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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Böcklin

Die Schriftgelehrten kommen überhaupt schlecht weg, bei ihm ebenso wie
bei seinem Interpreten, z. B. der Züricher Archäologieprvfessor, dem Böcklins
Meerbewohner nicht antik genug sind, und der die Hälse seiner Schwäne
"schön krumm" haben will, weil er nicht einsieht, daß der Künstler gerade dn
gestreckte Linien brauchte, wohinein sich natürlich nicht bloß Professoren, sondern
auch Schwäne zu finden haben werden. So ein federschwingendcr Schulmeister
weist allen Ernstes ans Meiers oder Müllers archäologischen Handbuch nach,
daß die Sirenen gar nicht so ausgesehen haben wie die bei Böcklin, oder daß
dessen Einhorn sein Horn anders trägt als das auf Seite so und so; der
ärmste findet eben den Weg nicht aus seiner festgenagelten Überlieferung
hinaus in das Reich der freien Phantasie, der Laune, des Künstlcrhnmors.
Natürlich, denn wenn man den gefunden hat wie Floerke, so ist man ja auch
schon lauge kein richtiger Professor mehr. Floerke lehrt uus, daß die Ästhetik
der Böcklinschen Bilder mit der des herrschenden Gelehrtentums "venig Ähnlich¬
keit habe. Die große Menge könne da nichts mit den gelernten Phrasen an¬
fangen, und kein äußeres Hilfsmittel strecke aus einem Gemälde dem Bilduugs-
menschen die Hand entgegen, kein stupend gemaltes Kostüm, keine dramatische
Erregung oder Charakteristik, weder Erbauung noch Patriotismus -- jede
Eselsbrücke fehlt, nur die Kunst waltet hier mit ihren eigensten Mitteln, aller¬
dings sich höchster Deutlichkeit befleißigend, aber ihre Sprache vernimmt nicht
der Verstandesmensch, sondern nur der "Sehende," sei es, daß er noch un¬
befangen anzuschauen vermag, was heutzutage kaum noch vorkommt, sei es,
daß er sich den Bildungsstand unsers Jahrhunderts wieder aus Augen und
Herz gewischt hat, was auch nicht jedem mehr gelingt. Hoffnungslos schwer
also dieses "Sehen," so gut wie unmöglich beinahe, und da die Brücke fehlt,
so bleibt für den Verstandesmenschen, der sich zu diesem kunstpädagogischen
Kursus anmeldet, nur das mit dem Esel als unangenehmer Nachgeschmack
seines bisherigen Lebens zurück.

Was Floerke über Böcklins Art zu arbeiten und seine künstlerischen Ab¬
sichten sagt, ist recht interessant, zum Teil deckt es sich mit den Mitteilungen
Schlaks, aber es geht weiter, manches ist bestimmter, andres ganz neu in dieser
Ausführlichkeit. Man wußte, daß Böcklin gegen die Mvdellmnlerei eingenommen
war; jetzt hören wir, daß, so oft er selbst ein Modell gebrauchte, er dieses in
einem besondern, zweiten Raume sitzen ließ, es sollte nur seiue Erinnerung
auffrischen, seiue Phantasie möblieren, nicht aber sich vordrängen und als zu¬
fällige Erscheinung ihn von dem Ganzen seiner Vorstellung ablenken; auf dem
Wege vom Nebenzimmer in das Atelier verlor dann der Eindruck von seiner
schädlichen Stärke. Er malte auch in den Jahren, wo ihn Floerke kannte,
schon lange, lauge ohne Studien, früher hatte er viel nach der Natur gemalt
und gezeichnet, aber später fand er, daß das Arbeiten vor der Natur unfrei
mache und unfähig, Zufälliges auszuscheiden, und er tadelte und bespottete es
an andern. Die meisten jungen Maler würden durch zu vieles Studieumalen
verdorben, das sollte verboten werden; wer immer nur den augenblicklichen


