Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Hellencntum und Christentum Als zweiter Quell, aus dem immer wieder neue göttliche Wesen hervor¬ Unsern heutigen Theologen fällt es schwer, ihrem der Psychologie nicht Hellencntum und Christentum Als zweiter Quell, aus dem immer wieder neue göttliche Wesen hervor¬ Unsern heutigen Theologen fällt es schwer, ihrem der Psychologie nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236121"/> <fw type="header" place="top"> Hellencntum und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1158"> Als zweiter Quell, aus dem immer wieder neue göttliche Wesen hervor¬<lb/> gehn mußten, bleibt ihr Ursprung, die Natnrbeseelnng, trotz des durch den<lb/> Olymp begrenzten Götterkreises. Es wimmelt das Meer wie von Fischen so<lb/> von Begleiterinnen der silberfüßigcn Thetis und von Dienern verschiedner dem<lb/> Poseidon untergeordneter Meergreise; jeder Fluß, nu den ein Herumirrcnder<lb/> oder Kämpfender kommt, wird als Gott angerufen und nimmt unter Umständen<lb/> Menschengestalt an; und betritt einer ein Gebüsch, worin Quellen sprudeln,<lb/> so betet er zu den Nymphen und Najaden des Orts, die ganz wie Menschen-<lb/> Weiber Webstuhle haben und Gewänder wirken. Gerade diese untergeordneten<lb/> Wesen, die Geschöpfe des Animismns, sind wirklich unsterblich, wie Milchhvfer<lb/> richtig bemerkt: die großen Götter können gestürzt werden, aber das kleine<lb/> Gezücht wimmelt und heckt leider meistens nicht in den schönen von<lb/> Homer geschaffnen Gestalten ^ unausrottbar in der Volksphantasie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1159" next="#ID_1160"> Unsern heutigen Theologen fällt es schwer, ihrem der Psychologie nicht<lb/> unkundigen Publikum einen Zustand jenseitiger nie endender Seligkeit glaub¬<lb/> haft zu machen. Homer war dieser Schwierigkeit überhoben durch die wahr¬<lb/> scheinlich schon von der Volksphantasie rücksichtslos durchgeführte Vermensch-<lb/> lichttng seiner Götter. Diese tafeln, musizieren und arbeiten nicht allein,<lb/> sondern zanken, intriguieren und übertölpeln einander auch, was ja bis auf<lb/> den heutigen Tag der beliebteste Zeitvertreib der Menschen geblieben ist. Vor<lb/> allein aber verkehren sie unablässig mit diesen Menschen, und das Interesse<lb/> für sie, die Beschäftigung mit ihnen ist es eben, was allen Zank im Olymp<lb/> verursacht. Sie erscheinen als eine Aristokratie, die durch bestündiges Ein¬<lb/> greifen in die Handlungen und Verhältnisse des Meuschenvolks dieses regiert,<lb/> und sie unterscheiden sich, abgesehen von ihrer übermenschlichen Natur, nur<lb/> dadurch von einer gewöhnlichen Aristokratie, daß sie abgesondert von den Be¬<lb/> herrschten wohnen und ihr Amt inkognito ausüben. Ans sehr verschiedne<lb/> Weise begeben sie sich zu den Sterblichen und überhaupt nach entfernten Orten.<lb/> Ganz ihrer Würde angemessen erscheint es, wenn Here ans ihrem Wagen zum<lb/> Himmelsthor hinausfährt, dessen von den Horen bewachte Flügel von selbst<lb/> zurückspringen, sodaß es kracht, oder wen» ein Meergott, von großem Geleit<lb/> seiner Unterthanen umgeben, auf den Wogen eiuherrauscht. Oft aber gehn<lb/> sie auch zu Fuß, und Zeus fragt die Here, die ihn auf dem Jda besucht,<lb/> nach ihrem Gespann. Sie rennen manchmal, wie bezahlte oder Schläge fürch¬<lb/> tende Boten, von beflügelter Sohlen getragen. Gleich dein Blitz, dem<lb/> Hagelschauer oder gleich Möwen schießen sie durch die Luft, wobei es ungewiß<lb/> bleibt, ob das mir ein Bild sein oder die wirkliche Erscheinungsweise des<lb/> Gottes anzeigen soll. Vogelgestalt nehmen sie oft an, besonders beim Abschied<lb/> von dein Schützling, dem sie in Menschengestalt erschienen sind. An dieser<lb/> Verwandlung wird dann der Besucher als ein Gott erkannt. Manchmal erkennt<lb/> man ihn jedoch auch in seiner Menschengestalt, wenn er den Rücken wendet<lb/> und nun übermenschlich schöne oder große Glieder zeigt. Zuweilen giebt er<lb/> sich mit ausdrücklichen Worten zu erkennen. Die besuchenden Götter setzen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Hellencntum und Christentum
