Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das englische Königtum

Der britische Bürger ist trotz der politischen Erziehung, die ihm nachgesagt
wird, auch nicht weiser als andre Leute. Auf das, waS ihm sein Leibblatt
auftischt, schwört er ohne viel Kritik wie auf ein Evangelium. Nun sind die
meisten Zeitungen imperialistisch, folglich sind auch die meisten Wähler impe¬
rialistisch, und das muß ein Parlamentarier bedenken, bevor er sich der Partei¬
leitung unangenehm macht.

Die parlamentarische Regierungsweise hat diesem Zustande nicht vorzu¬
beugen vermocht, sie hat ihn eher herbeiführen helfen. Wird sie fähig sein,
den Schaden zu heilen und der Krisis zu begegnen, der die Dinge in Gro߬
britannien zustreben? Wird sie imstande sein, sich aus der bequemen man¬
chesterlichen Weise des Fortwnrstelns aufzuraffen, die dem gewissenlosen
Streber Thür und Thor öffnet? Das sind Fragen, die nur die Zukunft be¬
antworten kann.

Wenn es gelingt, wieder zu gesunden Verhältnissen zu gelangen, dann
wird das Verdienst nicht dem Parlamentarismus gebühren, sondern einem
starken Charakter, stark wie Cromwell, 'sonst käme er gegen die Parteien
nicht auf.

Doch warum sollte die Heilung und Besserung nicht von oben ausgehn,
vom Throne, der über den Parteien steht? Großbritannien braucht einem
Mann auf seinem Königsstuhl, einen ganzen Mann, einen wirklichen König,
der es versteht, sich gegen seinen Nebenbuhler, König Mammon, zu behaupten.
Die Würde soll nicht den Mann zieren, sondern der Mann die Würde. Auf
den Mann kommt es an. Noch hat die Krone Rechte genug, daß sie ihrem
Träger Spielraum zur Bethätigung seiner Kräfte geben kann. Das Rüstzeug
des Königtums ist durch lange Ruhe verrostet und verstaubt; aber es würde
sich lohnen, es wieder aus dem Winkel hervorzuholen und zu nutzen.

Der König brauchte keinen Staatsstreich zu begehn, er brauchte die
Grenzen, die ihm durch die Gesetze gezogen sind, nicht zu überschreiten, er
brauchte bloß die Fesseln eines übertriebnen Konstitutionalisiuus abzuschütteln,
der ihm verwehren will, eine eigne Meinung zu haben, wie jeder andre
Brite.

Die Königin Viktoria bestieg den Thron, als sie kaum dem Kindesalter
entwachsen war; ohne Welterfahrung mußte sie sich ganz der Leitung ihrer
Ratgeber überlassen, und sie befand sich wohl bei einer streng konstitutionellen
Regierungsweise, die ihr Mühen und Sorgen ersparte, denen nur eine stark¬
geistige Frau gewachsen gewesen wäre. König Edward ist in reifen Jahren
auf den Thron gelangt und kennt die Wege der Welt. Er kann sich ohne
andre Hilfe seine eigne Meinung über alle Fragen der Staatsleitung bilden,
als Mann kann er schon ganz anders auftreten als seine Mutter. Ferner
sichert ihn die Stärkung des monarchischen Gefühls vor der feindseligen Be¬
urteilung, die seinem Großvheim Wilhelm IV. widerfuhr.

Es ist bequem und angenehm, alle Verantwortlichkeit auf die Minister
abschieben zu können, aber für einen thatkräftigen, selbstbewußten Charakter
muß die Rolle eines unverantwortlichen Schaustücks drückend und beschämend sein.


Das englische Königtum

Der britische Bürger ist trotz der politischen Erziehung, die ihm nachgesagt
wird, auch nicht weiser als andre Leute. Auf das, waS ihm sein Leibblatt
auftischt, schwört er ohne viel Kritik wie auf ein Evangelium. Nun sind die
meisten Zeitungen imperialistisch, folglich sind auch die meisten Wähler impe¬
rialistisch, und das muß ein Parlamentarier bedenken, bevor er sich der Partei¬
leitung unangenehm macht.

Die parlamentarische Regierungsweise hat diesem Zustande nicht vorzu¬
beugen vermocht, sie hat ihn eher herbeiführen helfen. Wird sie fähig sein,
den Schaden zu heilen und der Krisis zu begegnen, der die Dinge in Gro߬
britannien zustreben? Wird sie imstande sein, sich aus der bequemen man¬
chesterlichen Weise des Fortwnrstelns aufzuraffen, die dem gewissenlosen
Streber Thür und Thor öffnet? Das sind Fragen, die nur die Zukunft be¬
antworten kann.

Wenn es gelingt, wieder zu gesunden Verhältnissen zu gelangen, dann
wird das Verdienst nicht dem Parlamentarismus gebühren, sondern einem
starken Charakter, stark wie Cromwell, 'sonst käme er gegen die Parteien
nicht auf.

