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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Über das Rrankenverstchernngsgesctz

Historiker Heinrich von Sybel und der Deutsch-Amerikaner Friedrich Kapp
haben sich gegen das allgemeine, gleiche Wahlrecht ausgesprochen. Sogar
Fürst Bismarck, der eigentliche Schöpfer der hente in Deutschland geltenden
Wahlart, hat das allgemeine, gleiche Wahlrecht niemals als politisches Ideal,
sondern immer nnr als politische Waffe betrachtet.")

In Belgien ist bei der Wcihlrcform von 1893 und 1899 das allgemeine
ungleiche Wahlrecht -- nämlich die Pluralität -- eingeführt worden; ferner
ist das Wahlrecht in eine Wahlpflicht umgewandelt und um Stelle der
Majoritäts- und Stichwahlen die Einrichtung der Prvportionalwahleu gesetzt
worden.

Sogar in Frankreich beginnt der Glaube an die Wunderkraft des all¬
gemeinen, gleichen Wahlrechts zu wanken. Eine der ersten Autoritäten auf
dem Gebiet des französischen Staats- und Verwaltungsrechts -- Ducrocq --
hat seinen Landsleuten klar zu machen gesucht, daß das Recht, zu wählen,
kein eingebornes Menschenrecht (etroit ng-durst), sondern ein öffentliches Amt
(etroit clsrivani as ig, loi) ist, dessen Umfang einzig und allein durch das all¬
gemeine Staatsinteresse bestimmt wird. Im Mai 1900 brachte der Pariser
^sinxs eine Reihe von Artikeln über die Reform des französischen Wahl¬
systems, worin der Vorschlag gemacht wurde, die Majoritütswcchlen durch
Proportionalwahlcn zu ersetzen. In diesen Artikeln wurden die Majoritüts¬
wcchlen -- die logische Konsequenz der Lehren Rousseaus und Robespierres --
unter anderen folgendermaßen charakterisiert: I^s sMems rngsoritgire. sse
Fw88lor, brutg-l se annus clss rssultg-es imM68 -- is sMöms est trof simxlL,
mais v'sLt ig. siinxlioitö ac ig. barbgris.

(Schluß folgt)




Über das Krankenversicherungsgesetz
z^. Die treibenden Aräfte

! an plant in der Regierung eine Revision des Krankeuversicheruugs-
gesetzes. Erstens treibt dazu der Wunsch, die drei Gesetze der
Arbeiterversicherung: das Kraukengesetz, das Unfallgesetz und das
Jnvaliditäts- und Altersgcsetz, die bisher jedes eine besondre
I Organisation aufstellen, einander zu nähern und miteinander zu
verbinden, und zweitens treiben die Übeln Erfahrungen, die man mit dein
Krankenkassengcsetz, wie es jetzt ist, gemacht hat. Es sollte dazu dienen, die
Arbeiter zu versöhnen und von der Sozialdemokratie abzutuenden. Statt dessen



*) Vergl. "Gedanken und Erinnerungen" Band I, S, Is, Band II, S, S8.
Über das Rrankenverstchernngsgesctz

Historiker Heinrich von Sybel und der Deutsch-Amerikaner Friedrich Kapp
haben sich gegen das allgemeine, gleiche Wahlrecht ausgesprochen. Sogar
Fürst Bismarck, der eigentliche Schöpfer der hente in Deutschland geltenden
Wahlart, hat das allgemeine, gleiche Wahlrecht niemals als politisches Ideal,
sondern immer nnr als politische Waffe betrachtet.")

In Belgien ist bei der Wcihlrcform von 1893 und 1899 das allgemeine
ungleiche Wahlrecht — nämlich die Pluralität — eingeführt worden; ferner
ist das Wahlrecht in eine Wahlpflicht umgewandelt und um Stelle der
Majoritäts- und Stichwahlen die Einrichtung der Prvportionalwahleu gesetzt
worden.

Sogar in Frankreich beginnt der Glaube an die Wunderkraft des all¬
gemeinen, gleichen Wahlrechts zu wanken. Eine der ersten Autoritäten auf
dem Gebiet des französischen Staats- und Verwaltungsrechts — Ducrocq —
hat seinen Landsleuten klar zu machen gesucht, daß das Recht, zu wählen,
kein eingebornes Menschenrecht (etroit ng-durst), sondern ein öffentliches Amt
(etroit clsrivani as ig, loi) ist, dessen Umfang einzig und allein durch das all¬
gemeine Staatsinteresse bestimmt wird. Im Mai 1900 brachte der Pariser
^sinxs eine Reihe von Artikeln über die Reform des französischen Wahl¬
systems, worin der Vorschlag gemacht wurde, die Majoritütswcchlen durch
Proportionalwahlcn zu ersetzen. In diesen Artikeln wurden die Majoritüts¬
wcchlen — die logische Konsequenz der Lehren Rousseaus und Robespierres —
unter anderen folgendermaßen charakterisiert: I^s sMems rngsoritgire. sse
Fw88lor, brutg-l se annus clss rssultg-es imM68 — is sMöms est trof simxlL,
mais v'sLt ig. siinxlioitö ac ig. barbgris.

(Schluß folgt)




Über das Krankenversicherungsgesetz
z^. Die treibenden Aräfte

! an plant in der Regierung eine Revision des Krankeuversicheruugs-
gesetzes. Erstens treibt dazu der Wunsch, die drei Gesetze der
Arbeiterversicherung: das Kraukengesetz, das Unfallgesetz und das
Jnvaliditäts- und Altersgcsetz, die bisher jedes eine besondre
I Organisation aufstellen, einander zu nähern und miteinander zu
verbinden, und zweitens treiben die Übeln Erfahrungen, die man mit dein
Krankenkassengcsetz, wie es jetzt ist, gemacht hat. Es sollte dazu dienen, die
Arbeiter zu versöhnen und von der Sozialdemokratie abzutuenden. Statt dessen



*) Vergl. „Gedanken und Erinnerungen" Band I, S, Is, Band II, S, S8.
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[0284] Über das Rrankenverstchernngsgesctz Historiker Heinrich von Sybel und der Deutsch-Amerikaner Friedrich Kapp haben sich gegen das allgemeine, gleiche Wahlrecht ausgesprochen. Sogar Fürst Bismarck, der eigentliche Schöpfer der hente in Deutschland geltenden Wahlart, hat das allgemeine, gleiche Wahlrecht niemals als politisches Ideal, sondern immer nnr als politische Waffe betrachtet.") In Belgien ist bei der Wcihlrcform von 1893 und 1899 das allgemeine ungleiche Wahlrecht — nämlich die Pluralität — eingeführt worden; ferner ist das Wahlrecht in eine Wahlpflicht umgewandelt und um Stelle der Majoritäts- und Stichwahlen die Einrichtung der Prvportionalwahleu gesetzt worden. Sogar in Frankreich beginnt der Glaube an die Wunderkraft des all¬ gemeinen, gleichen Wahlrechts zu wanken. Eine der ersten Autoritäten auf dem Gebiet des französischen Staats- und Verwaltungsrechts — Ducrocq — hat seinen Landsleuten klar zu machen gesucht, daß das Recht, zu wählen, kein eingebornes Menschenrecht (etroit ng-durst), sondern ein öffentliches Amt (etroit clsrivani as ig, loi) ist, dessen Umfang einzig und allein durch das all¬ gemeine Staatsinteresse bestimmt wird. Im Mai 1900 brachte der Pariser ^sinxs eine Reihe von Artikeln über die Reform des französischen Wahl¬ systems, worin der Vorschlag gemacht wurde, die Majoritütswcchlen durch Proportionalwahlcn zu ersetzen. In diesen Artikeln wurden die Majoritüts¬ wcchlen — die logische Konsequenz der Lehren Rousseaus und Robespierres — unter anderen folgendermaßen charakterisiert: I^s sMems rngsoritgire. sse Fw88lor, brutg-l se annus clss rssultg-es imM68 — is sMöms est trof simxlL, mais v'sLt ig. siinxlioitö ac ig. barbgris. (Schluß folgt) Über das Krankenversicherungsgesetz z^. Die treibenden Aräfte ! an plant in der Regierung eine Revision des Krankeuversicheruugs- gesetzes. Erstens treibt dazu der Wunsch, die drei Gesetze der Arbeiterversicherung: das Kraukengesetz, das Unfallgesetz und das Jnvaliditäts- und Altersgcsetz, die bisher jedes eine besondre I Organisation aufstellen, einander zu nähern und miteinander zu verbinden, und zweitens treiben die Übeln Erfahrungen, die man mit dein Krankenkassengcsetz, wie es jetzt ist, gemacht hat. Es sollte dazu dienen, die Arbeiter zu versöhnen und von der Sozialdemokratie abzutuenden. Statt dessen *) Vergl. „Gedanken und Erinnerungen" Band I, S, Is, Band II, S, S8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/284>, abgerufen am 13.11.2024.