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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Historikers für die Universität des überwiegend katholischen Reichslands nicht
so sehr ankommen. Trotzdem bleibt die sachliche prinzipielle Berechtigung des
Mommsenschcn Protestes gegen die "Konfessivnalisierung" der Wissenschaft
bestehn, ja er kann der Regierung einen Rückhalt gegen zu weit gehende An¬
sprüche des Zentrums geben.

Beinahe noch schlimmer als diese Konzession an das Zentrum ist für
manche allerdings die Oktrohierung Spahns, den die philosophische Fakultät
Strnßburg nicht nur nicht vorgeschlagen, sondern geradezu abgelehnt hat.
Dagegen hat ihr Dekan, der Archäolog Adolf Michaelis, soeben im Hamburger
"Lotsen" einen entrüsteten Protest gerichtet und zugleich die schwersten An¬
klagen auch gegen die preußische Unterrichtsverwaltung erhoben, daß sie seit
neunzehn Jahren durch büreaukratische Eingriffe das Vorschlagsrecht der Fakul¬
täten gekränkt, durch Reverse die Freiheit der Wissenschaft beschränkt habe.
Gewiß hat er damit einer unter den Professoren weitverbreiteten Stimmung
Allsdruck gegeben, aber ehe man von der preußischen Regierung fordert, daß
sie diese im erregtesten Tone vorgebrachten Beschuldigungen widerlege lwas sie
inzwischen unternommen hat), muß man von Michaelis erwarten, daß er
sie durch einzelne Beispiele, die ihm natürlich nicht fehlen werden, näher be¬
gründe (was er bis jetzt nicht gethan hat). Jedenfalls zeigt sich auch hier,
daß sie selbst ans Professorenkreisen nicht unwidersprochen bleiben; Adolf
Harnack in Berlin hat sich soeben in der Nationalzeitung aufs nachdrücklichste
gegen den "animosen Angriff" von Michaelis erklärt. Die übliche Besetzung
der Lehrstühle ans den Vorschlag der Fakultäten als der sachkundigen, also
kompetentesten Organe hat gewiß ihre großen Vorzüge; aber niemand wird
leugnen, daß es dabei zuweilen recht menschlich zugeht, daß Cliquenwesen,
Vorurteile und persönliche Rücksichten keineswegs immer ausgeschlossen sind.
Wenn also die Regierung, die doch wohl auch Sachverständige außerhalb der
beteiligten Fccknltüt zur Verfügung hat, dann und wann zu eiuer Oktroyierung
schreitet, wozu sie gesetzlich befugt ist, so kann das nnter Umständen unver¬
meidlich und wohl begründet sein. Hält sie es z. B. für notwendig, in eine
ausschließlich orthodoxe oder liberale theologische Fakultät einen Vertreter der
entgegengesetzten Richtung einzuschieben, den die Fakultät ablehnt, dann wird
sie ihn eben oktroyieren. Ähnlich hat in Straßbnrg der Kaiser gehandelt, und
zwar ans Vorschlag des Statthalters, des Fürsten von Hohenlohe-Langenburg,
und Zustimmung des Reichskanzlers und des preußischen Kultusministeriums.
Darüber geht weder die Freiheit der Wissenschaft noch auch nur die Selb¬
ständigkeit der Universitäten zu Grunde. Diese sind doch auch nicht mehr ganz
die freien, ans sich selbst ruhenden und sich selbst erhaltenden Korporationen
des Mittelalters, sondern auch Staatsanstalten, für die der Staat große Opfer
bringt, und sie sind nicht nur für die Pflege der reinen Wissenschaft da, sondern
auch für die Lehre. Darum muß der Staat auch das Recht haben, gelegentlich
in die ihnen sonst gewährte sehr weitgehende Selbständigkeit einzugreifen, wenn
es sein dringendes Interesse verlangt, und wenn er anarchistische Lehrer, die
den Staat als solchen prinzipiell verneinen, nicht dulden könnte, so wird er


Historikers für die Universität des überwiegend katholischen Reichslands nicht
so sehr ankommen. Trotzdem bleibt die sachliche prinzipielle Berechtigung des
Mommsenschcn Protestes gegen die „Konfessivnalisierung" der Wissenschaft
bestehn, ja er kann der Regierung einen Rückhalt gegen zu weit gehende An¬
sprüche des Zentrums geben.

