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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Königtum

die Mutter des großen Otto geworden war, hielt man es für angemessen,
ihrem Ahnen (Urururgrvßvatcr) Widukind einen entsprechenden Rang anzu¬
dichten, sodaß er zuerst als ein Herzog und endlich bei Thietmar von Merse-
burg als ein König der Sachsen erscheint. Doch das beweist nichts gegen
Einhard, der Widukind nur als unum ex xriinorilms L^xonuin kennt und
Nieder von einem Sachseuherzogc noch Snchsenlonige etwas weiß.

Daß sich trotzdem bei den nach Britannien ausgewanderten Sachsen ein
Königtum ausbildete, kann nicht wunder nehmen; derselbe Vorgang spielte sich
bei allen Germanen ab, die sich auf die Wandrung begaben. Aus dem Heer¬
führer, dem Herzog wurde leicht ein König, und stand dem. Herzog daneben
auch noch der von den Germanen so hoch gehaltne Geburtsadel zur Seite, so
war das Ergebnis ein Königtum mit starken Wurzeln.

In England begünstigten die Verhältnisse ein starkes Königtum. Die
Lage des Landes verlieh den Eroberern eine Sicherheit, deren andre germa¬
nische Reiche auf römischem Boden entbehrten. Den Franken kam zu gute,
daß sie fortwährend neue Kraft aus dem altgermanischen Teile ihres Gebiets
ziehn konnten. Goten und Vandalen, nicht so günstig gestellt, erlagen. Die
Angelsachsen dagegen hatten keinen Feind zu fürchten, der mächtig genug ge¬
wesen wäre, ihr Volkstum zu gefährden, und die vielfachen Kämpfe zwischen
den einzelnen kleinen Königreichen dienten nur dazu, dem Geschlechte Cerdies,
das endlich allein das Feld behauptete, zum höchsten Ansehen zu verhelfen.

Über die Führer der erobernden Angeln, Sachsen und Juden sind die
Berichte so spärlich, daß sich aus ihnen wenig ersehen läßt. Es ist nicht un¬
wahrscheinlich, daß sie edeln Geschlechter" entstammten und deshalb bevorzugt
waren, als es an die Gründung der neuen Gemeinwesen ging. Sicher ist,
daß sie später für so bevorzugt gehalten wurden, und das war für ihre Nach¬
folger im Staate ebensoviel wert.

Die Königswürde über ganz England, wie sie seit Egbert erscheint, ist
durchaus gefestigt und an ein Geschlecht geknüpft, außerhalb dessen es kein
legitimes Königtum giebt. Das Blut, nicht die persönliche Tüchtigkeit be¬
rechtigt zur Herrschaft. Aus mehreren erwachsenen Mitgliedern des Königs¬
hauses wird wohl der kräftigste gewählt, doch auch ein Schwächling findet
Anerkennung. Die Macht der Dänen unter Knut verdrängt auf kurze Zeit
das sächsische Haus, aber sobald sich die Gelegenheit bietet, wendet sich die
germanische Treue wieder zu dem geheiligten Geschlechte und ruft Edward den
Bekenner, den Urmann, auf den Thron. Edwards Nachfolger Harold war
nicht vom Blute Cerdies, und darum folgten nur die Männer seines eignen
Herzogtums Wessex und die von Kent seiner Fahne auf das Schlachtfeld vou
Seulac. Merem, Ostmiglieu und der Norden hielten sich ihm fern und fanden
erst, als es zu spät war, welchen Fehler sie begangen hatten. Es war kein
Nationalgefühl, was den angelsächsischen Staat zusammenhielt, sondern nur
die persönliche Treue zu dem Königsgeschlechte.

Wilhelm von der Normandie trug dem Rechnung, als er seinen Anspruch
auf die Krone nicht auf Eroberung begründete, sondern auf el" angebliches


Das englische Königtum

die Mutter des großen Otto geworden war, hielt man es für angemessen,
ihrem Ahnen (Urururgrvßvatcr) Widukind einen entsprechenden Rang anzu¬
dichten, sodaß er zuerst als ein Herzog und endlich bei Thietmar von Merse-
burg als ein König der Sachsen erscheint. Doch das beweist nichts gegen
Einhard, der Widukind nur als unum ex xriinorilms L^xonuin kennt und
Nieder von einem Sachseuherzogc noch Snchsenlonige etwas weiß.

Daß sich trotzdem bei den nach Britannien ausgewanderten Sachsen ein
Königtum ausbildete, kann nicht wunder nehmen; derselbe Vorgang spielte sich
bei allen Germanen ab, die sich auf die Wandrung begaben. Aus dem Heer¬
führer, dem Herzog wurde leicht ein König, und stand dem. Herzog daneben
auch noch der von den Germanen so hoch gehaltne Geburtsadel zur Seite, so
war das Ergebnis ein Königtum mit starken Wurzeln.

In England begünstigten die Verhältnisse ein starkes Königtum. Die
Lage des Landes verlieh den Eroberern eine Sicherheit, deren andre germa¬
nische Reiche auf römischem Boden entbehrten. Den Franken kam zu gute,
daß sie fortwährend neue Kraft aus dem altgermanischen Teile ihres Gebiets
ziehn konnten. Goten und Vandalen, nicht so günstig gestellt, erlagen. Die
Angelsachsen dagegen hatten keinen Feind zu fürchten, der mächtig genug ge¬
wesen wäre, ihr Volkstum zu gefährden, und die vielfachen Kämpfe zwischen
den einzelnen kleinen Königreichen dienten nur dazu, dem Geschlechte Cerdies,
das endlich allein das Feld behauptete, zum höchsten Ansehen zu verhelfen.

Über die Führer der erobernden Angeln, Sachsen und Juden sind die
Berichte so spärlich, daß sich aus ihnen wenig ersehen läßt. Es ist nicht un¬
wahrscheinlich, daß sie edeln Geschlechter« entstammten und deshalb bevorzugt
waren, als es an die Gründung der neuen Gemeinwesen ging. Sicher ist,
daß sie später für so bevorzugt gehalten wurden, und das war für ihre Nach¬
folger im Staate ebensoviel wert.

Die Königswürde über ganz England, wie sie seit Egbert erscheint, ist
durchaus gefestigt und an ein Geschlecht geknüpft, außerhalb dessen es kein
legitimes Königtum giebt. Das Blut, nicht die persönliche Tüchtigkeit be¬
rechtigt zur Herrschaft. Aus mehreren erwachsenen Mitgliedern des Königs¬
hauses wird wohl der kräftigste gewählt, doch auch ein Schwächling findet
Anerkennung. Die Macht der Dänen unter Knut verdrängt auf kurze Zeit
das sächsische Haus, aber sobald sich die Gelegenheit bietet, wendet sich die
germanische Treue wieder zu dem geheiligten Geschlechte und ruft Edward den
Bekenner, den Urmann, auf den Thron. Edwards Nachfolger Harold war
nicht vom Blute Cerdies, und darum folgten nur die Männer seines eignen
Herzogtums Wessex und die von Kent seiner Fahne auf das Schlachtfeld vou
Seulac. Merem, Ostmiglieu und der Norden hielten sich ihm fern und fanden
erst, als es zu spät war, welchen Fehler sie begangen hatten. Es war kein
Nationalgefühl, was den angelsächsischen Staat zusammenhielt, sondern nur
die persönliche Treue zu dem Königsgeschlechte.

Wilhelm von der Normandie trug dem Rechnung, als er seinen Anspruch
auf die Krone nicht auf Eroberung begründete, sondern auf el» angebliches


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[0466] Das englische Königtum die Mutter des großen Otto geworden war, hielt man es für angemessen, ihrem Ahnen (Urururgrvßvatcr) Widukind einen entsprechenden Rang anzu¬ dichten, sodaß er zuerst als ein Herzog und endlich bei Thietmar von Merse- burg als ein König der Sachsen erscheint. Doch das beweist nichts gegen Einhard, der Widukind nur als unum ex xriinorilms L^xonuin kennt und Nieder von einem Sachseuherzogc noch Snchsenlonige etwas weiß. Daß sich trotzdem bei den nach Britannien ausgewanderten Sachsen ein Königtum ausbildete, kann nicht wunder nehmen; derselbe Vorgang spielte sich bei allen Germanen ab, die sich auf die Wandrung begaben. Aus dem Heer¬ führer, dem Herzog wurde leicht ein König, und stand dem. Herzog daneben auch noch der von den Germanen so hoch gehaltne Geburtsadel zur Seite, so war das Ergebnis ein Königtum mit starken Wurzeln. In England begünstigten die Verhältnisse ein starkes Königtum. Die Lage des Landes verlieh den Eroberern eine Sicherheit, deren andre germa¬ nische Reiche auf römischem Boden entbehrten. Den Franken kam zu gute, daß sie fortwährend neue Kraft aus dem altgermanischen Teile ihres Gebiets ziehn konnten. Goten und Vandalen, nicht so günstig gestellt, erlagen. Die Angelsachsen dagegen hatten keinen Feind zu fürchten, der mächtig genug ge¬ wesen wäre, ihr Volkstum zu gefährden, und die vielfachen Kämpfe zwischen den einzelnen kleinen Königreichen dienten nur dazu, dem Geschlechte Cerdies, das endlich allein das Feld behauptete, zum höchsten Ansehen zu verhelfen. Über die Führer der erobernden Angeln, Sachsen und Juden sind die Berichte so spärlich, daß sich aus ihnen wenig ersehen läßt. Es ist nicht un¬ wahrscheinlich, daß sie edeln Geschlechter« entstammten und deshalb bevorzugt waren, als es an die Gründung der neuen Gemeinwesen ging. Sicher ist, daß sie später für so bevorzugt gehalten wurden, und das war für ihre Nach¬ folger im Staate ebensoviel wert. Die Königswürde über ganz England, wie sie seit Egbert erscheint, ist durchaus gefestigt und an ein Geschlecht geknüpft, außerhalb dessen es kein legitimes Königtum giebt. Das Blut, nicht die persönliche Tüchtigkeit be¬ rechtigt zur Herrschaft. Aus mehreren erwachsenen Mitgliedern des Königs¬ hauses wird wohl der kräftigste gewählt, doch auch ein Schwächling findet Anerkennung. Die Macht der Dänen unter Knut verdrängt auf kurze Zeit das sächsische Haus, aber sobald sich die Gelegenheit bietet, wendet sich die germanische Treue wieder zu dem geheiligten Geschlechte und ruft Edward den Bekenner, den Urmann, auf den Thron. Edwards Nachfolger Harold war nicht vom Blute Cerdies, und darum folgten nur die Männer seines eignen Herzogtums Wessex und die von Kent seiner Fahne auf das Schlachtfeld vou Seulac. Merem, Ostmiglieu und der Norden hielten sich ihm fern und fanden erst, als es zu spät war, welchen Fehler sie begangen hatten. Es war kein Nationalgefühl, was den angelsächsischen Staat zusammenhielt, sondern nur die persönliche Treue zu dem Königsgeschlechte. Wilhelm von der Normandie trug dem Rechnung, als er seinen Anspruch auf die Krone nicht auf Eroberung begründete, sondern auf el» angebliches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/466>, abgerufen am 27.07.2024.