcirck. Es war nicht nötig, daß ihr diesem andern Einiger
Deutschlands mit euern moralischen Vorhaltungen das Leben sauer machtet.


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[0586] Moral und Politik der krönenden Höhe zuzustreben. Das solltet ihr bedenken und zugleich euch erinnern, daß wir müssen und gar nicht anders können, weil es in uns gelegt ist. Statt dessen kommt ihr mit euerm Prokrustesbett und wollt uns die starken Glieder abhacken, die wir doch nötig habe», zu vollbringen, was ihr selber nicht könnt. Meint ihr denn nicht, daß wir gern zu euch hinabstiegen, um mit euch im Schatten des Thales zu wandern und sanfte Tugenden zu üben, statt hier oben harte, oft mitleidlose Arbeit zu verrichten, die das menschliche Fühle» verletzt? Daß ihr es doch einmal versuchen möchtet, zu uns empor zu dringe» und zu erfahren, wie eisig und dünn die Luft um uns herum ist, wie ver¬ lassei: und einsam unser Pfad, weil uns kein Verständnis begleitet! Auf einsamer würdiger Höhe des Teutoburger Waldes steht das Stand¬ bild des Cheruskerfürsten Hermann, in seiner einfachen, erhabnen Größe ein Denkmal deutsch-nationaler Kunst, wie ihm kein zweites um die Seite gestellt werden kann. Obgleich es sich von antiker Kunst so frei und fern halt, wie sich der germanische Flügelhelm von dein Helm des Achilles unterscheidet, so liegt doch die Tragik dort, wo sie hervortreten muß, auf dem Antlitz des Nömerbezwingers mit nicht geringerer Deutlichkeit ausgegossen als in de» schmerzzerrissenen Zügen des Laokoon. Was will der deutsche Künstler mit dieser Gestalt seines deutschen Helden sagen? Frei steht die Figur auf der Wölbung des Eichwaldes, aus dessen Kronen sie emporgewachsen zu sein scheint. Von der Fußsohle steigt in feinen aber starken Linien sichtbar durch Sehne» und Muskeln die Kraft aufwärts, erscheint in breiten Ablagerungen um Hüfte» und Brust, schwingt sich sieghaft hinauf in den hochgehobnen Arm, der das Schwert trügt, und strahlt in heldenhaftem Ausdruck des unbezwinglichen Willens in Miene und Gebärde. Einheitlich ist dieses Werk vom Zeh bis zum Scheitel, und im Antlitz liegt die höchste Spannung. Aber was soll der schmerzlich herbe, fast störende Zug um die Nasenflügel und den Mund des Germanenfürsten? Wer Kleists Hermannsschlacht gelesen hat, der weiß Bescheid. Derselbe Schmerz, der ans den Worten der Thusnelda spricht, wie sie den Todesschrei des in der Um¬ armung ihres Bären sterbenden Septimius hört, zuckt auch um die Lippen des von Bärbel geschaffnen Standbildes. Es war meine Bestimmung, das Vater¬ land von der Fremdherrschaft zu befreien, niemand anders konnte die That ausführen. Stolz darf ich mich meines Sieges rühmen, und kein Römer soll, solange ich lebe, ungestraft die deutsche Erde da betreten, wohin mein Blick gewandt ist. Aber warum war der Kampf nicht möglich ohne den Widerspruch so vieler meiner Landsleute, und warum der Sieg nicht, ohne daß ich den Feind mit Tücke und Falschheit umgarnte? Gilt auch hier das Gesetz, daß auch die großen Thaten der Menschheit nur unter Sünde und Schmerz ge¬ zeugt und geboren werden können? An der Schwelle unsrer Geschichte steht Hermann der Cherusker, und an der Grenze, wo unsre Gegenwart und die Vergangenheit ineinander fließen, Fürst Otto von Bismcirck. Es war nicht nötig, daß ihr diesem andern Einiger Deutschlands mit euern moralischen Vorhaltungen das Leben sauer machtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/586>, abgerufen am 28.07.2024.