Böcklin

Die Schriftgelehrten kommen überhaupt schlecht weg, bei ihm ebenso wie
bei seinem Interpreten, z. B. der Züricher Archäologieprvfessor, dem Böcklins
Meerbewohner nicht antik genug sind, und der die Hälse seiner Schwäne
„schön krumm" haben will, weil er nicht einsieht, daß der Künstler gerade dn
gestreckte Linien brauchte, wohinein sich natürlich nicht bloß Professoren, sondern
auch Schwäne zu finden haben werden. So ein federschwingendcr Schulmeister
weist allen Ernstes ans Meiers oder Müllers archäologischen Handbuch nach,
daß die Sirenen gar nicht so ausgesehen haben wie die bei Böcklin, oder daß
dessen Einhorn sein Horn anders trägt als das auf Seite so und so; der
ärmste findet eben den Weg nicht aus seiner festgenagelten Überlieferung
hinaus in das Reich der freien Phantasie, der Laune, des Künstlcrhnmors.
Natürlich, denn wenn man den gefunden hat wie Floerke, so ist man ja auch
schon lauge kein richtiger Professor mehr. Floerke lehrt uus, daß die Ästhetik
der Böcklinschen Bilder mit der des herrschenden Gelehrtentums »venig Ähnlich¬
keit habe. Die große Menge könne da nichts mit den gelernten Phrasen an¬
fangen, und kein äußeres Hilfsmittel strecke aus einem Gemälde dem Bilduugs-
menschen die Hand entgegen, kein stupend gemaltes Kostüm, keine dramatische
Erregung oder Charakteristik, weder Erbauung noch Patriotismus — jede
Eselsbrücke fehlt, nur die Kunst waltet hier mit ihren eigensten Mitteln, aller¬
dings sich höchster Deutlichkeit befleißigend, aber ihre Sprache vernimmt nicht
der Verstandesmensch, sondern nur der „Sehende," sei es, daß er noch un¬
befangen anzuschauen vermag, was heutzutage kaum noch vorkommt, sei es,
daß er sich den Bildungsstand unsers Jahrhunderts wieder aus Augen und
Herz gewischt hat, was auch nicht jedem mehr gelingt. Hoffnungslos schwer
also dieses „Sehen," so gut wie unmöglich beinahe, und da die Brücke fehlt,
so bleibt für den Verstandesmenschen, der sich zu diesem kunstpädagogischen
Kursus anmeldet, nur das mit dem Esel als unangenehmer Nachgeschmack
seines bisherigen Lebens zurück.

Was Floerke über Böcklins Art zu arbeiten und seine künstlerischen Ab¬
sichten sagt, ist recht interessant, zum Teil deckt es sich mit den Mitteilungen
Schlaks, aber es geht weiter, manches ist bestimmter, andres ganz neu in dieser
Ausführlichkeit. Man wußte, daß Böcklin gegen die Mvdellmnlerei eingenommen
war; jetzt hören wir, daß, so oft er selbst ein Modell gebrauchte, er dieses in
einem besondern, zweiten Raume sitzen ließ, es sollte nur seiue Erinnerung
auffrischen, seiue Phantasie möblieren, nicht aber sich vordrängen und als zu¬
fällige Erscheinung ihn von dem Ganzen seiner Vorstellung ablenken; auf dem
Wege vom Nebenzimmer in das Atelier verlor dann der Eindruck von seiner
schädlichen Stärke. Er malte auch in den Jahren, wo ihn Floerke kannte,
schon lange, lauge ohne Studien, früher hatte er viel nach der Natur gemalt
und gezeichnet, aber später fand er, daß das Arbeiten vor der Natur unfrei
mache und unfähig, Zufälliges auszuscheiden, und er tadelte und bespottete es
an andern. Die meisten jungen Maler würden durch zu vieles Studieumalen
verdorben, das sollte verboten werden; wer immer nur den augenblicklichen


