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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Verbände, wenn sie diese Wendung lesen sollten, seufzen, wenn dem doch so
wäre! Aber leider ist es keineswegs so. Graf Bülow will von uns nicht
viel wissen und hat unserm Führer am 12. Dezember vorigen Jahres eine sehr
deutliche Absage erteilt, wegen deren wir ihm recht böse gewesen sind." In
der That, der Altdeutsche Verband ist, was man vielleicht bedauern kann, noch
keine Macht im deutschen Leben, und was er erstrebt, ist nichts eigentlich
Politisches. Er will nur das Gefühl der nationalen Gemeinschaft zwischen
den Deutschen im Reiche und denen jenseits der Grenze, namentlich in Oster¬
reich, stärken, und er rechnet zu den Dentschen allerdings auch die Nieder¬
länder, die sich bekanntlich erst seit dem siebzehnten Jahrhundert von der Ge¬
samtheit der Nation abgezweigt haben und bis dahin nichts weiter gewesen
sind als ein niederdeutscher Stamm so gut wie etwa die Westfalen, nichts
weiter. Und dieser Altdeutsche Verband soll eine "russenfeindliche Politik"
verfolgen und den Bestand Österreichs bedrohn! Unser englischer Herr Kollege
verwechselt hier slawisch und russisch und scheint gar nichts davon zu wissen,
daß wir Deutschen im Reiche wie in Osterreich gegenüber einer slawischen
Hochflut im Berteidigungszustande sind, keineswegs im Angriff; das Unsrige
zu behaupten, die Früchte einer vielhundertjährigen Kulturarbeit uns von un¬
entwickelten Völkern, die ihr sogar ihre junge Kultur erst verdanken, nicht
nehmen zu lassen, das wird er uns Wohl erlauben. Oder hat er schon ver¬
gessen, daß die Beschwerden der Uitlanders in Transvaal über Nechtsverkürzuug
durch die Burenregierung für England den Anlaß zum südafrikanischen Kriege
gegeben haben? Ähnliche Bestrebungen giebt es doch überall. Von dem
Panslawismns sehen wir dabei noch ganz ub, denn er geht weit über die
Grenzen des russischen Volks hinaus, kann also mit dem Altdeutschen Ver¬
bände gar nicht verglichen werden; aber auch die italienische Lovistg, Uano
^Mieri will die nationalen Bande mit den im Auslande lebenden Italienern
befestigen, vielleicht zum Ärger der Engländer auch mit den italienischen Mal¬
tesern, denen man jetzt das Englische als Amtssprache aufdrängen will. Wir
wollen hier die englische IiQpörwI ^käMitum und die LUtiÄi Lurxirs
I^ÄAus nicht zum Vergleich heranziehn, denn ihr Ziel ist die engere politische
Verbindung zwischen den lose zusammenhängenden Teilen deS britischen Reichs,
und die Kolonien stehn eben auch unter englischer Herrschaft; aber die Stärkung
des angelsächsischen Gesamtbewußtseins erstrebt sie doch anch, und wen" die
Deutschen Österreichs oder die Niederländer politisch jetzt von, Kerne der Nation
getrennt sind, so sind sie jahrhundertelang mit ihm nicht nur politisch ver¬
bunden, sondern Glieder des nationalen Körpers gewesen und darum mit ihm
durch Geschichte und Kultur viel enger verwachsen als die jungen englischen
Kolonien mit dem Mutterlande. Wir denken gar nicht daran, Österreich, die
Schweiz, Holland zu annektieren, aber jene Beziehungen werden und dürfen
wir niemals aufgeben, darüber sind alle denkenden Deutschen einig, anch wenn
sie nicht dem Altdeutschen Verbände angehöre".

