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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Neue biographische Litteratur

und seit 1800 in Bayern heimisch wurde wie vorher etwa Graf Montgelas. Ur¬
sprünglich Malteserritter, trat dieser damals in den diplomatischen Dienst Bayerns
und wurde 1801 Gesandter in Berlin. Hier wurde Otto Bray als Sohn einer
deutsch-livlcindischen Mutter am 17. Mai 1807 geboren. Auch er widmete sich
zunächst der Diplomatie und lernte dabei die Höfe von Se. Petersburg, Paris und
Athen kennen, bis er 1846 als Minister des Auswärtigen König Ludwigs I. nach
München heimberufen wurde, was er trotz der Stürme des Jahres 1848 bis zum
Eintritt von der Pfordtens am 18. April 1849 blieb. Seitdem wirkte er als
Gesandter in Petersburg, als solcher zugleich in Stockholm beglaubigt, 1859/60
in Berlin, 1860 bis 1870 in Wien. Während dieser Zeit führte er im August
und September 1866 die Friedensverhandlungen mit Preußen, über die eine Reihe
von tagebuchähnlichen Aufzeichnungen mitgeteilt wird, die den lebhaften Kampf
zwischen den anfänglichen, auf große Gebietsabtretungen in Franken gerichteten
preußischen Forderungen und den von Bismarck verfochtnen Tendenzen auf ein
nationales Verteidigungsbündnis ohne wesentliche Gcbietsverluste in interessanter
Weise beleuchten. Als Fürst Hohenlohe zu Anfang des Jahres 1870 dem Drängen
der Ultramontanen und "Patrioten" weichen mußte, trat Graf Bray an seine Stelle.
Ob dabei, wie neuerdings behauptet worden ist, auch französische Einflüsse in Hin¬
blick auf den geplanten Kriegsbund zwischen Frankreich, Österreich und Italien mit
ini Spiele gewesen sind, ergiebt sich aus diesen "Denkwürdigkeiten" nicht, Wohl
aber, daß Graf Bray in Bezug auf die deutschen Dinge das "System" seines
Vorgängers in alleu wesentliche" Punkten fortsetzte. Dem entspricht auch sein hier
urkundlich belegtes Verhalten in den Julitagen des Jahres 1870, wo er gegenüber der
unpatriotischen Thorheit der "Patrioten" mit aller Entschiedenheit für die Erfüllung
des von ihm selbst im August 1866 abgeschlossenen Verteidigungsbündnisses mit
Preußen, also für die Beteiligung Bayerns am Kriege mit Frankreich eintrat. Be¬
sonders ausführlich sind die dann seit dem September 1870 geführten Verhand¬
lungen über den Anschluß Bayerns an den Norddeutschen Bund behandelt. Gewiß
war Graf Brny in seiner Weise gut "deutsch," aber eben nach der bayrischen Art,
d. h. er betrachtete die Souveränität und Selbständigkeit Bayerns, also auch seine
"europäische" Stellung, als das an sich Natürliche und Selbstverständliche und
empfand alle Schmälerungen als "Opfer." All das ist aber doch, historisch be¬
trachtet, unbegründet. Der deutsche Gesamtstaat und der Anspruch des deutschen
Volks auf einen solchen ist weit älter als alle jetzt bestehenden deutschen Staaten,
und die "Stämme" existieren als Politische Gebilde nicht mehr, seitdem unsre mittel¬
alterlichen Kaiser die Stammesherzogtümer zerschlagen haben. Bayern ist also
historisch wie rechtlich bis 1806 niemals etwas andres gewesen als ein Stück
Deutschlands, sein Herzog oder Kurfürst nichts andres als Vasall des Kaisers, und
es verdankte seine ansehnliche Vergrößerung und seine "Souveränität" seit jenem
Jahre keineswegs seiner innern Kraft, sondern europäischen Ereignissen, auf die es
sehr wenig einwirkte, und der Gunst eines fremden Eroberers. Hätte man sich
diese unleugbaren Thatsachen in Bayern und außerhalb immer gegenwärtig ge¬
halten, statt sie sich durch partikularistische Märchen verdunkeln zu lassen, so wäre
die deutsche Geschichte seit 1815 anders verlaufen, und der Bruderkrieg gegen Süd-
deutschland 1866 nicht nötig gewesen. Aus dieser unhistorischen Auffassung ent¬
sprang aber noch 1870 das Verhalten der bayrischen Staatsmänner. Der Antrag
Graf Brays an den König vom 12. September spricht noch von "einer Verbindung
Bayerns mit Deutschland," als ob es sich etwa um deu Anschluß Hollands an
das Deutsche Reich gehandelt hätte, will auch von einem Eintritt in den Nord¬
deutschen Bund nichts wissen, sondern eher von einem ganz neuen, auf neuer
Grundlage zu errichtenden Deutschen Bunde, und beansprucht auch in einem solchen
sür Bayern "eine sonder- und Ausnahmestellung"; ja man dachte in München


Neue biographische Litteratur

und seit 1800 in Bayern heimisch wurde wie vorher etwa Graf Montgelas. Ur¬
sprünglich Malteserritter, trat dieser damals in den diplomatischen Dienst Bayerns
und wurde 1801 Gesandter in Berlin. Hier wurde Otto Bray als Sohn einer
deutsch-livlcindischen Mutter am 17. Mai 1807 geboren. Auch er widmete sich
zunächst der Diplomatie und lernte dabei die Höfe von Se. Petersburg, Paris und
Athen kennen, bis er 1846 als Minister des Auswärtigen König Ludwigs I. nach
München heimberufen wurde, was er trotz der Stürme des Jahres 1848 bis zum
Eintritt von der Pfordtens am 18. April 1849 blieb. Seitdem wirkte er als
Gesandter in Petersburg, als solcher zugleich in Stockholm beglaubigt, 1859/60
in Berlin, 1860 bis 1870 in Wien. Während dieser Zeit führte er im August
und September 1866 die Friedensverhandlungen mit Preußen, über die eine Reihe
von tagebuchähnlichen Aufzeichnungen mitgeteilt wird, die den lebhaften Kampf
zwischen den anfänglichen, auf große Gebietsabtretungen in Franken gerichteten
preußischen Forderungen und den von Bismarck verfochtnen Tendenzen auf ein
nationales Verteidigungsbündnis ohne wesentliche Gcbietsverluste in interessanter
Weise beleuchten. Als Fürst Hohenlohe zu Anfang des Jahres 1870 dem Drängen
der Ultramontanen und „Patrioten" weichen mußte, trat Graf Bray an seine Stelle.
Ob dabei, wie neuerdings behauptet worden ist, auch französische Einflüsse in Hin¬
blick auf den geplanten Kriegsbund zwischen Frankreich, Österreich und Italien mit
ini Spiele gewesen sind, ergiebt sich aus diesen „Denkwürdigkeiten" nicht, Wohl
aber, daß Graf Bray in Bezug auf die deutschen Dinge das „System" seines
Vorgängers in alleu wesentliche» Punkten fortsetzte. Dem entspricht auch sein hier
urkundlich belegtes Verhalten in den Julitagen des Jahres 1870, wo er gegenüber der
unpatriotischen Thorheit der „Patrioten" mit aller Entschiedenheit für die Erfüllung
des von ihm selbst im August 1866 abgeschlossenen Verteidigungsbündnisses mit
Preußen, also für die Beteiligung Bayerns am Kriege mit Frankreich eintrat. Be¬
sonders ausführlich sind die dann seit dem September 1870 geführten Verhand¬
lungen über den Anschluß Bayerns an den Norddeutschen Bund behandelt. Gewiß
war Graf Brny in seiner Weise gut „deutsch," aber eben nach der bayrischen Art,
d. h. er betrachtete die Souveränität und Selbständigkeit Bayerns, also auch seine
„europäische" Stellung, als das an sich Natürliche und Selbstverständliche und
empfand alle Schmälerungen als „Opfer." All das ist aber doch, historisch be¬
trachtet, unbegründet. Der deutsche Gesamtstaat und der Anspruch des deutschen
Volks auf einen solchen ist weit älter als alle jetzt bestehenden deutschen Staaten,
und die „Stämme" existieren als Politische Gebilde nicht mehr, seitdem unsre mittel¬
alterlichen Kaiser die Stammesherzogtümer zerschlagen haben. Bayern ist also
historisch wie rechtlich bis 1806 niemals etwas andres gewesen als ein Stück
Deutschlands, sein Herzog oder Kurfürst nichts andres als Vasall des Kaisers, und
es verdankte seine ansehnliche Vergrößerung und seine „Souveränität" seit jenem
Jahre keineswegs seiner innern Kraft, sondern europäischen Ereignissen, auf die es
sehr wenig einwirkte, und der Gunst eines fremden Eroberers. Hätte man sich
diese unleugbaren Thatsachen in Bayern und außerhalb immer gegenwärtig ge¬
halten, statt sie sich durch partikularistische Märchen verdunkeln zu lassen, so wäre
die deutsche Geschichte seit 1815 anders verlaufen, und der Bruderkrieg gegen Süd-
deutschland 1866 nicht nötig gewesen. Aus dieser unhistorischen Auffassung ent¬
sprang aber noch 1870 das Verhalten der bayrischen Staatsmänner. Der Antrag
Graf Brays an den König vom 12. September spricht noch von „einer Verbindung
Bayerns mit Deutschland," als ob es sich etwa um deu Anschluß Hollands an
das Deutsche Reich gehandelt hätte, will auch von einem Eintritt in den Nord¬
deutschen Bund nichts wissen, sondern eher von einem ganz neuen, auf neuer
Grundlage zu errichtenden Deutschen Bunde, und beansprucht auch in einem solchen
sür Bayern „eine sonder- und Ausnahmestellung"; ja man dachte in München


