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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Böcklin

Stets frech, wie jeder, der unfehlbar, also kritiklos, lächelnd von sich überzeugt
ist. Und der Majorität imponiert ein sicheres Auftreten immer, danach wird
einer beurteilt, zudem sagten und schrieen sie es von jeher einander in die
Ohren; daher die Rolle, die sie in Europa und besonders in dem schwerfälligen,
derben oder bescheidnen Deutschland spielen konnten."

Wir wollen diese Blütenlese nicht weiter fortsetzen bis auf Tizian und
Raffael und stellen ihr lieber die um so höhere Schätzung der Niederländer
-- der südlichen bis auf Rubens mit den reinen Farben, nicht der holländischen
Snncemaler -- und der Altdeutschen gegenüber. Daß ihm Rubens imponierte,
versteht sich so sehr von selbst, daß es dafür gar keines Hinweises auf einzelne
Bilder oder ganze Gruppen des einen oder des andern bedarf, wozu außerdem ja
auch noch jedesmal die klugem Leute bemerken könnten, da seien doch andrer¬
seits auch recht große Verschiedenheiten. Floerke erzählt, daß sich Böcklin bei
Besuchen in den Ufsizien nicht etwa nach den Florentinern umgesehen habe,
sondern daß er außer uach den zwei großen Darstellungen aus dem Leben
Heinrichs IV. von Rubens im Niobidenscml hauptsächlich uach Rogier van der
Weyden und Memling lief, die er auf das höchste bewunderte, und dn auf jeden
vou diesen beiden dort gerade ein Bild kommt, so konnte er wenigstens bald damit
fertig sein. Auch so oft er in München war, ließ er sich zu seinem geliebten
Rogier van der Weyden in der Pinakothek führen und demonstrierte dann an
Lukas, der die Madonna zeichnet, die Luft in dem Zimmer, die wohlthuende
Sauberkeit, das offne Fenster, die Reinlichkeit und Verständlichkeit des Land-
schaftsdurchblicks -- ah! "Nein, dieser Rogier van der Weyden, bis ins letzte,
kleinste hinein ist alles bei ihm belebt, alles durch und durch verstünden, alles
künstlerisch, nichts gepfuscht. Und womit und wie das gemalt ist, ist um
vollends ein Rätsel usw." Noch rätselhafter ist diese Hingebung des deko¬
rativen Großmalers an einen Miniaturisten, wie man Rogier beinahe nennen
möchte, denn in den ganz kleinen Maßen ist er um glücklichsten, und bei
Memling liegt die Sache ebenso, indessen die Natur spielt ja manches bunte
Spiel, und es kommt anch noch besser: "Schauen Sie mal hin auf die An¬
betung der Könige, mau könnte meinen, das sei bloß so blan und rot usw.
ikonographisch uebeneinnudergesetzt. Und ich versichre, alles ist die klügste,
nirgends ein Loch lassende Berechnung, ein Exempel, das auf jede Probe
stimmt." Sogar die Farben genügen also hier dem Anspruchsvollen, der
übrigens von seinem vieljährigen tiefen Studium der alten Maltechniken her
neben seltnen Kenntnissen auch manche fixe Idee mit sich herumtrug. So er¬
klärte er, wie wir von Schick wissen, Goldton, kühle Färbung und dergleichen
für Kuustgelehrtcugeschwätz, das seie" allemal nnr Zustände der Verderbnis
eines Bildes, und bei Floerke sagt er, man könne ja kein altes Bild mehr
auf seiue Farbe hin beurteilen. Aber Rogier?

Außer bei deu Flamländeru findet er uur noch bei den Altdeutschen das,
was er selbst in der Natur sieht und sucht, famos sind die Manuel Deutsch,
BeHain, Hans Waldung, Urs Graf usw. im Basler Museum, Holbein hin-


Böcklin

Stets frech, wie jeder, der unfehlbar, also kritiklos, lächelnd von sich überzeugt
ist. Und der Majorität imponiert ein sicheres Auftreten immer, danach wird
einer beurteilt, zudem sagten und schrieen sie es von jeher einander in die
Ohren; daher die Rolle, die sie in Europa und besonders in dem schwerfälligen,
derben oder bescheidnen Deutschland spielen konnten."

