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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Aus i>er Heimat Miquels

eignen Jungen tiefer stellte, um dadurch um so sicherer ihr Ziel zu erreichen?
Besonders im Rechnen, so lautete die Tradition unsers Hauses, sei er hinter
dem Durchschnitt seiner Altersgenossen zurück gebliebein Als ich mich wegen
dieses Punktes bei meinen Gewährsleuten erkundigte, lauteten die Antworten
sehr verschieden. Der Kaufmann, der allein mit ihm in die eigentliche Schule
gegangen war, wußte davon überhaupt nichts. Soweit er sich des jungen
Miguel erinnern konnte, der nur an dem Vormittagsunterricht teilgenommen
hatte, war der in keinem Gegenstande weder im plus noch im minus gewesen.
Er hatte das seinige gethan, wie die andern auch, die sich der Zufriedenheit
des Lehrers erfreuten, und nur durch seine stille Aufmerksamkeit war er ihm
noch in gutem Gedächtnis, Auf der Straße beim Spiel, so fuhr er fort, bin
ich überhaupt nicht mit ihm zusammengetroffen, das schied sich damals wie
auch jetzt noch genau nach Altstadt und Neustadt,

Die Familie Miqnel hatte "auf" der Neustadt gewohnt; sehen wir zu,
ob da eine reichere Ernte zu holen ist. Der Buchbinder, der hier zunächst
wohnte, hatte niemals mit Johannes zusammen die Schulbank gedrückt. Nach
der Länge der Zeit, die das Vergessen im Gefolge hat, war es ihm sogar
zweifelhaft, ob er jemals die öffentliche Schule besucht hatte, Wenn es der
Fall gewesen war, so konnte es nnr ein paar Stunden des Vormittags ge¬
wesen sein. Was hätte er da auch anders lernen sollen, als notdürftig lesen
und schreiben und etwas rechnen? Aber das Hütte er nach des Buchbinders
Meinung viel besser zu Hause haben können. Der Vater gab seinem Sohne
allein den Unterricht, ans den es später ankam, da wäre das andre wohl auch
gut mit untergelaufen. Daß er darin weniger fix gewesen wäre, ich lasse hier
meinen Gewährsmann sprechen, habe ich nicht gemerkt. Wohl aber weiß ich,
daß er auf dein Gymnasium in Lingen gleich in Prima aufgenommen worden
ist. Als der Hofmedikus die Nachricht durch einen Brief erhielt, den ihm das
Mädchen in den Garten brachte, wo er zufällig war, machte er einen Freuden¬
sprung und lief ganz gegen seine Gewohnheit ein paarmal um den einzigen
Rosenplatz herum. Als ein Nachbar das bemerkte, eilte er vorn ins Miqnelsche
Haus, um der Frau Hofmedikus Mitteilung zu machen und sie zu fragen, ob
sie nicht einmal nach ihrem Manne sehen wolle; dem scheine was in den Kops
gefahren zu sein. Lachend habe diese erwidert, sie wisse schon, was das sei,
der Nachbar solle den Alten nur ruhig springen lassen. Da kommt er schon,
habe sie hinzugefügt, und dann sei mit dem Erscheinen des "Doktors" auch
dem Nachbar alles klar gemacht worden.

Miquels waren nette, gute Leute, fuhr auf mein Nachfragen der Buch¬
binder fort, aber streug und sparsam gings im Hause zu, es war fast zu
schlimm. Zucker gab es für die Kinder im Kaffee und im Thee nicht, und
die Butter auf dem Brote konnte man kaum sehen. Wir Kinder geringrer
Leute können rauchen, wann wir "vollen, und Vater und Mutter fragen viel
danach, ob ihr Junge ne Pfeife hat, wenn sie ihnen selbst nur keine Kosten
macht. Aber daß nur der alte Miqnel keine bei seinen Söhne" entdeckte!
Johannes hatte die seinige in unsrer Werkstatt stehn, und wenn wir uns bei


