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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Königtum

Blaubart Heinrich VIII., die verschlafne Elisabeth, der weise Narr Jakob I.,
der bigotte Jakob II,, der Wüstling Georg IV,, sie alle sind typisch für ihre
Art. Wen nach Schauermären gelüstet, hier findet er sie in Fülle, Die
deutsche Geschichte ist dagegen von einer geradezu idyllischen Zahmheit. Von
den englischen Königen seit der normannischen Eroberung haben zwei den Tod
auf dein Schlachtfelde gefunden, nicht weniger als sechs sind durch Mord oder
Henkershand umgekommen, gar nicht zu reden von Königinnen und Prinzen,
die eines gewaltsamen Todes starben. Es mutet einen als eine wahre Er¬
leichterung an, als ein humorvoller Streich der Weltgeschichte, daß England
auch einen. König aufweisen kann, der an Überfressnng mit Neunaugen starb.

Wie Deutschland, so bietet auch England im Mittelalter das Schauspiel
der Empörung der Vasallen gegen die Lehnsherren. Kräftige Herrscher wissen
die Aufsässigen zu böudigeu, schwache müssen sich ihnen fügen. Bald steht die
königliche Macht hoch, bald zeigt sie ein Bild der Ohnmacht. Wenn sie sich
stark fühlt, vermag sie die Thatenlust des Adels nach Frankreich abzulenken,
ist sie schwach, so wird das Land von Parteikämpfen zerrissen. Durch Jahr¬
hunderte stehn sich so Königtum und Adel gegenüber. Was dem Königtum
zum Schlüsse das Übergewicht gab, war der Krieg der beide" Rosen, der den
Adel in zwei gleiche Lager schied, die einander aufrieben.

Wo man nicht davor zurückschreckt, Königsblut zu vergießen, da können
geringere Personen nicht auf Erbarmen hoffen. Fast jede Schlacht in den
Parteikämpfen hat als Nachspiel die Hinrichtung der Besiegten als Hochver¬
räter, bis endlich am Ende der Nosenkriege mit den beiden Häusern Dort
und Lancaster auch ihre Parteigänger ausgerottet sind. Zu derselben Zeit
also, wo in Deutschland das Kleinfürstentum zur Selbständigkeit gegenüber
der Spitze des Ganzen gelangte, verschwand es in England ganz von der
Bühne und überließ dem Königtum der Tudors eine Machtvollkommenheit,
die nur von der Wilhelms des Eroberers übertroffen wurde.

Die Tudors waren mächtig, aber dabei auch mit einem guten Maße von
Klugheit ausgestattet. Es siel ihnen uicht ein, nach der Abschaffung des
Parlaments zu streben. Sie hüteten sich, die alten hergebrachten Formen
durch neue zu ersetzen. Es genügte ihnen, daß ihr Wille ausschlaggebend
war und im Parlament ein gefügiges Werkzeug fand. Elisabeth ging von
allen am weitesten in der Vernachlässigung des Parlaments. Sie berief es so
selten wie möglich ein, und mir, wenn bei den unruhigen Zeitläuften sogar
ihre knausernde Sparsamkeit nicht imstande war, den Staatshaushalt aus den
gewöhnlichen Einnahmen der Krone zu bestreiten. Wäre ihre Negierung
durchweg friedlich gewesen, wer weiß, ob sie eS nicht hatte ganz einschlafen
lassen. Nur ungern befaßte sie sich mit ihren getreuen Lords und Gemeinen.
Einer Geldbewilligung gingen immer Klagen und Forderungen ans Abstellung
von Mißbrünchen voraus, und neben dem neuen Adel, den sie nicht zu fürchten
brauchte, begannen jetzt die bescheidnen Gemeinen sich zu fühlen, die das Auf¬
blühn von Handel und Gewerbe als Steuerzahler gegen früher zu größerer
Bedeutung erhob. Aber Elisabeth wußte gut mit dem Parlament auszukommen,


