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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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schwammen und Teppiche webten inmitten einer bunten asiatisch-afrikanischen
Welt: als ob diese genußfrohen, lebendigen Menschen eine bleiche, weiße
Plastik Hütten haben können! Aber Winckelmann siegte, und unsre Plastik
blieb gespenstisch und tot bis auf den heutigen Tag, dafern nicht hin und
wieder einer den Mut gefunden hat, sie zu bemalen, wie man die Ostereier
bemalt. Die Frage ist klar, bemerkt Floerke, daß wir mit dem Bekenntnis
zu der farbigen Skulptur die Renaissance aufgeben müssen; das hat man sich
durchaus vor Augen zu halten, theoretisch wie praktisch ist es mit ihrem Lehr¬
amt aus. Wenn wir andern, denen das nicht so klar ist und auch nicht ganz
so leicht sein würde, fragen, was wir dann dafür bekämen, so finden wir eine
Antwort darauf vielleicht in folgendem Satz auf einer andern Buchseite: "Man
kann hinter jedem Renaissance-Hinz und Kunz herlaufen und braucht doch kein
Verhältnis zu Böcklin zu haben; mau kann sogar die Regesten Michelangelos
schreiben und braucht noch lange nichts von Kunst zu versteht?." Hier inter¬
essiert uns weniger die leicht zu erratende Adresse, an die die Worte gerichtet
sind, als die Gleichung: Bö cklin -- Kunst.

In seiner Malerei sind nun entscheidend die ganzen, dreisten, offnen
Farben (andre nennen sie manchmal schreiend), reine Farben ohne die Sauce,
in der die Verlegenheits- und Verlogenheitsmnler ihr Nichtskönnen verbergen;
sie sind in unsrer weiß-grau-schwarzen Zeit verdächtig und scheinen alleinstehend
übertrieben, aber durch berechnete Gegensätze auf ein wahrscheinliches Niveau
zurückgeführt, solle" und können sie die Leuchtkraft der Natur (unter dem italie¬
nischen Himmel) besser und wahrer wiedergeben, als die zahmen gebrochnen
Palcttentöne mit ihrem geringen Umfang es vermögen. Aber Farbe als
Selbstzweck ist ihn? Unsinn, und die heiligen Konversationen der Italiener sind
ihm verächtlich, weil er in ihrem unzureichenden Kolvrismus überall "Schnn-
seleien" bemerkt. "Ton" im heutigen Malerjnrgou ist ihm ein unfaßbares
Ding, die alten Holländer haben ihn, lind für einen Maler ist er ebenso selbst¬
verständlich wie die Farbe, zwei Dinge, die da sein müssen, wenn überhaupt
von Malerei geredet werden soll, implicite, als Mittel, mit denen die Aufgabe
des malenden Künstlers erst anfängt. Als solche wird uns immer oder doch
meistens hingestellt nicht die Wiedergabe der nennr, sondern seine Freude an
ihrem Ausdruck, etwas Persönliches also, in das sich der Betrachtende zu finden
und zu füge" hat -- die bekannte Forderung der Hyperüsthetiker, daß man sich
als Nichtkünstler dem Kunstwerk hinzugeben und an den Künstler auszuliefern
habe (wie es beispielsweise Konrad Fiedler an Hans von Marecs that)
-- Kritik wäre da soviel wie Krittelei --, das einzig Gebotnc ist Vcrstehen-
lernen, und wenn uns etwas nicht beigeht, so liegt das immer nur an uns
Armen. Es ist ja auch sonst schon manchesmal öffentlich verkündet worden,
"icht, daß Bvcklius Farben das oder das Eigentümliche, sondern daß wir uns
an sie zu "gewöhnen" hätten, und in den äußerst seltnen Fällen, wo Floerke
eine Ausstellung macht (nicht an den Farben, sondern überhaupt), hat er gleich
eine erklärende oder bedingende Einschränkung zur Hand. Daß wir selbst