Das Wichtigste, was der Artikel gegen Deutschland vorbringt, sind die
Anklagen gegen die deutsche Politik der Gegenwart. Wie tief das kaiserliche


Verbände, wenn sie diese Wendung lesen sollten, seufzen, wenn dem doch so
wäre! Aber leider ist es keineswegs so. Graf Bülow will von uns nicht
viel wissen und hat unserm Führer am 12. Dezember vorigen Jahres eine sehr
deutliche Absage erteilt, wegen deren wir ihm recht böse gewesen sind." In
der That, der Altdeutsche Verband ist, was man vielleicht bedauern kann, noch
keine Macht im deutschen Leben, und was er erstrebt, ist nichts eigentlich
Politisches. Er will nur das Gefühl der nationalen Gemeinschaft zwischen
den Deutschen im Reiche und denen jenseits der Grenze, namentlich in Oster¬
reich, stärken, und er rechnet zu den Dentschen allerdings auch die Nieder¬
länder, die sich bekanntlich erst seit dem siebzehnten Jahrhundert von der Ge¬
samtheit der Nation abgezweigt haben und bis dahin nichts weiter gewesen
sind als ein niederdeutscher Stamm so gut wie etwa die Westfalen, nichts
weiter. Und dieser Altdeutsche Verband soll eine „russenfeindliche Politik"
verfolgen und den Bestand Österreichs bedrohn! Unser englischer Herr Kollege
verwechselt hier slawisch und russisch und scheint gar nichts davon zu wissen,
daß wir Deutschen im Reiche wie in Osterreich gegenüber einer slawischen
Hochflut im Berteidigungszustande sind, keineswegs im Angriff; das Unsrige
zu behaupten, die Früchte einer vielhundertjährigen Kulturarbeit uns von un¬
entwickelten Völkern, die ihr sogar ihre junge Kultur erst verdanken, nicht
nehmen zu lassen, das wird er uns Wohl erlauben. Oder hat er schon ver¬
gessen, daß die Beschwerden der Uitlanders in Transvaal über Nechtsverkürzuug
durch die Burenregierung für England den Anlaß zum südafrikanischen Kriege
gegeben haben? Ähnliche Bestrebungen giebt es doch überall. Von dem
Panslawismns sehen wir dabei noch ganz ub, denn er geht weit über die
Grenzen des russischen Volks hinaus, kann also mit dem Altdeutschen Ver¬
bände gar nicht verglichen werden; aber auch die italienische Lovistg, Uano
^Mieri will die nationalen Bande mit den im Auslande lebenden Italienern
befestigen, vielleicht zum Ärger der Engländer auch mit den italienischen Mal¬
tesern, denen man jetzt das Englische als Amtssprache aufdrängen will. Wir
wollen hier die englische IiQpörwI ^käMitum und die LUtiÄi Lurxirs
I^ÄAus nicht zum Vergleich heranziehn, denn ihr Ziel ist die engere politische
Verbindung zwischen den lose zusammenhängenden Teilen deS britischen Reichs,
und die Kolonien stehn eben auch unter englischer Herrschaft; aber die Stärkung
des angelsächsischen Gesamtbewußtseins erstrebt sie doch anch, und wen» die
Deutschen Österreichs oder die Niederländer politisch jetzt von, Kerne der Nation
getrennt sind, so sind sie jahrhundertelang mit ihm nicht nur politisch ver¬
bunden, sondern Glieder des nationalen Körpers gewesen und darum mit ihm
durch Geschichte und Kultur viel enger verwachsen als die jungen englischen
Kolonien mit dem Mutterlande. Wir denken gar nicht daran, Österreich, die
Schweiz, Holland zu annektieren, aber jene Beziehungen werden und dürfen
wir niemals aufgeben, darüber sind alle denkenden Deutschen einig, anch wenn
sie nicht dem Altdeutschen Verbände angehöre».

Das Wichtigste, was der Artikel gegen Deutschland vorbringt, sind die
Anklagen gegen die deutsche Politik der Gegenwart. Wie tief das kaiserliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/373>, abgerufen am 28.07.2024.