Wir wollen diese Blütenlese nicht weiter fortsetzen bis auf Tizian und
Raffael und stellen ihr lieber die um so höhere Schätzung der Niederländer
— der südlichen bis auf Rubens mit den reinen Farben, nicht der holländischen
Snncemaler — und der Altdeutschen gegenüber. Daß ihm Rubens imponierte,
versteht sich so sehr von selbst, daß es dafür gar keines Hinweises auf einzelne
Bilder oder ganze Gruppen des einen oder des andern bedarf, wozu außerdem ja
auch noch jedesmal die klugem Leute bemerken könnten, da seien doch andrer¬
seits auch recht große Verschiedenheiten. Floerke erzählt, daß sich Böcklin bei
Besuchen in den Ufsizien nicht etwa nach den Florentinern umgesehen habe,
sondern daß er außer uach den zwei großen Darstellungen aus dem Leben
Heinrichs IV. von Rubens im Niobidenscml hauptsächlich uach Rogier van der
Weyden und Memling lief, die er auf das höchste bewunderte, und dn auf jeden
vou diesen beiden dort gerade ein Bild kommt, so konnte er wenigstens bald damit
fertig sein. Auch so oft er in München war, ließ er sich zu seinem geliebten
Rogier van der Weyden in der Pinakothek führen und demonstrierte dann an
Lukas, der die Madonna zeichnet, die Luft in dem Zimmer, die wohlthuende
Sauberkeit, das offne Fenster, die Reinlichkeit und Verständlichkeit des Land-
schaftsdurchblicks — ah! „Nein, dieser Rogier van der Weyden, bis ins letzte,
kleinste hinein ist alles bei ihm belebt, alles durch und durch verstünden, alles
künstlerisch, nichts gepfuscht. Und womit und wie das gemalt ist, ist um
vollends ein Rätsel usw." Noch rätselhafter ist diese Hingebung des deko¬
rativen Großmalers an einen Miniaturisten, wie man Rogier beinahe nennen
möchte, denn in den ganz kleinen Maßen ist er um glücklichsten, und bei
Memling liegt die Sache ebenso, indessen die Natur spielt ja manches bunte
Spiel, und es kommt anch noch besser: „Schauen Sie mal hin auf die An¬
betung der Könige, mau könnte meinen, das sei bloß so blan und rot usw.
ikonographisch uebeneinnudergesetzt. Und ich versichre, alles ist die klügste,
nirgends ein Loch lassende Berechnung, ein Exempel, das auf jede Probe
stimmt." Sogar die Farben genügen also hier dem Anspruchsvollen, der
übrigens von seinem vieljährigen tiefen Studium der alten Maltechniken her
neben seltnen Kenntnissen auch manche fixe Idee mit sich herumtrug. So er¬
klärte er, wie wir von Schick wissen, Goldton, kühle Färbung und dergleichen
für Kuustgelehrtcugeschwätz, das seie» allemal nnr Zustände der Verderbnis
eines Bildes, und bei Floerke sagt er, man könne ja kein altes Bild mehr
auf seiue Farbe hin beurteilen. Aber Rogier?

Außer bei deu Flamländeru findet er uur noch bei den Altdeutschen das,
was er selbst in der Natur sieht und sucht, famos sind die Manuel Deutsch,
BeHain, Hans Waldung, Urs Graf usw. im Basler Museum, Holbein hin-


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[0495] Böcklin Stets frech, wie jeder, der unfehlbar, also kritiklos, lächelnd von sich überzeugt ist. Und der Majorität imponiert ein sicheres Auftreten immer, danach wird einer beurteilt, zudem sagten und schrieen sie es von jeher einander in die Ohren; daher die Rolle, die sie in Europa und besonders in dem schwerfälligen, derben oder bescheidnen Deutschland spielen konnten." Wir wollen diese Blütenlese nicht weiter fortsetzen bis auf Tizian und Raffael und stellen ihr lieber die um so höhere Schätzung der Niederländer — der südlichen bis auf Rubens mit den reinen Farben, nicht der holländischen Snncemaler — und der Altdeutschen gegenüber. Daß ihm Rubens imponierte, versteht sich so sehr von selbst, daß es dafür gar keines Hinweises auf einzelne Bilder oder ganze Gruppen des einen oder des andern bedarf, wozu außerdem ja auch noch jedesmal die klugem Leute bemerken könnten, da seien doch andrer¬ seits auch recht große Verschiedenheiten. Floerke erzählt, daß sich Böcklin bei Besuchen in den Ufsizien nicht etwa nach den Florentinern umgesehen habe, sondern daß er außer uach den zwei großen Darstellungen aus dem Leben Heinrichs IV. von Rubens im Niobidenscml hauptsächlich uach Rogier van der Weyden und Memling lief, die er auf das höchste bewunderte, und dn auf jeden vou diesen beiden dort gerade ein Bild kommt, so konnte er wenigstens bald damit fertig sein. Auch so oft er in München war, ließ er sich zu seinem geliebten Rogier van der Weyden in der Pinakothek führen und demonstrierte dann an Lukas, der die Madonna zeichnet, die Luft in dem Zimmer, die wohlthuende Sauberkeit, das offne Fenster, die Reinlichkeit und Verständlichkeit des Land- schaftsdurchblicks — ah! „Nein, dieser Rogier van der Weyden, bis ins letzte, kleinste hinein ist alles bei ihm belebt, alles durch und durch verstünden, alles künstlerisch, nichts gepfuscht. Und womit und wie das gemalt ist, ist um vollends ein Rätsel usw." Noch rätselhafter ist diese Hingebung des deko¬ rativen Großmalers an einen Miniaturisten, wie man Rogier beinahe nennen möchte, denn in den ganz kleinen Maßen ist er um glücklichsten, und bei Memling liegt die Sache ebenso, indessen die Natur spielt ja manches bunte Spiel, und es kommt anch noch besser: „Schauen Sie mal hin auf die An¬ betung der Könige, mau könnte meinen, das sei bloß so blan und rot usw. ikonographisch uebeneinnudergesetzt. Und ich versichre, alles ist die klügste, nirgends ein Loch lassende Berechnung, ein Exempel, das auf jede Probe stimmt." Sogar die Farben genügen also hier dem Anspruchsvollen, der übrigens von seinem vieljährigen tiefen Studium der alten Maltechniken her neben seltnen Kenntnissen auch manche fixe Idee mit sich herumtrug. So er¬ klärte er, wie wir von Schick wissen, Goldton, kühle Färbung und dergleichen für Kuustgelehrtcugeschwätz, das seie» allemal nnr Zustände der Verderbnis eines Bildes, und bei Floerke sagt er, man könne ja kein altes Bild mehr auf seiue Farbe hin beurteilen. Aber Rogier? Außer bei deu Flamländeru findet er uur noch bei den Altdeutschen das, was er selbst in der Natur sieht und sucht, famos sind die Manuel Deutsch, BeHain, Hans Waldung, Urs Graf usw. im Basler Museum, Holbein hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/495>, abgerufen am 01.09.2024.