Aus i>er Heimat Miquels

eignen Jungen tiefer stellte, um dadurch um so sicherer ihr Ziel zu erreichen?
Besonders im Rechnen, so lautete die Tradition unsers Hauses, sei er hinter
dem Durchschnitt seiner Altersgenossen zurück gebliebein Als ich mich wegen
dieses Punktes bei meinen Gewährsleuten erkundigte, lauteten die Antworten
sehr verschieden. Der Kaufmann, der allein mit ihm in die eigentliche Schule
gegangen war, wußte davon überhaupt nichts. Soweit er sich des jungen
Miguel erinnern konnte, der nur an dem Vormittagsunterricht teilgenommen
hatte, war der in keinem Gegenstande weder im plus noch im minus gewesen.
Er hatte das seinige gethan, wie die andern auch, die sich der Zufriedenheit
des Lehrers erfreuten, und nur durch seine stille Aufmerksamkeit war er ihm
noch in gutem Gedächtnis, Auf der Straße beim Spiel, so fuhr er fort, bin
ich überhaupt nicht mit ihm zusammengetroffen, das schied sich damals wie
auch jetzt noch genau nach Altstadt und Neustadt,

Die Familie Miqnel hatte „auf" der Neustadt gewohnt; sehen wir zu,
ob da eine reichere Ernte zu holen ist. Der Buchbinder, der hier zunächst
wohnte, hatte niemals mit Johannes zusammen die Schulbank gedrückt. Nach
der Länge der Zeit, die das Vergessen im Gefolge hat, war es ihm sogar
zweifelhaft, ob er jemals die öffentliche Schule besucht hatte, Wenn es der
Fall gewesen war, so konnte es nnr ein paar Stunden des Vormittags ge¬
wesen sein. Was hätte er da auch anders lernen sollen, als notdürftig lesen
und schreiben und etwas rechnen? Aber das Hütte er nach des Buchbinders
Meinung viel besser zu Hause haben können. Der Vater gab seinem Sohne
allein den Unterricht, ans den es später ankam, da wäre das andre wohl auch
gut mit untergelaufen. Daß er darin weniger fix gewesen wäre, ich lasse hier
meinen Gewährsmann sprechen, habe ich nicht gemerkt. Wohl aber weiß ich,
daß er auf dein Gymnasium in Lingen gleich in Prima aufgenommen worden
ist. Als der Hofmedikus die Nachricht durch einen Brief erhielt, den ihm das
Mädchen in den Garten brachte, wo er zufällig war, machte er einen Freuden¬
sprung und lief ganz gegen seine Gewohnheit ein paarmal um den einzigen
Rosenplatz herum. Als ein Nachbar das bemerkte, eilte er vorn ins Miqnelsche
Haus, um der Frau Hofmedikus Mitteilung zu machen und sie zu fragen, ob
sie nicht einmal nach ihrem Manne sehen wolle; dem scheine was in den Kops
gefahren zu sein. Lachend habe diese erwidert, sie wisse schon, was das sei,
der Nachbar solle den Alten nur ruhig springen lassen. Da kommt er schon,
habe sie hinzugefügt, und dann sei mit dem Erscheinen des „Doktors" auch
dem Nachbar alles klar gemacht worden.

Miquels waren nette, gute Leute, fuhr auf mein Nachfragen der Buch¬
binder fort, aber streug und sparsam gings im Hause zu, es war fast zu
schlimm. Zucker gab es für die Kinder im Kaffee und im Thee nicht, und
die Butter auf dem Brote konnte man kaum sehen. Wir Kinder geringrer
Leute können rauchen, wann wir »vollen, und Vater und Mutter fragen viel
danach, ob ihr Junge ne Pfeife hat, wenn sie ihnen selbst nur keine Kosten
macht. Aber daß nur der alte Miqnel keine bei seinen Söhne» entdeckte!
Johannes hatte die seinige in unsrer Werkstatt stehn, und wenn wir uns bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/397>, abgerufen am 01.09.2024.