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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das Reich und das Reichsland

Jahres II der Republik darf auch im Zukunftsstaat Elsaß-Lothringen bestehn
bleiben: durch Beschluß vom 23. April 1896 hat der Landesausschnß die Re¬
gierung aufgefordert, dahin zu wirken, daß das Rcichsgesetz über den Unter-
stützungswohnsitz in Elsaß-Lothringen nicht eingeführt werde. Desgleichen darf
das Reich den jährlichen Beitrag von 400000 Mark für die Universität, den
es um keinen andern Bundesstaat zahlt, an den zukünftigen Bundesstaat Elsaß-
Lothringen weiter entrichten!

Obwohl also die Elsaß-Lothringer bei ihrem Streben nach politischer
Gleichberechtigung mit den Angehörigen der übrigen deutschen Staaten nicht
völlig konsequent sind, so haben sie doch die llutcrstützung der höchsten Würden¬
träger des Landes gefunden. Der Oberpräsident von Möller, sowie die Statt¬
halter Freiherr von Mnnteuffel nud Mrst Chlodwig Hohenlohe haben das
Projekt eines selbständigen Vundesstaats als Endziel der politischen Entwicklung
des Landes ausdrücklich gebilligt; nur über den Zeitpunkt, wann dieses Ziel er¬
reicht werden könne, sind sie andrer Meinung gewesen als die eingebornen
Elsaß-Lothringer. Trotz dieser hohen Protektion haben die Anträge auf Er¬
richtung eines besondern Bundesstaats im Reichslande nur geringe Beachtung
gefunden. Das ist auch ganz erklärlich. Jeder, der die fraglichen Anträge
überhaupt versteh" und würdigen will, muß ein gewisses Maß von Kenntnissen
ans dem Gebiet des Reichs- und Landesstaatsrechts haben, das nicht in allen
Kreisen vorhanden ist.

Bor kurzem ist nun der Versuch unternommen worden, auch weitere
Schichten der Bevölkerung für die Gründung eines neuen Bundesstaats -- an
Stelle des jetzigen Reichslands -- zu interessieren und das Verlangen nach
voller Gleichstellung Elsaß-Lothringens mit den deutschen Bundesstaaten zu
einer populären Forderung zu machen, die als wirksames Schlagwort und
Agitatiousmittel, als gemeinsamer Schlachtruf für alle Elsaß-Lothringer dienen
kann. Der Straßburger Reichstagsabgevrdnete Riff hat einen vollständigen
Entwurf des Zukunftsstants Elsaß-Lothringen ausgearbeitet und diesen Entwurf
in der Tagespresse veröffentlicht. Die Vorschläge von Riff sind folgende:
1. Beseitigung der Befugnis des Bundesrath und des Reichstags, bei dem
Erlaß von Gesetzen in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten mitzuwirken.
2. Einsetzung eines Oberhauses von dreißig Mitgliedern, von denen ein Drittel
dnrch den Kaiser oder den Statthalter, die übrigen zwei Drittel durch die
Kreise auf Grund eines zweistnfigen Wahlsystems gewählt werden. 3. Ein¬
setzung eines Landtags von vierundfünfzig Mitgliedern, die durch allgemeines
Stimmrecht uach dein Listenshstem gewählt werden. 4. Einräumung von drei
Stimmen im Bundesrat an den Vundesstaat Elsaß-Lothringen. 5. Errichtung
eines Obcrverwaltungsgerichts und eiues Nechnuugshvfs.

Diese Vorschläge eines angesehenen Reichstagsmitglieds können nicht ohne
weiteres als müßige Phantasien behandelt werden. Es kann erwartet werden,
daß sich der Reichstag in seiner nächsten Session mit einem Antrage Riff
wegen der definitiven Verfassung von Elsaß-Lothringen beschäftigen wird. Eine


Das Reich und das Reichsland

Jahres II der Republik darf auch im Zukunftsstaat Elsaß-Lothringen bestehn
bleiben: durch Beschluß vom 23. April 1896 hat der Landesausschnß die Re¬
gierung aufgefordert, dahin zu wirken, daß das Rcichsgesetz über den Unter-
stützungswohnsitz in Elsaß-Lothringen nicht eingeführt werde. Desgleichen darf
das Reich den jährlichen Beitrag von 400000 Mark für die Universität, den
es um keinen andern Bundesstaat zahlt, an den zukünftigen Bundesstaat Elsaß-
Lothringen weiter entrichten!

