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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Jas englische Königtum

nötigen Änderungen eine Rückkehr zu den Formen des alten germanischen
Königtums mit seinem Witenagemote.

Freilich darf man nicht zuviel Gewicht auf die Formen legen. Denn vor
allem kommt es doch auf die Männer ein, die diese Formen handhaben, und
günstige oder ungünstige Umstände spielen eine große Rolle, Die Staaten,
die aus dem Reiche Karls des Große"? hervorgingen, begannen ihr selbständiges
Dasein mit denselben Formen der Herrschaft, Doch wie verschieden ist ihre
Entwicklung! In Frankreich endet sie in einer einheitlichen unumschränkten
Monarchie, in Deutschland in einem Chaos kleiner Länderfetzen, die der könig¬
lichen Obergewalt spotten. Aus dein geheimnisvollen Walten einer Volksseele
läßt sich diese Verschiedenheit, nicht erklären,

Frankreich hatte den Vorzug, daß seit dem Abgang der Karolinger ein
und dasselbe Geschlecht herrschte, und daß der Schwerpunkt des Ganzen immer
in Franzien lag. In Deutschland dagegen war der Sitz der Königsgewalt
bald in Sachsen, bald in Franken, bald in Schwaben, und jedes neue Herrscher¬
haus hatte die Arbeit nationaler Einigung von neuem zu beginnen, ohne je
Zeit zu haben, auf der Bcchu weiter zu kommen als seine Vorgänger. Nehmen
wir aber an, ein kraftvolles Geschlecht hätte ohne Wechsel den deutschen Königs¬
thron innegehabt, so bedarf es keiner kühnen Einbildungskraft, sich ein andres
Deutschland auszumalen. Das Wahlkönigtum hätte bald auch in der Form
dem erblichen Platz gemacht, dem es gelungen wäre, die deutschen Stämme zu
einem nationalen Ganzen zu verschmelzen. Unter einem starken, wirklich
deutschen Königtum hätte die Reformation keine Spaltung im deutschen Volke,
vielleicht nicht einmal in der Kirche selbst bewirkt, kein Dreißigjähriger Krieg
hätte unsre Fluren verheert, und der mächtige Überschuß unsrer Bevölkerung
hätte, anstatt unter den Schlägen der Schweden, Kroaten und Franzosen zu
verbluten, Amerika mit deutschen Ansiedlern besetzen können, bevor das meer-
umschlungne Albion Zeit fand, sich zu besinnen.

In England war es auch nicht die angelsächsische Volksseele, die dem
Königtum die Flügel beschnitt. In England sehen wir wie in Frankreich
schon früh einen Teil des Reichs, den Süden, als ständigen Träger der Macht.
Wo dynastische Verändrungen eintreten, sind sie so, daß keine Stammeseifer-
sncht das Werk nationalen Zusammenschlusses stören kann. Die Nation als
solche entfaltet sich deshalb so kräftig wie in Frankreich, aber die Stellung des
Königtums nähert sich am Ende bedenklich der des deutschen, das mehr Zierat
als Macht darstellte.

Viele Umstände haben zusammengewirkt, das englische Königtum zu dem
zu machen, was es ist. Der Hauptgrund für seine Schwäche aber ist doch in
den Trägern der Krone selbst zu suchen. Es giebt kaum etwas Maunig-
faltigeres als die englische Geschichte mit der Verschiedenheit im Charakter der
Herrscher. Alle guten und alle schlechten Eigenschaften der menschlichen Natur,
alle Leidenschaften haben ihre Vertreter auf den: englischen Throne, Alfred
der Große, der mönchische Edward der Bekenner, der despotische Staatsordner
Wilhelm, der Kreuzfahrer Richard Löwenherz, der träumerische Richard II., der


Jas englische Königtum

nötigen Änderungen eine Rückkehr zu den Formen des alten germanischen
Königtums mit seinem Witenagemote.

Freilich darf man nicht zuviel Gewicht auf die Formen legen. Denn vor
allem kommt es doch auf die Männer ein, die diese Formen handhaben, und
günstige oder ungünstige Umstände spielen eine große Rolle, Die Staaten,
die aus dem Reiche Karls des Große«? hervorgingen, begannen ihr selbständiges
Dasein mit denselben Formen der Herrschaft, Doch wie verschieden ist ihre
Entwicklung! In Frankreich endet sie in einer einheitlichen unumschränkten
Monarchie, in Deutschland in einem Chaos kleiner Länderfetzen, die der könig¬
lichen Obergewalt spotten. Aus dein geheimnisvollen Walten einer Volksseele
läßt sich diese Verschiedenheit, nicht erklären,

Frankreich hatte den Vorzug, daß seit dem Abgang der Karolinger ein
und dasselbe Geschlecht herrschte, und daß der Schwerpunkt des Ganzen immer
in Franzien lag. In Deutschland dagegen war der Sitz der Königsgewalt
bald in Sachsen, bald in Franken, bald in Schwaben, und jedes neue Herrscher¬
haus hatte die Arbeit nationaler Einigung von neuem zu beginnen, ohne je
Zeit zu haben, auf der Bcchu weiter zu kommen als seine Vorgänger. Nehmen
wir aber an, ein kraftvolles Geschlecht hätte ohne Wechsel den deutschen Königs¬
thron innegehabt, so bedarf es keiner kühnen Einbildungskraft, sich ein andres
Deutschland auszumalen. Das Wahlkönigtum hätte bald auch in der Form
dem erblichen Platz gemacht, dem es gelungen wäre, die deutschen Stämme zu
einem nationalen Ganzen zu verschmelzen. Unter einem starken, wirklich
deutschen Königtum hätte die Reformation keine Spaltung im deutschen Volke,
vielleicht nicht einmal in der Kirche selbst bewirkt, kein Dreißigjähriger Krieg
hätte unsre Fluren verheert, und der mächtige Überschuß unsrer Bevölkerung
hätte, anstatt unter den Schlägen der Schweden, Kroaten und Franzosen zu
verbluten, Amerika mit deutschen Ansiedlern besetzen können, bevor das meer-
umschlungne Albion Zeit fand, sich zu besinnen.