Doch warum sollte die Heilung und Besserung nicht von oben ausgehn,
vom Throne, der über den Parteien steht? Großbritannien braucht einem
Mann auf seinem Königsstuhl, einen ganzen Mann, einen wirklichen König,
der es versteht, sich gegen seinen Nebenbuhler, König Mammon, zu behaupten.
Die Würde soll nicht den Mann zieren, sondern der Mann die Würde. Auf
den Mann kommt es an. Noch hat die Krone Rechte genug, daß sie ihrem
Träger Spielraum zur Bethätigung seiner Kräfte geben kann. Das Rüstzeug
des Königtums ist durch lange Ruhe verrostet und verstaubt; aber es würde
sich lohnen, es wieder aus dem Winkel hervorzuholen und zu nutzen.

Der König brauchte keinen Staatsstreich zu begehn, er brauchte die
Grenzen, die ihm durch die Gesetze gezogen sind, nicht zu überschreiten, er
brauchte bloß die Fesseln eines übertriebnen Konstitutionalisiuus abzuschütteln,
der ihm verwehren will, eine eigne Meinung zu haben, wie jeder andre
Brite.

Die Königin Viktoria bestieg den Thron, als sie kaum dem Kindesalter
entwachsen war; ohne Welterfahrung mußte sie sich ganz der Leitung ihrer
Ratgeber überlassen, und sie befand sich wohl bei einer streng konstitutionellen
Regierungsweise, die ihr Mühen und Sorgen ersparte, denen nur eine stark¬
geistige Frau gewachsen gewesen wäre. König Edward ist in reifen Jahren
auf den Thron gelangt und kennt die Wege der Welt. Er kann sich ohne
andre Hilfe seine eigne Meinung über alle Fragen der Staatsleitung bilden,
als Mann kann er schon ganz anders auftreten als seine Mutter. Ferner
sichert ihn die Stärkung des monarchischen Gefühls vor der feindseligen Be¬
urteilung, die seinem Großvheim Wilhelm IV. widerfuhr.

Es ist bequem und angenehm, alle Verantwortlichkeit auf die Minister
abschieben zu können, aber für einen thatkräftigen, selbstbewußten Charakter
muß die Rolle eines unverantwortlichen Schaustücks drückend und beschämend sein.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236362"/>
          <fw type="header" place="top"> Das englische Königtum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2060" prev="#ID_2059"> Der britische Bürger ist trotz der politischen Erziehung, die ihm nachgesagt<lb/>
wird, auch nicht weiser als andre Leute. Auf das, waS ihm sein Leibblatt<lb/>
auftischt, schwört er ohne viel Kritik wie auf ein Evangelium. Nun sind die<lb/>
meisten Zeitungen imperialistisch, folglich sind auch die meisten Wähler impe¬<lb/>
rialistisch, und das muß ein Parlamentarier bedenken, bevor er sich der Partei¬<lb/>
leitung unangenehm macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2061"> Die parlamentarische Regierungsweise hat diesem Zustande nicht vorzu¬<lb/>
beugen vermocht, sie hat ihn eher herbeiführen helfen. Wird sie fähig sein,<lb/>
den Schaden zu heilen und der Krisis zu begegnen, der die Dinge in Gro߬<lb/>
britannien zustreben? Wird sie imstande sein, sich aus der bequemen man¬<lb/>
chesterlichen Weise des Fortwnrstelns aufzuraffen, die dem gewissenlosen<lb/>
Streber Thür und Thor öffnet? Das sind Fragen, die nur die Zukunft be¬<lb/>
antworten kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2062"> Wenn es gelingt, wieder zu gesunden Verhältnissen zu gelangen, dann<lb/>
wird das Verdienst nicht dem Parlamentarismus gebühren, sondern einem<lb/>
starken Charakter, stark wie Cromwell, 'sonst käme er gegen die Parteien<lb/>
nicht auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2063"> Doch warum sollte die Heilung und Besserung nicht von oben ausgehn,<lb/>
vom Throne, der über den Parteien steht? Großbritannien braucht einem<lb/>
Mann auf seinem Königsstuhl, einen ganzen Mann, einen wirklichen König,<lb/>
der es versteht, sich gegen seinen Nebenbuhler, König Mammon, zu behaupten.<lb/>
Die Würde soll nicht den Mann zieren, sondern der Mann die Würde. Auf<lb/>
den Mann kommt es an. Noch hat die Krone Rechte genug, daß sie ihrem<lb/>
Träger Spielraum zur Bethätigung seiner Kräfte geben kann. Das Rüstzeug<lb/>
des Königtums ist durch lange Ruhe verrostet und verstaubt; aber es würde<lb/>
sich lohnen, es wieder aus dem Winkel hervorzuholen und zu nutzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2064"> Der König brauchte keinen Staatsstreich zu begehn, er brauchte die<lb/>
Grenzen, die ihm durch die Gesetze gezogen sind, nicht zu überschreiten, er<lb/>
brauchte bloß die Fesseln eines übertriebnen Konstitutionalisiuus abzuschütteln,<lb/>
der ihm verwehren will, eine eigne Meinung zu haben, wie jeder andre<lb/>
Brite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2065"> Die Königin Viktoria bestieg den Thron, als sie kaum dem Kindesalter<lb/>
entwachsen war; ohne Welterfahrung mußte sie sich ganz der Leitung ihrer<lb/>
Ratgeber überlassen, und sie befand sich wohl bei einer streng konstitutionellen<lb/>
Regierungsweise, die ihr Mühen und Sorgen ersparte, denen nur eine stark¬<lb/>
geistige Frau gewachsen gewesen wäre. König Edward ist in reifen Jahren<lb/>
auf den Thron gelangt und kennt die Wege der Welt. Er kann sich ohne<lb/>
andre Hilfe seine eigne Meinung über alle Fragen der Staatsleitung bilden,<lb/>
als Mann kann er schon ganz anders auftreten als seine Mutter. Ferner<lb/>
sichert ihn die Stärkung des monarchischen Gefühls vor der feindseligen Be¬<lb/>
urteilung, die seinem Großvheim Wilhelm IV. widerfuhr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2066"> Es ist bequem und angenehm, alle Verantwortlichkeit auf die Minister<lb/>
abschieben zu können, aber für einen thatkräftigen, selbstbewußten Charakter<lb/>
muß die Rolle eines unverantwortlichen Schaustücks drückend und beschämend sein.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0540] Das englische Königtum Der britische Bürger ist trotz der politischen Erziehung, die ihm nachgesagt wird, auch nicht weiser als andre Leute. Auf das, waS ihm sein Leibblatt auftischt, schwört er ohne viel Kritik wie auf ein Evangelium. Nun sind die meisten Zeitungen imperialistisch, folglich sind auch die meisten Wähler impe¬ rialistisch, und das muß ein Parlamentarier bedenken, bevor er sich der Partei¬ leitung unangenehm macht. Die parlamentarische Regierungsweise hat diesem Zustande nicht vorzu¬ beugen vermocht, sie hat ihn eher herbeiführen helfen. Wird sie fähig sein, den Schaden zu heilen und der Krisis zu begegnen, der die Dinge in Gro߬ britannien zustreben? Wird sie imstande sein, sich aus der bequemen man¬ chesterlichen Weise des Fortwnrstelns aufzuraffen, die dem gewissenlosen Streber Thür und Thor öffnet? Das sind Fragen, die nur die Zukunft be¬ antworten kann. Wenn es gelingt, wieder zu gesunden Verhältnissen zu gelangen, dann wird das Verdienst nicht dem Parlamentarismus gebühren, sondern einem starken Charakter, stark wie Cromwell, 'sonst käme er gegen die Parteien nicht auf. Doch warum sollte die Heilung und Besserung nicht von oben ausgehn, vom Throne, der über den Parteien steht? Großbritannien braucht einem Mann auf seinem Königsstuhl, einen ganzen Mann, einen wirklichen König, der es versteht, sich gegen seinen Nebenbuhler, König Mammon, zu behaupten. Die Würde soll nicht den Mann zieren, sondern der Mann die Würde. Auf den Mann kommt es an. Noch hat die Krone Rechte genug, daß sie ihrem Träger Spielraum zur Bethätigung seiner Kräfte geben kann. Das Rüstzeug des Königtums ist durch lange Ruhe verrostet und verstaubt; aber es würde sich lohnen, es wieder aus dem Winkel hervorzuholen und zu nutzen. Der König brauchte keinen Staatsstreich zu begehn, er brauchte die Grenzen, die ihm durch die Gesetze gezogen sind, nicht zu überschreiten, er brauchte bloß die Fesseln eines übertriebnen Konstitutionalisiuus abzuschütteln, der ihm verwehren will, eine eigne Meinung zu haben, wie jeder andre Brite. Die Königin Viktoria bestieg den Thron, als sie kaum dem Kindesalter entwachsen war; ohne Welterfahrung mußte sie sich ganz der Leitung ihrer Ratgeber überlassen, und sie befand sich wohl bei einer streng konstitutionellen Regierungsweise, die ihr Mühen und Sorgen ersparte, denen nur eine stark¬ geistige Frau gewachsen gewesen wäre. König Edward ist in reifen Jahren auf den Thron gelangt und kennt die Wege der Welt. Er kann sich ohne andre Hilfe seine eigne Meinung über alle Fragen der Staatsleitung bilden, als Mann kann er schon ganz anders auftreten als seine Mutter. Ferner sichert ihn die Stärkung des monarchischen Gefühls vor der feindseligen Be¬ urteilung, die seinem Großvheim Wilhelm IV. widerfuhr. Es ist bequem und angenehm, alle Verantwortlichkeit auf die Minister abschieben zu können, aber für einen thatkräftigen, selbstbewußten Charakter muß die Rolle eines unverantwortlichen Schaustücks drückend und beschämend sein.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/540
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/540>, abgerufen am 01.09.2024.