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[0453] Neue biographische Litteratur und seit 1800 in Bayern heimisch wurde wie vorher etwa Graf Montgelas. Ur¬ sprünglich Malteserritter, trat dieser damals in den diplomatischen Dienst Bayerns und wurde 1801 Gesandter in Berlin. Hier wurde Otto Bray als Sohn einer deutsch-livlcindischen Mutter am 17. Mai 1807 geboren. Auch er widmete sich zunächst der Diplomatie und lernte dabei die Höfe von Se. Petersburg, Paris und Athen kennen, bis er 1846 als Minister des Auswärtigen König Ludwigs I. nach München heimberufen wurde, was er trotz der Stürme des Jahres 1848 bis zum Eintritt von der Pfordtens am 18. April 1849 blieb. Seitdem wirkte er als Gesandter in Petersburg, als solcher zugleich in Stockholm beglaubigt, 1859/60 in Berlin, 1860 bis 1870 in Wien. Während dieser Zeit führte er im August und September 1866 die Friedensverhandlungen mit Preußen, über die eine Reihe von tagebuchähnlichen Aufzeichnungen mitgeteilt wird, die den lebhaften Kampf zwischen den anfänglichen, auf große Gebietsabtretungen in Franken gerichteten preußischen Forderungen und den von Bismarck verfochtnen Tendenzen auf ein nationales Verteidigungsbündnis ohne wesentliche Gcbietsverluste in interessanter Weise beleuchten. Als Fürst Hohenlohe zu Anfang des Jahres 1870 dem Drängen der Ultramontanen und „Patrioten" weichen mußte, trat Graf Bray an seine Stelle. Ob dabei, wie neuerdings behauptet worden ist, auch französische Einflüsse in Hin¬ blick auf den geplanten Kriegsbund zwischen Frankreich, Österreich und Italien mit ini Spiele gewesen sind, ergiebt sich aus diesen „Denkwürdigkeiten" nicht, Wohl aber, daß Graf Bray in Bezug auf die deutschen Dinge das „System" seines Vorgängers in alleu wesentliche» Punkten fortsetzte. Dem entspricht auch sein hier urkundlich belegtes Verhalten in den Julitagen des Jahres 1870, wo er gegenüber der unpatriotischen Thorheit der „Patrioten" mit aller Entschiedenheit für die Erfüllung des von ihm selbst im August 1866 abgeschlossenen Verteidigungsbündnisses mit Preußen, also für die Beteiligung Bayerns am Kriege mit Frankreich eintrat. Be¬ sonders ausführlich sind die dann seit dem September 1870 geführten Verhand¬ lungen über den Anschluß Bayerns an den Norddeutschen Bund behandelt. Gewiß war Graf Brny in seiner Weise gut „deutsch," aber eben nach der bayrischen Art, d. h. er betrachtete die Souveränität und Selbständigkeit Bayerns, also auch seine „europäische" Stellung, als das an sich Natürliche und Selbstverständliche und empfand alle Schmälerungen als „Opfer." All das ist aber doch, historisch be¬ trachtet, unbegründet. Der deutsche Gesamtstaat und der Anspruch des deutschen Volks auf einen solchen ist weit älter als alle jetzt bestehenden deutschen Staaten, und die „Stämme" existieren als Politische Gebilde nicht mehr, seitdem unsre mittel¬ alterlichen Kaiser die Stammesherzogtümer zerschlagen haben. Bayern ist also historisch wie rechtlich bis 1806 niemals etwas andres gewesen als ein Stück Deutschlands, sein Herzog oder Kurfürst nichts andres als Vasall des Kaisers, und es verdankte seine ansehnliche Vergrößerung und seine „Souveränität" seit jenem Jahre keineswegs seiner innern Kraft, sondern europäischen Ereignissen, auf die es sehr wenig einwirkte, und der Gunst eines fremden Eroberers. Hätte man sich diese unleugbaren Thatsachen in Bayern und außerhalb immer gegenwärtig ge¬ halten, statt sie sich durch partikularistische Märchen verdunkeln zu lassen, so wäre die deutsche Geschichte seit 1815 anders verlaufen, und der Bruderkrieg gegen Süd- deutschland 1866 nicht nötig gewesen. Aus dieser unhistorischen Auffassung ent¬ sprang aber noch 1870 das Verhalten der bayrischen Staatsmänner. Der Antrag Graf Brays an den König vom 12. September spricht noch von „einer Verbindung Bayerns mit Deutschland," als ob es sich etwa um deu Anschluß Hollands an das Deutsche Reich gehandelt hätte, will auch von einem Eintritt in den Nord¬ deutschen Bund nichts wissen, sondern eher von einem ganz neuen, auf neuer Grundlage zu errichtenden Deutschen Bunde, und beansprucht auch in einem solchen sür Bayern „eine sonder- und Ausnahmestellung"; ja man dachte in München

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/453>, abgerufen am 01.09.2024.