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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der ältere jüngere Lranach

Gegenwart widerspiegelt. Mit dieser Frage, die eine der wichtigsten Fragen
der ganzen Cranachforschuug ist, hat es aber folgende Bewandtnis (wir folgen
dabei selbstverständlich der Darstellung Flechsigs).

Als in den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts die Reformation
in Halle eindrang, sah sich der kunstsinnige Erzbischof von Mainz und Magde¬
burg, der Kardinal Albrecht von Brandenburg, genötigt, auch das Kollegiatstift
aufzulösen, das er 1520 in Halle ins Leben gerufen hatte, und die Stifts¬
kirche zu schließen. Alle die kostbaren Reliquien und Kunstschätze, die er seit
zwanzig Jahren in der Stiftskirche angesammelt hatte, ließ er teils nach Mainz,
teils nach Aschaffenburg bringen. Er selbst zog sich in sein Mainzer Erzbistum
zurück, wo er 1545 starb.

Die Gemälde nun, die von Halle nach Aschaffenburg gebracht wurden,
fanden in der dortigen Stiftskirche eine neue Stätte. Als aber das Aschaffen-
burger Stift 1803 aufgelöst wurde, wurden sie in die Galerie des kurfürst¬
lichen Schlosses gebracht, uur einige ließ man in der Kirche.

Aschaffenburg liegt nicht an der Heerstraße, die zu Anfang des neun¬
zehnten Jahrhunderts die deutschen Kunstforscher zogen. Deshalb blieben die
Bilder zunächst fast gänzlich unbekannt. Franz Kugler kennt sie 1837 in
feinem Handbuch der Geschichte der Malerei noch gar nicht, ebensowenig Nagler
in den bis 1837 erschienenen Bänden seines Künstlerlexikons. In Aschaffen-
burg selbst galt damals ein großer Teil der Gemälde für Werke Lukas Cranachs,
andre für Werke des Matthias -- oder wie man ihn damals noch fälschlich
nannte -- Matthäus Grünewald.

Das wurde bald anders, als die fünf größten und schönsten dieser Bilder,
die für Werke Grünewalds gehalten wurden, ihrem Dasein im Aschaffenburger
Schloß entrissen und auf Befehl König Ludwigs, der sie wohl selbst aus¬
gewühlt hatte, in die Pinakothek nach München versetzt wurden. Bei der Er¬
öffnung der Pinakothek am 16. Oktober 1836 waren sie zum erstenmal einem
größern Kreise zugänglich. Durch das erste Verzeichnis der Gemälde der
Pinakothek fanden sie als Werke Grünewalds mich in die kunstgeschichtliche
Litteratur Eingang.

Der erste Forscher, der sich (1841) mit dem Schöpfer dieser Bilder näher
beschäftigte, war Passavant. Ohne sich an die alte, damals in Aschaffenburg
noch verbreitete Überlieferung zu halten, wonach die fünf Bilder in der Pina¬
kothek ebenso wie die, die sich noch in Aschaffenburg befanden, wahrscheinlich
alle aus der Domkirche zu Halle stammten, nahm er, wohl um den Namen,
den sie trugen, besser mit den Nachrichten Sandrarts, wonach Grünewald aus
Aschaffenburg stammte, in Verbindung zu bringen, ohne weiteres an, die Bilder
seien in Aschaffenburg entstanden, die fünf großen Tafeln in der Pinakothek
(der heilige Moritz mit dem heiligen Erasmus und als Flügelbilder dazu die
Heiligen Magdalena, Lazarus, Chrysostomus und Martha) hätten den ehemaligen
Hnuptaltar der Stiftskirche in Aschaffenburg geschmückt, auch der noch in der
Lurche befindliche heilige Valentin habe dazugehört, vielleicht auch die sechs


Der ältere jüngere Lranach

Gegenwart widerspiegelt. Mit dieser Frage, die eine der wichtigsten Fragen
der ganzen Cranachforschuug ist, hat es aber folgende Bewandtnis (wir folgen
dabei selbstverständlich der Darstellung Flechsigs).

Als in den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts die Reformation
in Halle eindrang, sah sich der kunstsinnige Erzbischof von Mainz und Magde¬
burg, der Kardinal Albrecht von Brandenburg, genötigt, auch das Kollegiatstift
aufzulösen, das er 1520 in Halle ins Leben gerufen hatte, und die Stifts¬
kirche zu schließen. Alle die kostbaren Reliquien und Kunstschätze, die er seit
zwanzig Jahren in der Stiftskirche angesammelt hatte, ließ er teils nach Mainz,
teils nach Aschaffenburg bringen. Er selbst zog sich in sein Mainzer Erzbistum
zurück, wo er 1545 starb.

Die Gemälde nun, die von Halle nach Aschaffenburg gebracht wurden,
fanden in der dortigen Stiftskirche eine neue Stätte. Als aber das Aschaffen-
burger Stift 1803 aufgelöst wurde, wurden sie in die Galerie des kurfürst¬
lichen Schlosses gebracht, uur einige ließ man in der Kirche.

Aschaffenburg liegt nicht an der Heerstraße, die zu Anfang des neun¬
zehnten Jahrhunderts die deutschen Kunstforscher zogen. Deshalb blieben die
Bilder zunächst fast gänzlich unbekannt. Franz Kugler kennt sie 1837 in
feinem Handbuch der Geschichte der Malerei noch gar nicht, ebensowenig Nagler
in den bis 1837 erschienenen Bänden seines Künstlerlexikons. In Aschaffen-
burg selbst galt damals ein großer Teil der Gemälde für Werke Lukas Cranachs,
andre für Werke des Matthias — oder wie man ihn damals noch fälschlich
nannte — Matthäus Grünewald.

Das wurde bald anders, als die fünf größten und schönsten dieser Bilder,
die für Werke Grünewalds gehalten wurden, ihrem Dasein im Aschaffenburger
Schloß entrissen und auf Befehl König Ludwigs, der sie wohl selbst aus¬
gewühlt hatte, in die Pinakothek nach München versetzt wurden. Bei der Er¬
öffnung der Pinakothek am 16. Oktober 1836 waren sie zum erstenmal einem
größern Kreise zugänglich. Durch das erste Verzeichnis der Gemälde der
Pinakothek fanden sie als Werke Grünewalds mich in die kunstgeschichtliche
Litteratur Eingang.

Der erste Forscher, der sich (1841) mit dem Schöpfer dieser Bilder näher
beschäftigte, war Passavant. Ohne sich an die alte, damals in Aschaffenburg
noch verbreitete Überlieferung zu halten, wonach die fünf Bilder in der Pina¬
kothek ebenso wie die, die sich noch in Aschaffenburg befanden, wahrscheinlich
alle aus der Domkirche zu Halle stammten, nahm er, wohl um den Namen,
den sie trugen, besser mit den Nachrichten Sandrarts, wonach Grünewald aus
Aschaffenburg stammte, in Verbindung zu bringen, ohne weiteres an, die Bilder
seien in Aschaffenburg entstanden, die fünf großen Tafeln in der Pinakothek
(der heilige Moritz mit dem heiligen Erasmus und als Flügelbilder dazu die
Heiligen Magdalena, Lazarus, Chrysostomus und Martha) hätten den ehemaligen
Hnuptaltar der Stiftskirche in Aschaffenburg geschmückt, auch der noch in der
Lurche befindliche heilige Valentin habe dazugehört, vielleicht auch die sechs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/43>, abgerufen am 28.07.2024.