Als zweiter Quell, aus dem immer wieder neue göttliche Wesen hervor¬
gehn mußten, bleibt ihr Ursprung, die Natnrbeseelnng, trotz des durch den
Olymp begrenzten Götterkreises. Es wimmelt das Meer wie von Fischen so
von Begleiterinnen der silberfüßigcn Thetis und von Dienern verschiedner dem
Poseidon untergeordneter Meergreise; jeder Fluß, nu den ein Herumirrcnder
oder Kämpfender kommt, wird als Gott angerufen und nimmt unter Umständen
Menschengestalt an; und betritt einer ein Gebüsch, worin Quellen sprudeln,
so betet er zu den Nymphen und Najaden des Orts, die ganz wie Menschen-
Weiber Webstuhle haben und Gewänder wirken. Gerade diese untergeordneten
Wesen, die Geschöpfe des Animismns, sind wirklich unsterblich, wie Milchhvfer
richtig bemerkt: die großen Götter können gestürzt werden, aber das kleine
Gezücht wimmelt und heckt leider meistens nicht in den schönen von
Homer geschaffnen Gestalten ^ unausrottbar in der Volksphantasie.
Unsern heutigen Theologen fällt es schwer, ihrem der Psychologie nicht
unkundigen Publikum einen Zustand jenseitiger nie endender Seligkeit glaub¬
haft zu machen. Homer war dieser Schwierigkeit überhoben durch die wahr¬
scheinlich schon von der Volksphantasie rücksichtslos durchgeführte Vermensch-
lichttng seiner Götter. Diese tafeln, musizieren und arbeiten nicht allein,
sondern zanken, intriguieren und übertölpeln einander auch, was ja bis auf
den heutigen Tag der beliebteste Zeitvertreib der Menschen geblieben ist. Vor
allein aber verkehren sie unablässig mit diesen Menschen, und das Interesse
für sie, die Beschäftigung mit ihnen ist es eben, was allen Zank im Olymp
verursacht. Sie erscheinen als eine Aristokratie, die durch bestündiges Ein¬
greifen in die Handlungen und Verhältnisse des Meuschenvolks dieses regiert,
und sie unterscheiden sich, abgesehen von ihrer übermenschlichen Natur, nur
dadurch von einer gewöhnlichen Aristokratie, daß sie abgesondert von den Be¬
herrschten wohnen und ihr Amt inkognito ausüben. Ans sehr verschiedne
Weise begeben sie sich zu den Sterblichen und überhaupt nach entfernten Orten.
Ganz ihrer Würde angemessen erscheint es, wenn Here ans ihrem Wagen zum
Himmelsthor hinausfährt, dessen von den Horen bewachte Flügel von selbst
zurückspringen, sodaß es kracht, oder wen» ein Meergott, von großem Geleit
seiner Unterthanen umgeben, auf den Wogen eiuherrauscht. Oft aber gehn
sie auch zu Fuß, und Zeus fragt die Here, die ihn auf dem Jda besucht,
nach ihrem Gespann. Sie rennen manchmal, wie bezahlte oder Schläge fürch¬
tende Boten, von beflügelter Sohlen getragen. Gleich dein Blitz, dem
Hagelschauer oder gleich Möwen schießen sie durch die Luft, wobei es ungewiß
bleibt, ob das mir ein Bild sein oder die wirkliche Erscheinungsweise des
Gottes anzeigen soll. Vogelgestalt nehmen sie oft an, besonders beim Abschied
von dein Schützling, dem sie in Menschengestalt erschienen sind. An dieser
Verwandlung wird dann der Besucher als ein Gott erkannt. Manchmal erkennt
man ihn jedoch auch in seiner Menschengestalt, wenn er den Rücken wendet
und nun übermenschlich schöne oder große Glieder zeigt. Zuweilen giebt er
sich mit ausdrücklichen Worten zu erkennen. Die besuchenden Götter setzen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |