Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Gedanken zum Fall Urosigk immer die Hauptschuld an etwa gemachten Fehlern in: Zweifel den Juristen Wir wollen ans eine Kritik der Fachleistungen der Militärjuristen, die in Gedanken zum Fall Urosigk immer die Hauptschuld an etwa gemachten Fehlern in: Zweifel den Juristen Wir wollen ans eine Kritik der Fachleistungen der Militärjuristen, die in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235857"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken zum Fall Urosigk</fw><lb/> <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> immer die Hauptschuld an etwa gemachten Fehlern in: Zweifel den Juristen<lb/> beimessen können. Es ist das von der größten Wichtigkeit. Die Angriffe<lb/> gegen die Militärstrafjnstiz werden hauptsächlich dadurch begründet, daß man<lb/> einen unzureichenden Einfluß der juristischen Militärgerichtspersonen annimmt.<lb/> Soweit es sich um den ihnen gesetzlich eingeräumten und garantierten Einfluß<lb/> handelt, ist diese Behauptung falsch. Es bliebe nnr die Frage, ob sie durch<lb/> irgend welche äußerliche Rücksichten veranlaßt würden, von den ihnen durch<lb/> das Gesetz erteilten Vollmachten keinen hinreichenden Gebrauch zu machen.<lb/> Wir würden ihre Bejahung für die ärgste Beleidigung der Militärjuristeu<lb/> halten und müssen sie bis zum strikten Beweis im Einzelfalle ganz entschieden<lb/> zurückweisen. Aber es ist doch klar, daß es dringende Pflicht aller beteiligten<lb/> Stellen ist, auch hier jeden ungünstigen Schein zu vermeiden. Die Militär¬<lb/> juristen stehn nun einmal auf einem ganz besonders exponierten Posten. Das<lb/> Vorurteil, sie seien unfähig, das Recht so zu wahren, wie sie sollten, darf<lb/> unter keinen Umständen Wurzel fassen, wenn nicht die Disziplin in der Armee<lb/> ans das schwerste gefährdet werden soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_85" next="#ID_86"> Wir wollen ans eine Kritik der Fachleistungen der Militärjuristen, die in<lb/> Gumbinnen thätig waren, nicht naher eingehn. Die Presse aller Parteien hat<lb/> sie schon reichlich geübt. Die verfahrne Lage selbst, in die die Sache gernteil<lb/> ist, ist die schärfste Kritik. Auf Grund eines fast beispiellos kläglichen<lb/> Jndizienmaterials hat der die Anklage vertretende Jurist in der Berufungs¬<lb/> instanz ein Schuldig beantragt. Aber was für ein Schuldig! Nicht des<lb/> Mordes, sondern des Totschlags in Verbindung mit Meuterei, obwohl, wenn<lb/> durch die Indizien überhaupt etwas bewiesen war, was doch nur Mord sein konnte,<lb/> und eine Meuterei zum Zweck des Totschlags, worum es sich hier uur handeln<lb/> konnte, ein Unding ist. Die ganze Welt hat so das Recht zu glauben, daß<lb/> der Ankläger selbst den Schuldbeweis nicht für erbracht ansah und deshalb,<lb/> da er die Freisprechung auch nicht beantragen wollte, nur das Schuldig des<lb/> Totschlags beantragte, damit wenigstens die Todesstrafe vermieden würde.<lb/> Das Gericht hat dann — juristisch viel korrekter — auf schuldig des Mords<lb/> erkannt. Das ganze Unglück kommt her von der juristisch verkehrten Behand¬<lb/> lung des Indizienbeweises, wofür eben wieder nur der sehr gerechtfertigte<lb/> dringende Wunsch, die wie ein furchtbarer Alp auf der Schwadron, aus dein<lb/> ganzen Regiment lastende Sache so bald als möglich abzuthun, eine Erklärung,<lb/> wenn auch keine Entschuldigung ist. Die suggestive Wirkung der Jndizicnjagd<lb/> hat dabei das ihre gethan. Der Jndizieujäger verliert nur zu regelmäßig das<lb/> klare Urteil über die objektive Bedeutung der erjagten Thatsachen und über<lb/> die rein hypothetische Natur seiner Kombinationen, vollends der Routinier im<lb/> Jndizienfang, der Kriminalkommissar, der — man wird wohl sagen müssen:<lb/> leider — anch in Gumbinnen, wie es scheint, eine sehr nnsschlaggebende Rolle<lb/> in der Voruntersuchung gespielt hat. Es war der ungeheure Fehler, auf so<lb/> unzureichende Indizien hin ein gerichtliches Urteil zu provozieren, und ein noch<lb/> größerer, die Berufungsinstanz in Anspruch zu nehmen, ohne sie vervollständigt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Gedanken zum Fall Urosigk
immer die Hauptschuld an etwa gemachten Fehlern in: Zweifel den Juristen
beimessen können. Es ist das von der größten Wichtigkeit. Die Angriffe
gegen die Militärstrafjnstiz werden hauptsächlich dadurch begründet, daß man
einen unzureichenden Einfluß der juristischen Militärgerichtspersonen annimmt.
