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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Gedanken zum Fall Rrosig?

auf dem er- nur schaden konnte, erhalten worden wäre. Gott sei Dank herrscht,
so lange es eine preußische Armee giebt, bei uns an höchster Stelle eine so
rücksichtslos ernste Auffassung der militärischen Pflichten und Leistungen gerade
bei der Truppe, daß es kein Chef des Militärkabinetts, kein kommandierender
General und kein Regimentskommandeur ungestraft wagen könnte, wider besseres
Wissen Personen zur Bestallung oder Belassung in Dienststellen bei der Truppe
zu empfehlen, in denen sie -- um nur vom Frieden zu reden -- die Aus¬
bildung und namentlich die Disziplin gefährden könnten. Auch in dem Falle
Krosigk würden solche Verfehlungen, wenn sie festgestellt werden sollten, am
allerwenigsten ungestraft bleiben.

Es giebt in der Armee, was die Ausbildung der Unteroffiziere und der
Mannschaften und ihre Erziehung zur Disziplin und ihre Erhaltung darin be¬
trifft, keine verantwortlichere Stellung als die des Kompagnie-, des Schwadrons¬
und des Batteriechefs. Alles kommt hier auf den Hauptmann und den Ritt¬
meister an, von ihnen fast allein hängt es ab, ob die Leute deu Dienst als
Plage oder als Ehre empfinden. Wenn er seine Sache versteht und seine
Pflicht thut, kann kein Stabsoffizier oder General und auch kein Leutnant
allzuviel verderben, und wenn er die Leute verdirbt, dann kann niemand die
Sache wieder gut machen. Da hilft eben nur möglichst schnelle Enthebung vom
Dienst. Deshalb ist die Hauptmanns- und die Rittmeisterecke eigentlich immer
viel wichtiger gewesen als die Majorsecke, um die so viele nicht herum kommen,
und es wird nichts schaden, wenn der Fall in Gumbinnen das wieder recht
zum Bewußtsein bringt. Heute ist die Erziehung zur Disziplin schwerer als
vor dreißig Jahren, und deshalb auch die Aufgabe des Hauptmanns und des
Rittmeisters noch wichtiger und schwieriger. Freilich wenn schon an der Haupt¬
mannsecke soviel Verabschiedungen einträten, wie bisher an der Majorsecke, dann
würde das Geschrei über die Masse jugendlicher Pensionärs erst recht laut
werden. Aber da das Disziplinproblcm nun einmal in der nächsten Zukunft
unsrer Armee eine sehr ernste Rolle spielen wird, so wird man auch dem Haupt-
mannsproblcm eine ernstere Beachtung schenken müssen. Jedenfalls sind so
unglückliche Temperamente und Charaktere wie die des in Gumbinnen er¬
mordeten Rittmeisters bei den Kompagnie-, Schwndrons- und Batteriechefs das
allerschlimmste Gift und die allergrößte Gefahr für die Disziplin der ganzen
Armee.

Der Vorwurf unbilliger Bevorzugung des Adels und wohl gar des
Nepotismus überhaupt im Offizierkorps ist durch den Fall natürlich wieder
sehr viel populärer aber deshalb in seiner Allgemeinheit um nichts berechtigter
geworden. Wer von den verschiednen Regimentskonnnandenren -- sie kommen
immer zunächst in Betracht --, die der unglückliche Rittmeister gehabt hat, auf
seinen Namen zu viel Rücksicht genommen haben mag, können wir nicht unter¬
suchen und noch weniger entscheiden, aber daß man einem Offizier, vollends
einem Kavallerieoffizier seines Namens etwas reichlicher Zeit läßt, zur Ver¬
nunft zu kommen, etwas länger versucht, ihn durch Vermahnungen und Rügen


Gedanken zum Fall Rrosig?

auf dem er- nur schaden konnte, erhalten worden wäre. Gott sei Dank herrscht,
so lange es eine preußische Armee giebt, bei uns an höchster Stelle eine so
rücksichtslos ernste Auffassung der militärischen Pflichten und Leistungen gerade
bei der Truppe, daß es kein Chef des Militärkabinetts, kein kommandierender
General und kein Regimentskommandeur ungestraft wagen könnte, wider besseres
Wissen Personen zur Bestallung oder Belassung in Dienststellen bei der Truppe
zu empfehlen, in denen sie — um nur vom Frieden zu reden — die Aus¬
bildung und namentlich die Disziplin gefährden könnten. Auch in dem Falle
Krosigk würden solche Verfehlungen, wenn sie festgestellt werden sollten, am
allerwenigsten ungestraft bleiben.

Es giebt in der Armee, was die Ausbildung der Unteroffiziere und der
Mannschaften und ihre Erziehung zur Disziplin und ihre Erhaltung darin be¬
trifft, keine verantwortlichere Stellung als die des Kompagnie-, des Schwadrons¬
und des Batteriechefs. Alles kommt hier auf den Hauptmann und den Ritt¬
meister an, von ihnen fast allein hängt es ab, ob die Leute deu Dienst als
Plage oder als Ehre empfinden. Wenn er seine Sache versteht und seine
Pflicht thut, kann kein Stabsoffizier oder General und auch kein Leutnant
allzuviel verderben, und wenn er die Leute verdirbt, dann kann niemand die
Sache wieder gut machen. Da hilft eben nur möglichst schnelle Enthebung vom
Dienst. Deshalb ist die Hauptmanns- und die Rittmeisterecke eigentlich immer
viel wichtiger gewesen als die Majorsecke, um die so viele nicht herum kommen,
und es wird nichts schaden, wenn der Fall in Gumbinnen das wieder recht
zum Bewußtsein bringt. Heute ist die Erziehung zur Disziplin schwerer als
vor dreißig Jahren, und deshalb auch die Aufgabe des Hauptmanns und des
Rittmeisters noch wichtiger und schwieriger. Freilich wenn schon an der Haupt¬
mannsecke soviel Verabschiedungen einträten, wie bisher an der Majorsecke, dann
würde das Geschrei über die Masse jugendlicher Pensionärs erst recht laut
werden. Aber da das Disziplinproblcm nun einmal in der nächsten Zukunft
unsrer Armee eine sehr ernste Rolle spielen wird, so wird man auch dem Haupt-
mannsproblcm eine ernstere Beachtung schenken müssen. Jedenfalls sind so
unglückliche Temperamente und Charaktere wie die des in Gumbinnen er¬
mordeten Rittmeisters bei den Kompagnie-, Schwndrons- und Batteriechefs das
allerschlimmste Gift und die allergrößte Gefahr für die Disziplin der ganzen
Armee.

Der Vorwurf unbilliger Bevorzugung des Adels und wohl gar des
Nepotismus überhaupt im Offizierkorps ist durch den Fall natürlich wieder
sehr viel populärer aber deshalb in seiner Allgemeinheit um nichts berechtigter
geworden. Wer von den verschiednen Regimentskonnnandenren — sie kommen
immer zunächst in Betracht —, die der unglückliche Rittmeister gehabt hat, auf
seinen Namen zu viel Rücksicht genommen haben mag, können wir nicht unter¬
suchen und noch weniger entscheiden, aber daß man einem Offizier, vollends
einem Kavallerieoffizier seines Namens etwas reichlicher Zeit läßt, zur Ver¬
nunft zu kommen, etwas länger versucht, ihn durch Vermahnungen und Rügen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/30>, abgerufen am 01.09.2024.