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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Disziplin und Sozinldcnwknitie

Manövern berichtet die Lidorlo. Abgesehen davon, daß die Soldaten nicht
zur Ausdauer erzöge" und infolgedessen den Anstrengungen der Übungen nicht
gewachsen gewesen seien, habe die Disziplin außerordentlich viel zu wünschen
übrig gelassen. Ein Bataillonskommandeur habe dem Berichterstatter gesagt,
daß es Tage gäbe, wo er sich nicht ans die Straße zu gehn getraue, weil er
fürchte, von seinen Soldaten nicht gegrüßt zu werde". Jede Bestrafung eines
Mannes habe aber die Einmischung eines Abgeordneten zur Folge, dem der
Kriegsminister -- da der Abgeordnete meist der parlamentarischen Mehrheit
angehöre -- jedesmal Recht gäbe. Mit den Worten: "Meine Kameraden
und ich sind tief entmutigt," habe der Vataillouskommandeur seine Klage ge¬
schlossen.

Man könnte ja hierin unbegründete oder tendenziöse Berichte vermuten,
aber ein gewiß einwandfreier Zeuge, der Korrespondent von 1^ I^r-mög militiürv
über die großen Manöver im Osten Frankreichs, der in günstigster Weise über
die Leistungen der Truppen berichtet, schreibt doch mich an einer Stelle seines
Berichts: ". . . ich war überrascht von den offenbaren Anzeichen von Schlaff¬
heit. Es gab Soldaten, die ihre Gewehre von gutwilligen jungen Bauern¬
burschen tragen ließen, die sich der Marschkolonne anschlössen; Massen von
Nachzüglern erwarteten die Ankunft des Oberarztes. Dabei war die Tempe¬
ratur ideal günstig: milder Sonnenschein ohne Hitze, starker Wind, der für die
Fußtruppen außerordentlich angenehm war."

Wenn das französische stehende Heer unter solchen Erscheinungen der
Disziplinlosigkeit litt, so darf man sich nicht wundern über ähnliche Vor¬
kommnisse in der Schweizer Milizarmee. Während der Manöver in der West¬
schweiz sind beim Landwehrbataillon Ur. 103 Ausschreitungen vorgekommen,
die nicht mit Unrecht von vielen Seiten als Meuterei bezeichnet wurde", und
die bis zur Beschimpfung und thätlichen Bedrohung der Offiziere gingen.
Ein ganz vorzüglicher Artikel in der Allgemeinen Schweizerischen Militär-
zeitnng (Nummer 40 vom 5. Oktober) stellt fest, daß kein pflichtwidriges
Benehmen der Offiziere vorgelegen habe, und daß diese Vorfälle nicht als
ein Übel bezeichnet werden dürften, das mit der Bestrafung der Übelthäter
erledigt sei, sondern daß sie das Svmptom eines latenten Zustands der Jndis-
ziplin seien.

Nach der Besprechung dieser Vorkommnisse in Frankreich und in der
Schweiz wäre es ungerecht, wenn wir nicht auch die Vorfälle auf dem deutschen
Kriegsschiff "Gazelle" und neuerdings ans dem Panzer "Hagen" erwähnen
wollten, da eine gewisse Jndiszivlin jedenfalls dabei im Spiele gewesen sein
dürfte, wenn auch unzweifelhaft andre Anlässe vorhanden waren.

Diese Vorkommnisse und Erscheinungen legen nun, unsrer Meinung nach,
zwei Fragen nahe: 1. Wodurch werden derartige Vorkommnisse von grober
Jndiszipliu in der Armee hervorgerufen, und 2. wie hat sich die vorgesetzte
Behörde ihnen gegenüber zu Verhalten?

Wegen der ersten Frage sind Nur der festen und unumstößlichen Über-


Disziplin und Sozinldcnwknitie

Manövern berichtet die Lidorlo. Abgesehen davon, daß die Soldaten nicht
zur Ausdauer erzöge» und infolgedessen den Anstrengungen der Übungen nicht
gewachsen gewesen seien, habe die Disziplin außerordentlich viel zu wünschen
übrig gelassen. Ein Bataillonskommandeur habe dem Berichterstatter gesagt,
daß es Tage gäbe, wo er sich nicht ans die Straße zu gehn getraue, weil er
fürchte, von seinen Soldaten nicht gegrüßt zu werde». Jede Bestrafung eines
Mannes habe aber die Einmischung eines Abgeordneten zur Folge, dem der
Kriegsminister — da der Abgeordnete meist der parlamentarischen Mehrheit
angehöre — jedesmal Recht gäbe. Mit den Worten: „Meine Kameraden
und ich sind tief entmutigt," habe der Vataillouskommandeur seine Klage ge¬
schlossen.

Man könnte ja hierin unbegründete oder tendenziöse Berichte vermuten,
aber ein gewiß einwandfreier Zeuge, der Korrespondent von 1^ I^r-mög militiürv
über die großen Manöver im Osten Frankreichs, der in günstigster Weise über
die Leistungen der Truppen berichtet, schreibt doch mich an einer Stelle seines
Berichts: „. . . ich war überrascht von den offenbaren Anzeichen von Schlaff¬
heit. Es gab Soldaten, die ihre Gewehre von gutwilligen jungen Bauern¬
burschen tragen ließen, die sich der Marschkolonne anschlössen; Massen von
Nachzüglern erwarteten die Ankunft des Oberarztes. Dabei war die Tempe¬
ratur ideal günstig: milder Sonnenschein ohne Hitze, starker Wind, der für die
Fußtruppen außerordentlich angenehm war."