Das englische Königtum

Blaubart Heinrich VIII., die verschlafne Elisabeth, der weise Narr Jakob I.,
der bigotte Jakob II,, der Wüstling Georg IV,, sie alle sind typisch für ihre
Art. Wen nach Schauermären gelüstet, hier findet er sie in Fülle, Die
deutsche Geschichte ist dagegen von einer geradezu idyllischen Zahmheit. Von
den englischen Königen seit der normannischen Eroberung haben zwei den Tod
auf dein Schlachtfelde gefunden, nicht weniger als sechs sind durch Mord oder
Henkershand umgekommen, gar nicht zu reden von Königinnen und Prinzen,
die eines gewaltsamen Todes starben. Es mutet einen als eine wahre Er¬
leichterung an, als ein humorvoller Streich der Weltgeschichte, daß England
auch einen. König aufweisen kann, der an Überfressnng mit Neunaugen starb.

Wie Deutschland, so bietet auch England im Mittelalter das Schauspiel
der Empörung der Vasallen gegen die Lehnsherren. Kräftige Herrscher wissen
die Aufsässigen zu böudigeu, schwache müssen sich ihnen fügen. Bald steht die
königliche Macht hoch, bald zeigt sie ein Bild der Ohnmacht. Wenn sie sich
stark fühlt, vermag sie die Thatenlust des Adels nach Frankreich abzulenken,
ist sie schwach, so wird das Land von Parteikämpfen zerrissen. Durch Jahr¬
hunderte stehn sich so Königtum und Adel gegenüber. Was dem Königtum
zum Schlüsse das Übergewicht gab, war der Krieg der beide» Rosen, der den
Adel in zwei gleiche Lager schied, die einander aufrieben.

Wo man nicht davor zurückschreckt, Königsblut zu vergießen, da können
geringere Personen nicht auf Erbarmen hoffen. Fast jede Schlacht in den
Parteikämpfen hat als Nachspiel die Hinrichtung der Besiegten als Hochver¬
räter, bis endlich am Ende der Nosenkriege mit den beiden Häusern Dort
und Lancaster auch ihre Parteigänger ausgerottet sind. Zu derselben Zeit
also, wo in Deutschland das Kleinfürstentum zur Selbständigkeit gegenüber
der Spitze des Ganzen gelangte, verschwand es in England ganz von der
Bühne und überließ dem Königtum der Tudors eine Machtvollkommenheit,
die nur von der Wilhelms des Eroberers übertroffen wurde.

Die Tudors waren mächtig, aber dabei auch mit einem guten Maße von
Klugheit ausgestattet. Es siel ihnen uicht ein, nach der Abschaffung des
Parlaments zu streben. Sie hüteten sich, die alten hergebrachten Formen
durch neue zu ersetzen. Es genügte ihnen, daß ihr Wille ausschlaggebend
war und im Parlament ein gefügiges Werkzeug fand. Elisabeth ging von
allen am weitesten in der Vernachlässigung des Parlaments. Sie berief es so
selten wie möglich ein, und mir, wenn bei den unruhigen Zeitläuften sogar
ihre knausernde Sparsamkeit nicht imstande war, den Staatshaushalt aus den
gewöhnlichen Einnahmen der Krone zu bestreiten. Wäre ihre Negierung
durchweg friedlich gewesen, wer weiß, ob sie eS nicht hatte ganz einschlafen
lassen. Nur ungern befaßte sie sich mit ihren getreuen Lords und Gemeinen.
Einer Geldbewilligung gingen immer Klagen und Forderungen ans Abstellung
von Mißbrünchen voraus, und neben dem neuen Adel, den sie nicht zu fürchten
brauchte, begannen jetzt die bescheidnen Gemeinen sich zu fühlen, die das Auf¬
blühn von Handel und Gewerbe als Steuerzahler gegen früher zu größerer
Bedeutung erhob. Aber Elisabeth wußte gut mit dem Parlament auszukommen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/469>, abgerufen am 28.07.2024.