schwammen und Teppiche webten inmitten einer bunten asiatisch-afrikanischen
Welt: als ob diese genußfrohen, lebendigen Menschen eine bleiche, weiße
Plastik Hütten haben können! Aber Winckelmann siegte, und unsre Plastik
blieb gespenstisch und tot bis auf den heutigen Tag, dafern nicht hin und
wieder einer den Mut gefunden hat, sie zu bemalen, wie man die Ostereier
bemalt. Die Frage ist klar, bemerkt Floerke, daß wir mit dem Bekenntnis
zu der farbigen Skulptur die Renaissance aufgeben müssen; das hat man sich
durchaus vor Augen zu halten, theoretisch wie praktisch ist es mit ihrem Lehr¬
amt aus. Wenn wir andern, denen das nicht so klar ist und auch nicht ganz
so leicht sein würde, fragen, was wir dann dafür bekämen, so finden wir eine
Antwort darauf vielleicht in folgendem Satz auf einer andern Buchseite: „Man
kann hinter jedem Renaissance-Hinz und Kunz herlaufen und braucht doch kein
Verhältnis zu Böcklin zu haben; mau kann sogar die Regesten Michelangelos
schreiben und braucht noch lange nichts von Kunst zu versteht?." Hier inter¬
essiert uns weniger die leicht zu erratende Adresse, an die die Worte gerichtet
sind, als die Gleichung: Bö cklin — Kunst.

In seiner Malerei sind nun entscheidend die ganzen, dreisten, offnen
Farben (andre nennen sie manchmal schreiend), reine Farben ohne die Sauce,
in der die Verlegenheits- und Verlogenheitsmnler ihr Nichtskönnen verbergen;
sie sind in unsrer weiß-grau-schwarzen Zeit verdächtig und scheinen alleinstehend
übertrieben, aber durch berechnete Gegensätze auf ein wahrscheinliches Niveau
zurückgeführt, solle» und können sie die Leuchtkraft der Natur (unter dem italie¬
nischen Himmel) besser und wahrer wiedergeben, als die zahmen gebrochnen
Palcttentöne mit ihrem geringen Umfang es vermögen. Aber Farbe als
Selbstzweck ist ihn? Unsinn, und die heiligen Konversationen der Italiener sind
ihm verächtlich, weil er in ihrem unzureichenden Kolvrismus überall „Schnn-
seleien" bemerkt. „Ton" im heutigen Malerjnrgou ist ihm ein unfaßbares
Ding, die alten Holländer haben ihn, lind für einen Maler ist er ebenso selbst¬
verständlich wie die Farbe, zwei Dinge, die da sein müssen, wenn überhaupt
von Malerei geredet werden soll, implicite, als Mittel, mit denen die Aufgabe
des malenden Künstlers erst anfängt. Als solche wird uns immer oder doch
meistens hingestellt nicht die Wiedergabe der nennr, sondern seine Freude an
ihrem Ausdruck, etwas Persönliches also, in das sich der Betrachtende zu finden
und zu füge» hat — die bekannte Forderung der Hyperüsthetiker, daß man sich
als Nichtkünstler dem Kunstwerk hinzugeben und an den Künstler auszuliefern
habe (wie es beispielsweise Konrad Fiedler an Hans von Marecs that)
— Kritik wäre da soviel wie Krittelei —, das einzig Gebotnc ist Vcrstehen-
lernen, und wenn uns etwas nicht beigeht, so liegt das immer nur an uns
Armen. Es ist ja auch sonst schon manchesmal öffentlich verkündet worden,
»icht, daß Bvcklius Farben das oder das Eigentümliche, sondern daß wir uns
an sie zu „gewöhnen" hätten, und in den äußerst seltnen Fällen, wo Floerke
eine Ausstellung macht (nicht an den Farben, sondern überhaupt), hat er gleich
eine erklärende oder bedingende Einschränkung zur Hand. Daß wir selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/491>, abgerufen am 01.09.2024.