Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Böcklin

Nun wird es gewiß überraschen, zu erfahren, daß Böcklin bloß die äußere
Natur mit ihrem reinern Licht und den ungebrochnen Farben nach Italien
hingezogen hat, daß ihm die Menschen dort, nicht nur die heutigen sondern
auch die Neuaissaneeoukel, sogar von Herzen zuwider gewesen sind. Nur der
Boden hat ihn beeinflußt, nicht das Menschentum, am allerwenigsten das der
Kunst auf den florentinischen Bildern, die er um des Technischen willen
studierte, und wenn er Motive daraus aufnahm, Gartenmauern, Nischen, schmale
Teppiche mit Landschaftsausblick zu beiden Seiten, so wollte er mit solchen
äußerlichen Mitteln die Einbildungskraft seines Publikums stärken; Entlehnung
oder Anlehnung war das nicht, lehrt Floerke. Auch was man so Antike
nennt, gab Böcklin nur, weil sich darin seine Phantasie freier bewegen konnte,
ohne vorgeschriebne Kostüme und mit der Möglichkeit des Nackten; alles sind
äußerliche Mittel, mit denen er Eignes und Persönliches geben wollte. "Wer
sich nicht als Beschauer an ein Kunstwerk ausliefert, wer nicht gläubig mit
gutem Willen, sondern kritisch (mit sozusagen bösem Willen!) herantritt, hat
schon keine Berechtigung mehr mitzusprechen." Wir meinen nun aber doch
ohne Bosheit nach wie vor, daß bei einem Kunstwerk entscheidet, nicht, was
der Künstler damit gewollt oder sich etwa dabei gedacht hat, sondern was es
im fertigen Zustande ist und wie es wirkt. Da kann es Wirkungen geben
von der Unmittelbarkeit eines Naturklangs in der Lyrik -- über die ist alles
Reden überflüssig. Böcklins Kunst aber ist ein auf das höchste verfeinertes
Erzeugnis, es hängt mit tausend Fäden an einer alten historischen Kultur und
setzt Betrachter voraus, die mit diesen Bedingungen vertraut, also in irgend
einer Weise vorgebildet siud. Nur die ganz feinen Kunstmenschen können sich
einbilden, zu ihnen spräche Böcklin ohne weiteres, weil ihnen ihre eigne Bildung
etwas selbstverständliches ist, und wo ihnen dann noch etwas nicht ganz ge¬
heuer vorkommt, da finden sie noch zum Überfluß bei Floerke irgend einen
starken Spruch, z. B. "Nicht die Natur hat den Künstler, sondern er hat sie."
Alle andern Menschen bedürfen zunächst, ehe sie hier an das Künstlerische
kommen, der Zurückversetzuug in die ihnen durchaus nicht geläufigen historischen
Bedingungen, sie müssen doch wissen, warum es Böcklin so natürlich war, sich
italienisch oder antik zu äußern, wie es Floerke für den Künstler findet, wie sie
selbst es jedoch zunächst ganz und gar nicht finden -- also einer Art von
Schulmeisteren, mag es nun die vulgäre unsrer "verwissenschaftlichten Streber¬
zeit" sein, die Floerke so sehr verdrießt, oder seine eigne, eine Selekta für
die Auserwählten, die schon viele Klassen hinter sich haben müssen. Wir
denken uns etwa in die Lage eines Unterlehrers und versuchen uns in dem
Pensum der höchsten, reinlichste" Stufe zurechtzufinden.

Ernster, gründlicher und zugleich umfassender in seinen Studien ist wohl
kein Maler zu Werke gegangen, und mit dem sichern Urteil einer festen
Bildung stand er über seinen Arbeiten, denn über alles forderte er sich Rechen¬
schaft ab und ruhte uicht, als bis er zur Klarheit gekommen war. Wie uner¬
müdlich er den Lichtwirkungen und der farbigen Erscheinung in der Natur


Grenzboten IV 1901 "1
Böcklin

Nun wird es gewiß überraschen, zu erfahren, daß Böcklin bloß die äußere
Natur mit ihrem reinern Licht und den ungebrochnen Farben nach Italien
hingezogen hat, daß ihm die Menschen dort, nicht nur die heutigen sondern
auch die Neuaissaneeoukel, sogar von Herzen zuwider gewesen sind. Nur der
Boden hat ihn beeinflußt, nicht das Menschentum, am allerwenigsten das der
Kunst auf den florentinischen Bildern, die er um des Technischen willen
studierte, und wenn er Motive daraus aufnahm, Gartenmauern, Nischen, schmale
Teppiche mit Landschaftsausblick zu beiden Seiten, so wollte er mit solchen
äußerlichen Mitteln die Einbildungskraft seines Publikums stärken; Entlehnung
oder Anlehnung war das nicht, lehrt Floerke. Auch was man so Antike
nennt, gab Böcklin nur, weil sich darin seine Phantasie freier bewegen konnte,
ohne vorgeschriebne Kostüme und mit der Möglichkeit des Nackten; alles sind
äußerliche Mittel, mit denen er Eignes und Persönliches geben wollte. „Wer
sich nicht als Beschauer an ein Kunstwerk ausliefert, wer nicht gläubig mit
gutem Willen, sondern kritisch (mit sozusagen bösem Willen!) herantritt, hat
schon keine Berechtigung mehr mitzusprechen." Wir meinen nun aber doch
ohne Bosheit nach wie vor, daß bei einem Kunstwerk entscheidet, nicht, was
der Künstler damit gewollt oder sich etwa dabei gedacht hat, sondern was es
im fertigen Zustande ist und wie es wirkt. Da kann es Wirkungen geben
von der Unmittelbarkeit eines Naturklangs in der Lyrik — über die ist alles
Reden überflüssig. Böcklins Kunst aber ist ein auf das höchste verfeinertes
Erzeugnis, es hängt mit tausend Fäden an einer alten historischen Kultur und
setzt Betrachter voraus, die mit diesen Bedingungen vertraut, also in irgend
einer Weise vorgebildet siud. Nur die ganz feinen Kunstmenschen können sich
einbilden, zu ihnen spräche Böcklin ohne weiteres, weil ihnen ihre eigne Bildung
etwas selbstverständliches ist, und wo ihnen dann noch etwas nicht ganz ge¬
heuer vorkommt, da finden sie noch zum Überfluß bei Floerke irgend einen
starken Spruch, z. B. „Nicht die Natur hat den Künstler, sondern er hat sie."
Alle andern Menschen bedürfen zunächst, ehe sie hier an das Künstlerische
kommen, der Zurückversetzuug in die ihnen durchaus nicht geläufigen historischen
Bedingungen, sie müssen doch wissen, warum es Böcklin so natürlich war, sich
italienisch oder antik zu äußern, wie es Floerke für den Künstler findet, wie sie
selbst es jedoch zunächst ganz und gar nicht finden — also einer Art von
Schulmeisteren, mag es nun die vulgäre unsrer „verwissenschaftlichten Streber¬
zeit" sein, die Floerke so sehr verdrießt, oder seine eigne, eine Selekta für
die Auserwählten, die schon viele Klassen hinter sich haben müssen. Wir
denken uns etwa in die Lage eines Unterlehrers und versuchen uns in dem
Pensum der höchsten, reinlichste» Stufe zurechtzufinden.

Ernster, gründlicher und zugleich umfassender in seinen Studien ist wohl
kein Maler zu Werke gegangen, und mit dem sichern Urteil einer festen
Bildung stand er über seinen Arbeiten, denn über alles forderte er sich Rechen¬
schaft ab und ruhte uicht, als bis er zur Klarheit gekommen war. Wie uner¬
müdlich er den Lichtwirkungen und der farbigen Erscheinung in der Natur


Grenzboten IV 1901 «1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236311"/>
          <fw type="header" place="top"> Böcklin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1840"> Nun wird es gewiß überraschen, zu erfahren, daß Böcklin bloß die äußere<lb/>
Natur mit ihrem reinern Licht und den ungebrochnen Farben nach Italien<lb/>
hingezogen hat, daß ihm die Menschen dort, nicht nur die heutigen sondern<lb/>
auch die Neuaissaneeoukel, sogar von Herzen zuwider gewesen sind. Nur der<lb/>
Boden hat ihn beeinflußt, nicht das Menschentum, am allerwenigsten das der<lb/>
Kunst auf den florentinischen Bildern, die er um des Technischen willen<lb/>
studierte, und wenn er Motive daraus aufnahm, Gartenmauern, Nischen, schmale<lb/>
Teppiche mit Landschaftsausblick zu beiden Seiten, so wollte er mit solchen<lb/>
äußerlichen Mitteln die Einbildungskraft seines Publikums stärken; Entlehnung<lb/>
oder Anlehnung war das nicht, lehrt Floerke. Auch was man so Antike<lb/>
nennt, gab Böcklin nur, weil sich darin seine Phantasie freier bewegen konnte,<lb/>
ohne vorgeschriebne Kostüme und mit der Möglichkeit des Nackten; alles sind<lb/>
äußerliche Mittel, mit denen er Eignes und Persönliches geben wollte. &#x201E;Wer<lb/>
sich nicht als Beschauer an ein Kunstwerk ausliefert, wer nicht gläubig mit<lb/>
gutem Willen, sondern kritisch (mit sozusagen bösem Willen!) herantritt, hat<lb/>
schon keine Berechtigung mehr mitzusprechen." Wir meinen nun aber doch<lb/>
ohne Bosheit nach wie vor, daß bei einem Kunstwerk entscheidet, nicht, was<lb/>
der Künstler damit gewollt oder sich etwa dabei gedacht hat, sondern was es<lb/>
im fertigen Zustande ist und wie es wirkt. Da kann es Wirkungen geben<lb/>
von der Unmittelbarkeit eines Naturklangs in der Lyrik &#x2014; über die ist alles<lb/>
Reden überflüssig. Böcklins Kunst aber ist ein auf das höchste verfeinertes<lb/>
Erzeugnis, es hängt mit tausend Fäden an einer alten historischen Kultur und<lb/>
setzt Betrachter voraus, die mit diesen Bedingungen vertraut, also in irgend<lb/>
einer Weise vorgebildet siud. Nur die ganz feinen Kunstmenschen können sich<lb/>
einbilden, zu ihnen spräche Böcklin ohne weiteres, weil ihnen ihre eigne Bildung<lb/>
etwas selbstverständliches ist, und wo ihnen dann noch etwas nicht ganz ge¬<lb/>
heuer vorkommt, da finden sie noch zum Überfluß bei Floerke irgend einen<lb/>
starken Spruch, z. B. &#x201E;Nicht die Natur hat den Künstler, sondern er hat sie."<lb/>
Alle andern Menschen bedürfen zunächst, ehe sie hier an das Künstlerische<lb/>
kommen, der Zurückversetzuug in die ihnen durchaus nicht geläufigen historischen<lb/>
Bedingungen, sie müssen doch wissen, warum es Böcklin so natürlich war, sich<lb/>
italienisch oder antik zu äußern, wie es Floerke für den Künstler findet, wie sie<lb/>
selbst es jedoch zunächst ganz und gar nicht finden &#x2014; also einer Art von<lb/>
Schulmeisteren, mag es nun die vulgäre unsrer &#x201E;verwissenschaftlichten Streber¬<lb/>
zeit" sein, die Floerke so sehr verdrießt, oder seine eigne, eine Selekta für<lb/>
die Auserwählten, die schon viele Klassen hinter sich haben müssen. Wir<lb/>
denken uns etwa in die Lage eines Unterlehrers und versuchen uns in dem<lb/>
Pensum der höchsten, reinlichste» Stufe zurechtzufinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1841" next="#ID_1842"> Ernster, gründlicher und zugleich umfassender in seinen Studien ist wohl<lb/>
kein Maler zu Werke gegangen, und mit dem sichern Urteil einer festen<lb/>
Bildung stand er über seinen Arbeiten, denn über alles forderte er sich Rechen¬<lb/>
schaft ab und ruhte uicht, als bis er zur Klarheit gekommen war. Wie uner¬<lb/>
müdlich er den Lichtwirkungen und der farbigen Erscheinung in der Natur</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1901 «1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] Böcklin Nun wird es gewiß überraschen, zu erfahren, daß Böcklin bloß die äußere Natur mit ihrem reinern Licht und den ungebrochnen Farben nach Italien hingezogen hat, daß ihm die Menschen dort, nicht nur die heutigen sondern auch die Neuaissaneeoukel, sogar von Herzen zuwider gewesen sind. Nur der Boden hat ihn beeinflußt, nicht das Menschentum, am allerwenigsten das der Kunst auf den florentinischen Bildern, die er um des Technischen willen studierte, und wenn er Motive daraus aufnahm, Gartenmauern, Nischen, schmale Teppiche mit Landschaftsausblick zu beiden Seiten, so wollte er mit solchen äußerlichen Mitteln die Einbildungskraft seines Publikums stärken; Entlehnung oder Anlehnung war das nicht, lehrt Floerke. Auch was man so Antike nennt, gab Böcklin nur, weil sich darin seine Phantasie freier bewegen konnte, ohne vorgeschriebne Kostüme und mit der Möglichkeit des Nackten; alles sind äußerliche Mittel, mit denen er Eignes und Persönliches geben wollte. „Wer sich nicht als Beschauer an ein Kunstwerk ausliefert, wer nicht gläubig mit gutem Willen, sondern kritisch (mit sozusagen bösem Willen!) herantritt, hat schon keine Berechtigung mehr mitzusprechen." Wir meinen nun aber doch ohne Bosheit nach wie vor, daß bei einem Kunstwerk entscheidet, nicht, was der Künstler damit gewollt oder sich etwa dabei gedacht hat, sondern was es im fertigen Zustande ist und wie es wirkt. Da kann es Wirkungen geben von der Unmittelbarkeit eines Naturklangs in der Lyrik — über die ist alles Reden überflüssig. Böcklins Kunst aber ist ein auf das höchste verfeinertes Erzeugnis, es hängt mit tausend Fäden an einer alten historischen Kultur und setzt Betrachter voraus, die mit diesen Bedingungen vertraut, also in irgend einer Weise vorgebildet siud. Nur die ganz feinen Kunstmenschen können sich einbilden, zu ihnen spräche Böcklin ohne weiteres, weil ihnen ihre eigne Bildung etwas selbstverständliches ist, und wo ihnen dann noch etwas nicht ganz ge¬ heuer vorkommt, da finden sie noch zum Überfluß bei Floerke irgend einen starken Spruch, z. B. „Nicht die Natur hat den Künstler, sondern er hat sie." Alle andern Menschen bedürfen zunächst, ehe sie hier an das Künstlerische kommen, der Zurückversetzuug in die ihnen durchaus nicht geläufigen historischen Bedingungen, sie müssen doch wissen, warum es Böcklin so natürlich war, sich italienisch oder antik zu äußern, wie es Floerke für den Künstler findet, wie sie selbst es jedoch zunächst ganz und gar nicht finden — also einer Art von Schulmeisteren, mag es nun die vulgäre unsrer „verwissenschaftlichten Streber¬ zeit" sein, die Floerke so sehr verdrießt, oder seine eigne, eine Selekta für die Auserwählten, die schon viele Klassen hinter sich haben müssen. Wir denken uns etwa in die Lage eines Unterlehrers und versuchen uns in dem Pensum der höchsten, reinlichste» Stufe zurechtzufinden. Ernster, gründlicher und zugleich umfassender in seinen Studien ist wohl kein Maler zu Werke gegangen, und mit dem sichern Urteil einer festen Bildung stand er über seinen Arbeiten, denn über alles forderte er sich Rechen¬ schaft ab und ruhte uicht, als bis er zur Klarheit gekommen war. Wie uner¬ müdlich er den Lichtwirkungen und der farbigen Erscheinung in der Natur Grenzboten IV 1901 «1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/489>, abgerufen am 01.09.2024.