Soweit es sich um den ihnen gesetzlich eingeräumten und garantierten Einfluß
handelt, ist diese Behauptung falsch. Es bliebe nnr die Frage, ob sie durch
irgend welche äußerliche Rücksichten veranlaßt würden, von den ihnen durch
das Gesetz erteilten Vollmachten keinen hinreichenden Gebrauch zu machen.
Wir würden ihre Bejahung für die ärgste Beleidigung der Militärjuristeu
halten und müssen sie bis zum strikten Beweis im Einzelfalle ganz entschieden
zurückweisen. Aber es ist doch klar, daß es dringende Pflicht aller beteiligten
Stellen ist, auch hier jeden ungünstigen Schein zu vermeiden. Die Militär¬
juristen stehn nun einmal auf einem ganz besonders exponierten Posten. Das
Vorurteil, sie seien unfähig, das Recht so zu wahren, wie sie sollten, darf
unter keinen Umständen Wurzel fassen, wenn nicht die Disziplin in der Armee
ans das schwerste gefährdet werden soll.
Wir wollen ans eine Kritik der Fachleistungen der Militärjuristen, die in
Gumbinnen thätig waren, nicht naher eingehn. Die Presse aller Parteien hat
sie schon reichlich geübt. Die verfahrne Lage selbst, in die die Sache gernteil
ist, ist die schärfste Kritik. Auf Grund eines fast beispiellos kläglichen
Jndizienmaterials hat der die Anklage vertretende Jurist in der Berufungs¬
instanz ein Schuldig beantragt. Aber was für ein Schuldig! Nicht des
Mordes, sondern des Totschlags in Verbindung mit Meuterei, obwohl, wenn
durch die Indizien überhaupt etwas bewiesen war, was doch nur Mord sein konnte,
und eine Meuterei zum Zweck des Totschlags, worum es sich hier uur handeln
konnte, ein Unding ist. Die ganze Welt hat so das Recht zu glauben, daß
der Ankläger selbst den Schuldbeweis nicht für erbracht ansah und deshalb,
da er die Freisprechung auch nicht beantragen wollte, nur das Schuldig des
Totschlags beantragte, damit wenigstens die Todesstrafe vermieden würde.
Das Gericht hat dann — juristisch viel korrekter — auf schuldig des Mords
erkannt. Das ganze Unglück kommt her von der juristisch verkehrten Behand¬
lung des Indizienbeweises, wofür eben wieder nur der sehr gerechtfertigte
dringende Wunsch, die wie ein furchtbarer Alp auf der Schwadron, aus dein
ganzen Regiment lastende Sache so bald als möglich abzuthun, eine Erklärung,
wenn auch keine Entschuldigung ist. Die suggestive Wirkung der Jndizicnjagd
hat dabei das ihre gethan. Der Jndizieujäger verliert nur zu regelmäßig das
klare Urteil über die objektive Bedeutung der erjagten Thatsachen und über
die rein hypothetische Natur seiner Kombinationen, vollends der Routinier im
Jndizienfang, der Kriminalkommissar, der — man wird wohl sagen müssen:
leider — anch in Gumbinnen, wie es scheint, eine sehr nnsschlaggebende Rolle
in der Voruntersuchung gespielt hat. Es war der ungeheure Fehler, auf so
unzureichende Indizien hin ein gerichtliches Urteil zu provozieren, und ein noch
größerer, die Berufungsinstanz in Anspruch zu nehmen, ohne sie vervollständigt
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