In England war es auch nicht die angelsächsische Volksseele, die dem
Königtum die Flügel beschnitt. In England sehen wir wie in Frankreich
schon früh einen Teil des Reichs, den Süden, als ständigen Träger der Macht.
Wo dynastische Verändrungen eintreten, sind sie so, daß keine Stammeseifer-
sncht das Werk nationalen Zusammenschlusses stören kann. Die Nation als
solche entfaltet sich deshalb so kräftig wie in Frankreich, aber die Stellung des
Königtums nähert sich am Ende bedenklich der des deutschen, das mehr Zierat
als Macht darstellte.

Viele Umstände haben zusammengewirkt, das englische Königtum zu dem
zu machen, was es ist. Der Hauptgrund für seine Schwäche aber ist doch in
den Trägern der Krone selbst zu suchen. Es giebt kaum etwas Maunig-
faltigeres als die englische Geschichte mit der Verschiedenheit im Charakter der
Herrscher. Alle guten und alle schlechten Eigenschaften der menschlichen Natur,
alle Leidenschaften haben ihre Vertreter auf den: englischen Throne, Alfred
der Große, der mönchische Edward der Bekenner, der despotische Staatsordner
Wilhelm, der Kreuzfahrer Richard Löwenherz, der träumerische Richard II., der


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[0468] Jas englische Königtum nötigen Änderungen eine Rückkehr zu den Formen des alten germanischen Königtums mit seinem Witenagemote. Freilich darf man nicht zuviel Gewicht auf die Formen legen. Denn vor allem kommt es doch auf die Männer ein, die diese Formen handhaben, und günstige oder ungünstige Umstände spielen eine große Rolle, Die Staaten, die aus dem Reiche Karls des Große«? hervorgingen, begannen ihr selbständiges Dasein mit denselben Formen der Herrschaft, Doch wie verschieden ist ihre Entwicklung! In Frankreich endet sie in einer einheitlichen unumschränkten Monarchie, in Deutschland in einem Chaos kleiner Länderfetzen, die der könig¬ lichen Obergewalt spotten. Aus dein geheimnisvollen Walten einer Volksseele läßt sich diese Verschiedenheit, nicht erklären, Frankreich hatte den Vorzug, daß seit dem Abgang der Karolinger ein und dasselbe Geschlecht herrschte, und daß der Schwerpunkt des Ganzen immer in Franzien lag. In Deutschland dagegen war der Sitz der Königsgewalt bald in Sachsen, bald in Franken, bald in Schwaben, und jedes neue Herrscher¬ haus hatte die Arbeit nationaler Einigung von neuem zu beginnen, ohne je Zeit zu haben, auf der Bcchu weiter zu kommen als seine Vorgänger. Nehmen wir aber an, ein kraftvolles Geschlecht hätte ohne Wechsel den deutschen Königs¬ thron innegehabt, so bedarf es keiner kühnen Einbildungskraft, sich ein andres Deutschland auszumalen. Das Wahlkönigtum hätte bald auch in der Form dem erblichen Platz gemacht, dem es gelungen wäre, die deutschen Stämme zu einem nationalen Ganzen zu verschmelzen. Unter einem starken, wirklich deutschen Königtum hätte die Reformation keine Spaltung im deutschen Volke, vielleicht nicht einmal in der Kirche selbst bewirkt, kein Dreißigjähriger Krieg hätte unsre Fluren verheert, und der mächtige Überschuß unsrer Bevölkerung hätte, anstatt unter den Schlägen der Schweden, Kroaten und Franzosen zu verbluten, Amerika mit deutschen Ansiedlern besetzen können, bevor das meer- umschlungne Albion Zeit fand, sich zu besinnen. In England war es auch nicht die angelsächsische Volksseele, die dem Königtum die Flügel beschnitt. In England sehen wir wie in Frankreich schon früh einen Teil des Reichs, den Süden, als ständigen Träger der Macht. Wo dynastische Verändrungen eintreten, sind sie so, daß keine Stammeseifer- sncht das Werk nationalen Zusammenschlusses stören kann. Die Nation als solche entfaltet sich deshalb so kräftig wie in Frankreich, aber die Stellung des Königtums nähert sich am Ende bedenklich der des deutschen, das mehr Zierat als Macht darstellte. Viele Umstände haben zusammengewirkt, das englische Königtum zu dem zu machen, was es ist. Der Hauptgrund für seine Schwäche aber ist doch in den Trägern der Krone selbst zu suchen. Es giebt kaum etwas Maunig- faltigeres als die englische Geschichte mit der Verschiedenheit im Charakter der Herrscher. Alle guten und alle schlechten Eigenschaften der menschlichen Natur, alle Leidenschaften haben ihre Vertreter auf den: englischen Throne, Alfred der Große, der mönchische Edward der Bekenner, der despotische Staatsordner Wilhelm, der Kreuzfahrer Richard Löwenherz, der träumerische Richard II., der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/468>, abgerufen am 28.07.2024.