Wenn das französische stehende Heer unter solchen Erscheinungen der
Disziplinlosigkeit litt, so darf man sich nicht wundern über ähnliche Vor¬
kommnisse in der Schweizer Milizarmee. Während der Manöver in der West¬
schweiz sind beim Landwehrbataillon Ur. 103 Ausschreitungen vorgekommen,
die nicht mit Unrecht von vielen Seiten als Meuterei bezeichnet wurde«, und
die bis zur Beschimpfung und thätlichen Bedrohung der Offiziere gingen.
Ein ganz vorzüglicher Artikel in der Allgemeinen Schweizerischen Militär-
zeitnng (Nummer 40 vom 5. Oktober) stellt fest, daß kein pflichtwidriges
Benehmen der Offiziere vorgelegen habe, und daß diese Vorfälle nicht als
ein Übel bezeichnet werden dürften, das mit der Bestrafung der Übelthäter
erledigt sei, sondern daß sie das Svmptom eines latenten Zustands der Jndis-
ziplin seien.

Nach der Besprechung dieser Vorkommnisse in Frankreich und in der
Schweiz wäre es ungerecht, wenn wir nicht auch die Vorfälle auf dem deutschen
Kriegsschiff „Gazelle" und neuerdings ans dem Panzer „Hagen" erwähnen
wollten, da eine gewisse Jndiszivlin jedenfalls dabei im Spiele gewesen sein
dürfte, wenn auch unzweifelhaft andre Anlässe vorhanden waren.

Diese Vorkommnisse und Erscheinungen legen nun, unsrer Meinung nach,
zwei Fragen nahe: 1. Wodurch werden derartige Vorkommnisse von grober
Jndiszipliu in der Armee hervorgerufen, und 2. wie hat sich die vorgesetzte
Behörde ihnen gegenüber zu Verhalten?

Wegen der ersten Frage sind Nur der festen und unumstößlichen Über-


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[0322] Disziplin und Sozinldcnwknitie Manövern berichtet die Lidorlo. Abgesehen davon, daß die Soldaten nicht zur Ausdauer erzöge» und infolgedessen den Anstrengungen der Übungen nicht gewachsen gewesen seien, habe die Disziplin außerordentlich viel zu wünschen übrig gelassen. Ein Bataillonskommandeur habe dem Berichterstatter gesagt, daß es Tage gäbe, wo er sich nicht ans die Straße zu gehn getraue, weil er fürchte, von seinen Soldaten nicht gegrüßt zu werde». Jede Bestrafung eines Mannes habe aber die Einmischung eines Abgeordneten zur Folge, dem der Kriegsminister — da der Abgeordnete meist der parlamentarischen Mehrheit angehöre — jedesmal Recht gäbe. Mit den Worten: „Meine Kameraden und ich sind tief entmutigt," habe der Vataillouskommandeur seine Klage ge¬ schlossen. Man könnte ja hierin unbegründete oder tendenziöse Berichte vermuten, aber ein gewiß einwandfreier Zeuge, der Korrespondent von 1^ I^r-mög militiürv über die großen Manöver im Osten Frankreichs, der in günstigster Weise über die Leistungen der Truppen berichtet, schreibt doch mich an einer Stelle seines Berichts: „. . . ich war überrascht von den offenbaren Anzeichen von Schlaff¬ heit. Es gab Soldaten, die ihre Gewehre von gutwilligen jungen Bauern¬ burschen tragen ließen, die sich der Marschkolonne anschlössen; Massen von Nachzüglern erwarteten die Ankunft des Oberarztes. Dabei war die Tempe¬ ratur ideal günstig: milder Sonnenschein ohne Hitze, starker Wind, der für die Fußtruppen außerordentlich angenehm war." Wenn das französische stehende Heer unter solchen Erscheinungen der Disziplinlosigkeit litt, so darf man sich nicht wundern über ähnliche Vor¬ kommnisse in der Schweizer Milizarmee. Während der Manöver in der West¬ schweiz sind beim Landwehrbataillon Ur. 103 Ausschreitungen vorgekommen, die nicht mit Unrecht von vielen Seiten als Meuterei bezeichnet wurde«, und die bis zur Beschimpfung und thätlichen Bedrohung der Offiziere gingen. Ein ganz vorzüglicher Artikel in der Allgemeinen Schweizerischen Militär- zeitnng (Nummer 40 vom 5. Oktober) stellt fest, daß kein pflichtwidriges Benehmen der Offiziere vorgelegen habe, und daß diese Vorfälle nicht als ein Übel bezeichnet werden dürften, das mit der Bestrafung der Übelthäter erledigt sei, sondern daß sie das Svmptom eines latenten Zustands der Jndis- ziplin seien. Nach der Besprechung dieser Vorkommnisse in Frankreich und in der Schweiz wäre es ungerecht, wenn wir nicht auch die Vorfälle auf dem deutschen Kriegsschiff „Gazelle" und neuerdings ans dem Panzer „Hagen" erwähnen wollten, da eine gewisse Jndiszivlin jedenfalls dabei im Spiele gewesen sein dürfte, wenn auch unzweifelhaft andre Anlässe vorhanden waren. Diese Vorkommnisse und Erscheinungen legen nun, unsrer Meinung nach, zwei Fragen nahe: 1. Wodurch werden derartige Vorkommnisse von grober Jndiszipliu in der Armee hervorgerufen, und 2. wie hat sich die vorgesetzte Behörde ihnen gegenüber zu Verhalten? Wegen der ersten Frage sind Nur der festen und unumstößlichen Über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/322>, abgerufen am 01.09.2024.