Beinahe noch schlimmer als diese Konzession an das Zentrum ist für
manche allerdings die Oktrohierung Spahns, den die philosophische Fakultät
Strnßburg nicht nur nicht vorgeschlagen, sondern geradezu abgelehnt hat.
Dagegen hat ihr Dekan, der Archäolog Adolf Michaelis, soeben im Hamburger
„Lotsen" einen entrüsteten Protest gerichtet und zugleich die schwersten An¬
klagen auch gegen die preußische Unterrichtsverwaltung erhoben, daß sie seit
neunzehn Jahren durch büreaukratische Eingriffe das Vorschlagsrecht der Fakul¬
täten gekränkt, durch Reverse die Freiheit der Wissenschaft beschränkt habe.
Gewiß hat er damit einer unter den Professoren weitverbreiteten Stimmung
Allsdruck gegeben, aber ehe man von der preußischen Regierung fordert, daß
sie diese im erregtesten Tone vorgebrachten Beschuldigungen widerlege lwas sie
inzwischen unternommen hat), muß man von Michaelis erwarten, daß er
sie durch einzelne Beispiele, die ihm natürlich nicht fehlen werden, näher be¬
gründe (was er bis jetzt nicht gethan hat). Jedenfalls zeigt sich auch hier,
daß sie selbst ans Professorenkreisen nicht unwidersprochen bleiben; Adolf
Harnack in Berlin hat sich soeben in der Nationalzeitung aufs nachdrücklichste
gegen den „animosen Angriff" von Michaelis erklärt. Die übliche Besetzung
der Lehrstühle ans den Vorschlag der Fakultäten als der sachkundigen, also
kompetentesten Organe hat gewiß ihre großen Vorzüge; aber niemand wird
leugnen, daß es dabei zuweilen recht menschlich zugeht, daß Cliquenwesen,
Vorurteile und persönliche Rücksichten keineswegs immer ausgeschlossen sind.
Wenn also die Regierung, die doch wohl auch Sachverständige außerhalb der
beteiligten Fccknltüt zur Verfügung hat, dann und wann zu eiuer Oktroyierung
schreitet, wozu sie gesetzlich befugt ist, so kann das nnter Umständen unver¬
meidlich und wohl begründet sein. Hält sie es z. B. für notwendig, in eine
ausschließlich orthodoxe oder liberale theologische Fakultät einen Vertreter der
entgegengesetzten Richtung einzuschieben, den die Fakultät ablehnt, dann wird
sie ihn eben oktroyieren. Ähnlich hat in Straßbnrg der Kaiser gehandelt, und
zwar ans Vorschlag des Statthalters, des Fürsten von Hohenlohe-Langenburg,
und Zustimmung des Reichskanzlers und des preußischen Kultusministeriums.
Darüber geht weder die Freiheit der Wissenschaft noch auch nur die Selb¬
ständigkeit der Universitäten zu Grunde. Diese sind doch auch nicht mehr ganz
die freien, ans sich selbst ruhenden und sich selbst erhaltenden Korporationen
des Mittelalters, sondern auch Staatsanstalten, für die der Staat große Opfer
bringt, und sie sind nicht nur für die Pflege der reinen Wissenschaft da, sondern
auch für die Lehre. Darum muß der Staat auch das Recht haben, gelegentlich
in die ihnen sonst gewährte sehr weitgehende Selbständigkeit einzugreifen, wenn
es sein dringendes Interesse verlangt, und wenn er anarchistische Lehrer, die
den Staat als solchen prinzipiell verneinen, nicht dulden könnte, so wird er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/528>, abgerufen am 09.11.2024.