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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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und unpassenden Gelegenheit immer das hervorgehoben wird, was uns trennt,
sondern das, was uns gemeinsam ist, das Vaterland und die trotz alledem
doch übereinstimmende christliche Weltanschauung,

Von hier aus wird nun wohl auch die Berufung des katholischen Histo¬
rikers Martin spähn neben der des Protestanten Friedrich Meinecke nach
Straßburg in einem etwas andern Lichte erscheinen, als die Proteste Theodor
Mvmmsens und einer großen Anzahl von Professoren deutscher Universitäten
zunächst zugeben wollen. Gewiß, spähn ist als Katholik berufen worden, und er
hätte den Ruf, wäre er das nicht, vielleicht nicht erhalten, obwohl gegen seine
wissenschaftliche Tüchtigkeit gar nichts eingewandt werden kann, aber er ist für
katholische Geschichte so wenig berufen worden wie Meinecke für protestantische.
W, Giesebrecht und H. Sybel wären von König Max nach München ver¬
mutlich auch dann berufen worden, wenn sie Katholiken gewesen wären, aber
sie waren eben doch Protestanten, und vielleicht war das in den Augen des
Königs sogar ein Borzug, weil er sich von ihnen eine größere Unbefangenheit
versprach, als von seinen katholischen Bajuvaren, die niemals über die
blauweiße "Reichsgrenze" hinausgekommen waren. Jedenfalls sollte aber
ihre Ernennung keine "Konfessionalisierung der Wissenschaft" im protestan¬
tischen Sinne bedeuten, obwohl sich die echten und gerechten Münchner über
diese "Ketzer" und "Fremden" seiner Zeit gerade so aufgehalten haben, wie
jetzt andre Leute über den Katholiken spähn. Immerhin verdient hervorge¬
hoben zu werden, daß die Zustiinmungserklärungen zu Mvmmsens Protest
alles andre sind, als eine einmütige .Kundgebung der deutschen Universitäts¬
lehrer.

Eine Reihe der deutscheu Universitäten hat sich überhaupt gar nicht ge¬
rührt, und unter den Namen der Leipziger Professoren fehlt etwa ein Dutzend
sehr ansehnlicher, sehr gewichtiger Unterschriften. Man sollte denken, wenn
die Freiheit der Wissenschaft durch den katholischen GeschichtSprofessvr in Stra߬
burg wirklich so schwer bedroht ist, dann hätte ein Sturm der Entrüstung von
Königsberg bis Bonn und von Kiel bis Tübingen brausen müssen, oder ist
das bei den Hunderten von Professoren, die nicht unterschrieben haben, etwa
Charakterschwäche und Liebedienerei? Das behauptet doch im Ernste kein Mensch.
Wie sich spähn mit seiner schwierigen Aufgabe abfinden wird, das ist seine
Sache. Seine katholische Weltanschauung mag er natürlich vertreten , wo sie
hingehört, wenn er nur nicht seine wissenschaftliche Ehrlichkeit verleugnet, denn
mit schließlich doch berechtigter Rücksicht auf die katholische Studentenschaft ist
er berufen, und man kann sagen- so gut wie etwa eine evangelisch-theologische
Fakultät Professoren positiver und liberaler Richtung umschließt, wie sie geradezu
den einen wegen dieser, den andern wegen jener Richtung beruft, also ihn
darauf auch bis zu einem gewissen Grade verpflichtet, damit die Studenten
nicht einseitig gebildet werden, sondern verschiedne Anschauungen miteinander
vergleichen können, so gut können auch Historiker verschiedner Konfessionen
gedeihlich nebeneinander wirken, wie es in München, Würzburg, Bonn längst
der Fall ist, und es kann auch protestantischen Studenten gar nichts schaden,


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und unpassenden Gelegenheit immer das hervorgehoben wird, was uns trennt,
sondern das, was uns gemeinsam ist, das Vaterland und die trotz alledem
doch übereinstimmende christliche Weltanschauung,

Von hier aus wird nun wohl auch die Berufung des katholischen Histo¬
rikers Martin spähn neben der des Protestanten Friedrich Meinecke nach
Straßburg in einem etwas andern Lichte erscheinen, als die Proteste Theodor
Mvmmsens und einer großen Anzahl von Professoren deutscher Universitäten
zunächst zugeben wollen. Gewiß, spähn ist als Katholik berufen worden, und er
hätte den Ruf, wäre er das nicht, vielleicht nicht erhalten, obwohl gegen seine
wissenschaftliche Tüchtigkeit gar nichts eingewandt werden kann, aber er ist für
katholische Geschichte so wenig berufen worden wie Meinecke für protestantische.
W, Giesebrecht und H. Sybel wären von König Max nach München ver¬
mutlich auch dann berufen worden, wenn sie Katholiken gewesen wären, aber
sie waren eben doch Protestanten, und vielleicht war das in den Augen des
Königs sogar ein Borzug, weil er sich von ihnen eine größere Unbefangenheit
versprach, als von seinen katholischen Bajuvaren, die niemals über die
blauweiße „Reichsgrenze" hinausgekommen waren. Jedenfalls sollte aber
ihre Ernennung keine „Konfessionalisierung der Wissenschaft" im protestan¬
tischen Sinne bedeuten, obwohl sich die echten und gerechten Münchner über
diese „Ketzer" und „Fremden" seiner Zeit gerade so aufgehalten haben, wie
jetzt andre Leute über den Katholiken spähn. Immerhin verdient hervorge¬
hoben zu werden, daß die Zustiinmungserklärungen zu Mvmmsens Protest
alles andre sind, als eine einmütige .Kundgebung der deutschen Universitäts¬
lehrer.

Eine Reihe der deutscheu Universitäten hat sich überhaupt gar nicht ge¬
rührt, und unter den Namen der Leipziger Professoren fehlt etwa ein Dutzend
sehr ansehnlicher, sehr gewichtiger Unterschriften. Man sollte denken, wenn
die Freiheit der Wissenschaft durch den katholischen GeschichtSprofessvr in Stra߬
burg wirklich so schwer bedroht ist, dann hätte ein Sturm der Entrüstung von
Königsberg bis Bonn und von Kiel bis Tübingen brausen müssen, oder ist
das bei den Hunderten von Professoren, die nicht unterschrieben haben, etwa
Charakterschwäche und Liebedienerei? Das behauptet doch im Ernste kein Mensch.
Wie sich spähn mit seiner schwierigen Aufgabe abfinden wird, das ist seine
Sache. Seine katholische Weltanschauung mag er natürlich vertreten , wo sie
hingehört, wenn er nur nicht seine wissenschaftliche Ehrlichkeit verleugnet, denn
mit schließlich doch berechtigter Rücksicht auf die katholische Studentenschaft ist
er berufen, und man kann sagen- so gut wie etwa eine evangelisch-theologische
Fakultät Professoren positiver und liberaler Richtung umschließt, wie sie geradezu
den einen wegen dieser, den andern wegen jener Richtung beruft, also ihn
darauf auch bis zu einem gewissen Grade verpflichtet, damit die Studenten
nicht einseitig gebildet werden, sondern verschiedne Anschauungen miteinander
vergleichen können, so gut können auch Historiker verschiedner Konfessionen
gedeihlich nebeneinander wirken, wie es in München, Würzburg, Bonn längst
der Fall ist, und es kann auch protestantischen Studenten gar nichts schaden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/526>, abgerufen am 01.09.2024.