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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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wenn sie einmal einen Katholiken über Geschichte hören. Wir kennen einander
überhaupt noch viel zu wenig.

Aber freilich, diese Berufung ist, Iwrribils cliew, ein Zugeständnis an das
Zentrum, Gewiß, das ist sie, und wer alle Konzessionen an diese Partei ver¬
wirft, der muß natürlich auch diese als eines der vielen "traurigen Zeichen
der Zeit" bedauern, der hat aber freilich auch kein rechtes Verständnis für die
Lage der Regierung, Es frommt nicht, alte Wunden nufznreißen, aber That¬
sache ist es eben doch, daß das Zentrum seine Stellung als ausschlaggebende
Partei den Liberalen verdankt, als diese sich in ihrem Doktrinarismus 1879
dem Fürsten Bismarck für die Durchführung seiner nationalen Steuer- und
Wirtschaftspolitik versagten, ihn damit zwangen, den unseligen Kulturkampf,
dein gerade sie zugejubelt hatten, mit einer Reihe von Konzessionen, jedenfalls
nicht als Sieger, zu beenden, und die konservativ-klerikale Mehrheit zu bilden,
die seitdem den Reichstag beherrscht. Die Verwandlung aller andern Parteien
in wirtschaftliche Jnteressenparteien und das Schwinden des alten, zuweilen
doktrinären, jedenfalls aber lebendigen Idealismus hat dann die Stellung des
Zentrums noch mehr befestigt, und heute kann keine Mehrheit zustande kommen
ohne das Zentrum, d, h, also, das Deutsche Reich kann nicht mehr regiert
werden ohne, geschweige denn gegen das Zentrum. Das ist sehr beschämend
für die andern, aber alle Klagen und alles Schimpfen schafft diese leidige
Thatsache nicht aus der Welt, und die Reichsregierung muß mit den That¬
sachen rechnen, uicht mit Klagen und Wünschen, mit der Macht, nicht mit der
Ohnmacht. Die Zukunft des Reichs beruht in der That zu einem nicht ge¬
ringen Teile daraus, daß die katholischen Deutschen, die das Kaisertum eines
protestantischen Herrscherhauses mit Mißtrauen begrüßten und eben deshalb das
Zentrum begründeten, die dann durch den Kulturkampf schwer gereizt wurden,
sich nicht als Auchdeutsche, als Deutsche zweiter Klasse fühlen, sondern als
Vvlldeutsche, daß sie darum nnter Umständen auch in Rom diesen nationalen
Standpunkt energischer zur Geltung bringen, als es bisher offenbar meist ge¬
schehn ist, und einen größern Einfluß auf die italienische Oberleitung ihrer
Kirche gewinnen, als sie bis jetzt wohl, haben. Es besteht ja uicht die ge¬
ringste Gefahr, daß wir unsre katholischen Landsleute in eine ähnliche Lage
versetzen, wie die katholische Reformation in der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts die Protestanten, die schließlich ausländische Hilfe annahmen,
weil das Reich ihnen ihr Recht versagte, beides zum Verderben Deutschlands.
Aber nur haben so furchtbar unter dem konfessionellen Zwiespalt gelitten, daß
es die heiligste Pflicht beider Parteien ist, seinen Einfluß auf unser öffentliches
Leben möglichst zu beschränken. Bei Strafe der Vernichtung dürfen wir kon¬
fessionelle Politik nicht treiben. Man kann annehmen, daß der Kaiser eben
jenes Ziel beharrlich verfolgt und z. B. in der Ernennung des "Altdeutschen"
Benzler zu"? Bischof von Metz wie des Weihbischofs Zorn von Bulach für
Straßburg ein großes Zugeständnis vom Vatikan erlangt hat, denn im Sinne
des französierenden Klerus der Reichslande sind diese Berufungen wahrhaftig
nicht gewesen. Da konnte es ihm auf die Ernennung eines katholischen


wenn sie einmal einen Katholiken über Geschichte hören. Wir kennen einander
überhaupt noch viel zu wenig.

Aber freilich, diese Berufung ist, Iwrribils cliew, ein Zugeständnis an das
Zentrum, Gewiß, das ist sie, und wer alle Konzessionen an diese Partei ver¬
wirft, der muß natürlich auch diese als eines der vielen „traurigen Zeichen
der Zeit" bedauern, der hat aber freilich auch kein rechtes Verständnis für die
Lage der Regierung, Es frommt nicht, alte Wunden nufznreißen, aber That¬
sache ist es eben doch, daß das Zentrum seine Stellung als ausschlaggebende
Partei den Liberalen verdankt, als diese sich in ihrem Doktrinarismus 1879
dem Fürsten Bismarck für die Durchführung seiner nationalen Steuer- und
Wirtschaftspolitik versagten, ihn damit zwangen, den unseligen Kulturkampf,
dein gerade sie zugejubelt hatten, mit einer Reihe von Konzessionen, jedenfalls
nicht als Sieger, zu beenden, und die konservativ-klerikale Mehrheit zu bilden,
die seitdem den Reichstag beherrscht. Die Verwandlung aller andern Parteien
in wirtschaftliche Jnteressenparteien und das Schwinden des alten, zuweilen
doktrinären, jedenfalls aber lebendigen Idealismus hat dann die Stellung des
Zentrums noch mehr befestigt, und heute kann keine Mehrheit zustande kommen
ohne das Zentrum, d, h, also, das Deutsche Reich kann nicht mehr regiert
werden ohne, geschweige denn gegen das Zentrum. Das ist sehr beschämend
für die andern, aber alle Klagen und alles Schimpfen schafft diese leidige
Thatsache nicht aus der Welt, und die Reichsregierung muß mit den That¬
sachen rechnen, uicht mit Klagen und Wünschen, mit der Macht, nicht mit der
Ohnmacht. Die Zukunft des Reichs beruht in der That zu einem nicht ge¬
ringen Teile daraus, daß die katholischen Deutschen, die das Kaisertum eines
protestantischen Herrscherhauses mit Mißtrauen begrüßten und eben deshalb das
Zentrum begründeten, die dann durch den Kulturkampf schwer gereizt wurden,
sich nicht als Auchdeutsche, als Deutsche zweiter Klasse fühlen, sondern als
Vvlldeutsche, daß sie darum nnter Umständen auch in Rom diesen nationalen
Standpunkt energischer zur Geltung bringen, als es bisher offenbar meist ge¬
schehn ist, und einen größern Einfluß auf die italienische Oberleitung ihrer
Kirche gewinnen, als sie bis jetzt wohl, haben. Es besteht ja uicht die ge¬
ringste Gefahr, daß wir unsre katholischen Landsleute in eine ähnliche Lage
versetzen, wie die katholische Reformation in der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts die Protestanten, die schließlich ausländische Hilfe annahmen,
weil das Reich ihnen ihr Recht versagte, beides zum Verderben Deutschlands.
Aber nur haben so furchtbar unter dem konfessionellen Zwiespalt gelitten, daß
es die heiligste Pflicht beider Parteien ist, seinen Einfluß auf unser öffentliches
Leben möglichst zu beschränken. Bei Strafe der Vernichtung dürfen wir kon¬
fessionelle Politik nicht treiben. Man kann annehmen, daß der Kaiser eben
jenes Ziel beharrlich verfolgt und z. B. in der Ernennung des „Altdeutschen"
Benzler zu»? Bischof von Metz wie des Weihbischofs Zorn von Bulach für
Straßburg ein großes Zugeständnis vom Vatikan erlangt hat, denn im Sinne
des französierenden Klerus der Reichslande sind diese Berufungen wahrhaftig
nicht gewesen. Da konnte es ihm auf die Ernennung eines katholischen


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[0527] wenn sie einmal einen Katholiken über Geschichte hören. Wir kennen einander überhaupt noch viel zu wenig. Aber freilich, diese Berufung ist, Iwrribils cliew, ein Zugeständnis an das Zentrum, Gewiß, das ist sie, und wer alle Konzessionen an diese Partei ver¬ wirft, der muß natürlich auch diese als eines der vielen „traurigen Zeichen der Zeit" bedauern, der hat aber freilich auch kein rechtes Verständnis für die Lage der Regierung, Es frommt nicht, alte Wunden nufznreißen, aber That¬ sache ist es eben doch, daß das Zentrum seine Stellung als ausschlaggebende Partei den Liberalen verdankt, als diese sich in ihrem Doktrinarismus 1879 dem Fürsten Bismarck für die Durchführung seiner nationalen Steuer- und Wirtschaftspolitik versagten, ihn damit zwangen, den unseligen Kulturkampf, dein gerade sie zugejubelt hatten, mit einer Reihe von Konzessionen, jedenfalls nicht als Sieger, zu beenden, und die konservativ-klerikale Mehrheit zu bilden, die seitdem den Reichstag beherrscht. Die Verwandlung aller andern Parteien in wirtschaftliche Jnteressenparteien und das Schwinden des alten, zuweilen doktrinären, jedenfalls aber lebendigen Idealismus hat dann die Stellung des Zentrums noch mehr befestigt, und heute kann keine Mehrheit zustande kommen ohne das Zentrum, d, h, also, das Deutsche Reich kann nicht mehr regiert werden ohne, geschweige denn gegen das Zentrum. Das ist sehr beschämend für die andern, aber alle Klagen und alles Schimpfen schafft diese leidige Thatsache nicht aus der Welt, und die Reichsregierung muß mit den That¬ sachen rechnen, uicht mit Klagen und Wünschen, mit der Macht, nicht mit der Ohnmacht. Die Zukunft des Reichs beruht in der That zu einem nicht ge¬ ringen Teile daraus, daß die katholischen Deutschen, die das Kaisertum eines protestantischen Herrscherhauses mit Mißtrauen begrüßten und eben deshalb das Zentrum begründeten, die dann durch den Kulturkampf schwer gereizt wurden, sich nicht als Auchdeutsche, als Deutsche zweiter Klasse fühlen, sondern als Vvlldeutsche, daß sie darum nnter Umständen auch in Rom diesen nationalen Standpunkt energischer zur Geltung bringen, als es bisher offenbar meist ge¬ schehn ist, und einen größern Einfluß auf die italienische Oberleitung ihrer Kirche gewinnen, als sie bis jetzt wohl, haben. Es besteht ja uicht die ge¬ ringste Gefahr, daß wir unsre katholischen Landsleute in eine ähnliche Lage versetzen, wie die katholische Reformation in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die Protestanten, die schließlich ausländische Hilfe annahmen, weil das Reich ihnen ihr Recht versagte, beides zum Verderben Deutschlands. Aber nur haben so furchtbar unter dem konfessionellen Zwiespalt gelitten, daß es die heiligste Pflicht beider Parteien ist, seinen Einfluß auf unser öffentliches Leben möglichst zu beschränken. Bei Strafe der Vernichtung dürfen wir kon¬ fessionelle Politik nicht treiben. Man kann annehmen, daß der Kaiser eben jenes Ziel beharrlich verfolgt und z. B. in der Ernennung des „Altdeutschen" Benzler zu»? Bischof von Metz wie des Weihbischofs Zorn von Bulach für Straßburg ein großes Zugeständnis vom Vatikan erlangt hat, denn im Sinne des französierenden Klerus der Reichslande sind diese Berufungen wahrhaftig nicht gewesen. Da konnte es ihm auf die Ernennung eines katholischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/527>, abgerufen am 01.09.2024.