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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Königtum

hatte es den Anschein, als sollte es eingehn, und bei dein jüngst zu Tage ge¬
tretenen Eifer, überflüssige Hofämter abzuschaffen und den bestehn bleibenden
die Gehalte zu beschneiden, ist es nicht unwahrscheinlich, daß Alfred Austin
der letzte Hofdichter ist.

Viele der Sinekuren, die seinerzeit dem dritten Georg die Behauptung
seiner Selbstherrlichkeit ermöglichten, sind längst aufgehoben worden und ver¬
gessen. Auch die ältesten Leute können sich des Oberhofbratenwenders nicht
mehr erinnern. An andre hat erst die neuste Zeit das Messer gelegt. Die
edle Kunst der Falknerei, über die weiland Kaiser Friedrich 11. eine berühmte
Abhandlung schrieb, gehört am englischen Hofe erst seit kurzem zu den brod¬
losen Künsten. Nicht, daß sie vom Hofe gepflegt worden wäre; denn der
Falkenbeize, die noch heute von einigen Landedelleuten geübt wird, stand der
Hof fern. Aber der Herzog von Se. Albans, ein Nachkomme Karls II. und
der Eleanor Gwynn, bezog als erblicher Oberfalkenmeister von einem für sein
Dasein dankbaren Volke ein kleines Taschengeld von jährlich 895 Pfund Ster¬
ling, das erst 1891 durch eine Kapitalzahlung abgelöst worden ist. Mit dem
Regierungsantritt Edwards VII. ist auch das Amt des Meisters der Hirsch¬
meute eingegangen, was nur von den wenigen bedauert wird, denen das Hetzen
eines zahmen Hirsches Vergnügen macht. Ebenso ist die Zahl der Hofkaplüne,
die vierzig betrug, herabgesetzt worden, und im Anschluß daran ist die deutsche
Gemeinde, die seit zweihundert Jahren ihren Gottesdienst in der Kapelle des
Se. Jamespalasts gehalten hat, in ziemlich rücksichtsloser Weise an die Luft
gesetzt worden.

Verglichen mit der Zeit Georgs III. ist die heutige Hofhaltung sehr ver¬
einfacht. Die Pagen der Hintertreppe unter einen sonderbar an als eine Er¬
innerung an die Tage, wo Karl II. sein fröhliches Leben in Whitehall ver¬
brachte. Auf der Hintertreppe kam auch John Huddleston zu dem sterbenden
König, um ihn in den Schoß der allein seligmnchcnden Kirche aufzunehmen.
Über die Hintertreppe machte Jakob II. seine Anschlüge gegen die englische
Kirche. Damals bedeutete die Hintertreppe etwas, heute nichts mehr, und ihre
Pagen sind nicht länger die Hüter von Staatsgeheimnissen. In derselben Weise
haben die übrigen Posten im Haushalt an Wichtigkeit eingebüßt. Eine Be¬
einflussung der Regierung durch Stellenverleihung ist nicht mehr möglich. Die
untergeordneten Stellen bedeuten nichts außerhalb der Paläste, und die großen
Hofämter werden von der jeweiligen Regierung besetzt.

Jakob I. hatte gut sagen, man dürfe nicht darüber streiten, was der
König könne und was nicht. Es ist gerade der strittigste Punkt in der eng¬
lischen Verfassung. Eine Verfassungsurkunde, ein Pergament, das die Rechte
des Königs und der Unterthanen festlegte, giebt es so wenig wie ein bürger¬
liches Gesetzbuch. Die britische Verfassung, das britische Recht setzt sich zu¬
sammen aus einer Unzahl von Parlamentsakten, anmutig gemischt mit dem
ungeschriebne" Gewohnheitsrecht. Aber der Hauptgrundsatz der britischen Ver¬
fassung ist in keiner Parlamentsakte enthalten, sondern liegt wie überall in
den thatsächlichen Machtverhültnissen. Wenn der König von Großbritannien


Das englische Königtum

hatte es den Anschein, als sollte es eingehn, und bei dein jüngst zu Tage ge¬
tretenen Eifer, überflüssige Hofämter abzuschaffen und den bestehn bleibenden
die Gehalte zu beschneiden, ist es nicht unwahrscheinlich, daß Alfred Austin
der letzte Hofdichter ist.

Viele der Sinekuren, die seinerzeit dem dritten Georg die Behauptung
seiner Selbstherrlichkeit ermöglichten, sind längst aufgehoben worden und ver¬
gessen. Auch die ältesten Leute können sich des Oberhofbratenwenders nicht
mehr erinnern. An andre hat erst die neuste Zeit das Messer gelegt. Die
edle Kunst der Falknerei, über die weiland Kaiser Friedrich 11. eine berühmte
Abhandlung schrieb, gehört am englischen Hofe erst seit kurzem zu den brod¬
losen Künsten. Nicht, daß sie vom Hofe gepflegt worden wäre; denn der
Falkenbeize, die noch heute von einigen Landedelleuten geübt wird, stand der
Hof fern. Aber der Herzog von Se. Albans, ein Nachkomme Karls II. und
der Eleanor Gwynn, bezog als erblicher Oberfalkenmeister von einem für sein
Dasein dankbaren Volke ein kleines Taschengeld von jährlich 895 Pfund Ster¬
ling, das erst 1891 durch eine Kapitalzahlung abgelöst worden ist. Mit dem
Regierungsantritt Edwards VII. ist auch das Amt des Meisters der Hirsch¬
meute eingegangen, was nur von den wenigen bedauert wird, denen das Hetzen
eines zahmen Hirsches Vergnügen macht. Ebenso ist die Zahl der Hofkaplüne,
die vierzig betrug, herabgesetzt worden, und im Anschluß daran ist die deutsche
Gemeinde, die seit zweihundert Jahren ihren Gottesdienst in der Kapelle des
Se. Jamespalasts gehalten hat, in ziemlich rücksichtsloser Weise an die Luft
gesetzt worden.

Verglichen mit der Zeit Georgs III. ist die heutige Hofhaltung sehr ver¬
einfacht. Die Pagen der Hintertreppe unter einen sonderbar an als eine Er¬
innerung an die Tage, wo Karl II. sein fröhliches Leben in Whitehall ver¬
brachte. Auf der Hintertreppe kam auch John Huddleston zu dem sterbenden
König, um ihn in den Schoß der allein seligmnchcnden Kirche aufzunehmen.
Über die Hintertreppe machte Jakob II. seine Anschlüge gegen die englische
Kirche. Damals bedeutete die Hintertreppe etwas, heute nichts mehr, und ihre
Pagen sind nicht länger die Hüter von Staatsgeheimnissen. In derselben Weise
haben die übrigen Posten im Haushalt an Wichtigkeit eingebüßt. Eine Be¬
einflussung der Regierung durch Stellenverleihung ist nicht mehr möglich. Die
untergeordneten Stellen bedeuten nichts außerhalb der Paläste, und die großen
Hofämter werden von der jeweiligen Regierung besetzt.

Jakob I. hatte gut sagen, man dürfe nicht darüber streiten, was der
König könne und was nicht. Es ist gerade der strittigste Punkt in der eng¬
lischen Verfassung. Eine Verfassungsurkunde, ein Pergament, das die Rechte
des Königs und der Unterthanen festlegte, giebt es so wenig wie ein bürger¬
liches Gesetzbuch. Die britische Verfassung, das britische Recht setzt sich zu¬
sammen aus einer Unzahl von Parlamentsakten, anmutig gemischt mit dem
ungeschriebne» Gewohnheitsrecht. Aber der Hauptgrundsatz der britischen Ver¬
fassung ist in keiner Parlamentsakte enthalten, sondern liegt wie überall in
den thatsächlichen Machtverhültnissen. Wenn der König von Großbritannien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/531>, abgerufen am 01.09.2024.