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[0486] Böcklin Die Schriftgelehrten kommen überhaupt schlecht weg, bei ihm ebenso wie bei seinem Interpreten, z. B. der Züricher Archäologieprvfessor, dem Böcklins Meerbewohner nicht antik genug sind, und der die Hälse seiner Schwäne „schön krumm" haben will, weil er nicht einsieht, daß der Künstler gerade dn gestreckte Linien brauchte, wohinein sich natürlich nicht bloß Professoren, sondern auch Schwäne zu finden haben werden. So ein federschwingendcr Schulmeister weist allen Ernstes ans Meiers oder Müllers archäologischen Handbuch nach, daß die Sirenen gar nicht so ausgesehen haben wie die bei Böcklin, oder daß dessen Einhorn sein Horn anders trägt als das auf Seite so und so; der ärmste findet eben den Weg nicht aus seiner festgenagelten Überlieferung hinaus in das Reich der freien Phantasie, der Laune, des Künstlcrhnmors. Natürlich, denn wenn man den gefunden hat wie Floerke, so ist man ja auch schon lauge kein richtiger Professor mehr. Floerke lehrt uus, daß die Ästhetik der Böcklinschen Bilder mit der des herrschenden Gelehrtentums »venig Ähnlich¬ keit habe. Die große Menge könne da nichts mit den gelernten Phrasen an¬ fangen, und kein äußeres Hilfsmittel strecke aus einem Gemälde dem Bilduugs- menschen die Hand entgegen, kein stupend gemaltes Kostüm, keine dramatische Erregung oder Charakteristik, weder Erbauung noch Patriotismus — jede Eselsbrücke fehlt, nur die Kunst waltet hier mit ihren eigensten Mitteln, aller¬ dings sich höchster Deutlichkeit befleißigend, aber ihre Sprache vernimmt nicht der Verstandesmensch, sondern nur der „Sehende," sei es, daß er noch un¬ befangen anzuschauen vermag, was heutzutage kaum noch vorkommt, sei es, daß er sich den Bildungsstand unsers Jahrhunderts wieder aus Augen und Herz gewischt hat, was auch nicht jedem mehr gelingt. Hoffnungslos schwer also dieses „Sehen," so gut wie unmöglich beinahe, und da die Brücke fehlt, so bleibt für den Verstandesmenschen, der sich zu diesem kunstpädagogischen Kursus anmeldet, nur das mit dem Esel als unangenehmer Nachgeschmack seines bisherigen Lebens zurück. Was Floerke über Böcklins Art zu arbeiten und seine künstlerischen Ab¬ sichten sagt, ist recht interessant, zum Teil deckt es sich mit den Mitteilungen Schlaks, aber es geht weiter, manches ist bestimmter, andres ganz neu in dieser Ausführlichkeit. Man wußte, daß Böcklin gegen die Mvdellmnlerei eingenommen war; jetzt hören wir, daß, so oft er selbst ein Modell gebrauchte, er dieses in einem besondern, zweiten Raume sitzen ließ, es sollte nur seiue Erinnerung auffrischen, seiue Phantasie möblieren, nicht aber sich vordrängen und als zu¬ fällige Erscheinung ihn von dem Ganzen seiner Vorstellung ablenken; auf dem Wege vom Nebenzimmer in das Atelier verlor dann der Eindruck von seiner schädlichen Stärke. Er malte auch in den Jahren, wo ihn Floerke kannte, schon lange, lauge ohne Studien, früher hatte er viel nach der Natur gemalt und gezeichnet, aber später fand er, daß das Arbeiten vor der Natur unfrei mache und unfähig, Zufälliges auszuscheiden, und er tadelte und bespottete es an andern. Die meisten jungen Maler würden durch zu vieles Studieumalen verdorben, das sollte verboten werden; wer immer nur den augenblicklichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/486>, abgerufen am 01.09.2024.