Obwohl also die Elsaß-Lothringer bei ihrem Streben nach politischer
Gleichberechtigung mit den Angehörigen der übrigen deutschen Staaten nicht
völlig konsequent sind, so haben sie doch die llutcrstützung der höchsten Würden¬
träger des Landes gefunden. Der Oberpräsident von Möller, sowie die Statt¬
halter Freiherr von Mnnteuffel nud Mrst Chlodwig Hohenlohe haben das
Projekt eines selbständigen Vundesstaats als Endziel der politischen Entwicklung
des Landes ausdrücklich gebilligt; nur über den Zeitpunkt, wann dieses Ziel er¬
reicht werden könne, sind sie andrer Meinung gewesen als die eingebornen
Elsaß-Lothringer. Trotz dieser hohen Protektion haben die Anträge auf Er¬
richtung eines besondern Bundesstaats im Reichslande nur geringe Beachtung
gefunden. Das ist auch ganz erklärlich. Jeder, der die fraglichen Anträge
überhaupt versteh» und würdigen will, muß ein gewisses Maß von Kenntnissen
ans dem Gebiet des Reichs- und Landesstaatsrechts haben, das nicht in allen
Kreisen vorhanden ist.

Bor kurzem ist nun der Versuch unternommen worden, auch weitere
Schichten der Bevölkerung für die Gründung eines neuen Bundesstaats — an
Stelle des jetzigen Reichslands — zu interessieren und das Verlangen nach
voller Gleichstellung Elsaß-Lothringens mit den deutschen Bundesstaaten zu
einer populären Forderung zu machen, die als wirksames Schlagwort und
Agitatiousmittel, als gemeinsamer Schlachtruf für alle Elsaß-Lothringer dienen
kann. Der Straßburger Reichstagsabgevrdnete Riff hat einen vollständigen
Entwurf des Zukunftsstants Elsaß-Lothringen ausgearbeitet und diesen Entwurf
in der Tagespresse veröffentlicht. Die Vorschläge von Riff sind folgende:
1. Beseitigung der Befugnis des Bundesrath und des Reichstags, bei dem
Erlaß von Gesetzen in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten mitzuwirken.
2. Einsetzung eines Oberhauses von dreißig Mitgliedern, von denen ein Drittel
dnrch den Kaiser oder den Statthalter, die übrigen zwei Drittel durch die
Kreise auf Grund eines zweistnfigen Wahlsystems gewählt werden. 3. Ein¬
setzung eines Landtags von vierundfünfzig Mitgliedern, die durch allgemeines
Stimmrecht uach dein Listenshstem gewählt werden. 4. Einräumung von drei
Stimmen im Bundesrat an den Vundesstaat Elsaß-Lothringen. 5. Errichtung
eines Obcrverwaltungsgerichts und eiues Nechnuugshvfs.

Diese Vorschläge eines angesehenen Reichstagsmitglieds können nicht ohne
weiteres als müßige Phantasien behandelt werden. Es kann erwartet werden,
daß sich der Reichstag in seiner nächsten Session mit einem Antrage Riff
wegen der definitiven Verfassung von Elsaß-Lothringen beschäftigen wird. Eine


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[0274] Das Reich und das Reichsland Jahres II der Republik darf auch im Zukunftsstaat Elsaß-Lothringen bestehn bleiben: durch Beschluß vom 23. April 1896 hat der Landesausschnß die Re¬ gierung aufgefordert, dahin zu wirken, daß das Rcichsgesetz über den Unter- stützungswohnsitz in Elsaß-Lothringen nicht eingeführt werde. Desgleichen darf das Reich den jährlichen Beitrag von 400000 Mark für die Universität, den es um keinen andern Bundesstaat zahlt, an den zukünftigen Bundesstaat Elsaß- Lothringen weiter entrichten! Obwohl also die Elsaß-Lothringer bei ihrem Streben nach politischer Gleichberechtigung mit den Angehörigen der übrigen deutschen Staaten nicht völlig konsequent sind, so haben sie doch die llutcrstützung der höchsten Würden¬ träger des Landes gefunden. Der Oberpräsident von Möller, sowie die Statt¬ halter Freiherr von Mnnteuffel nud Mrst Chlodwig Hohenlohe haben das Projekt eines selbständigen Vundesstaats als Endziel der politischen Entwicklung des Landes ausdrücklich gebilligt; nur über den Zeitpunkt, wann dieses Ziel er¬ reicht werden könne, sind sie andrer Meinung gewesen als die eingebornen Elsaß-Lothringer. Trotz dieser hohen Protektion haben die Anträge auf Er¬ richtung eines besondern Bundesstaats im Reichslande nur geringe Beachtung gefunden. Das ist auch ganz erklärlich. Jeder, der die fraglichen Anträge überhaupt versteh» und würdigen will, muß ein gewisses Maß von Kenntnissen ans dem Gebiet des Reichs- und Landesstaatsrechts haben, das nicht in allen Kreisen vorhanden ist. Bor kurzem ist nun der Versuch unternommen worden, auch weitere Schichten der Bevölkerung für die Gründung eines neuen Bundesstaats — an Stelle des jetzigen Reichslands — zu interessieren und das Verlangen nach voller Gleichstellung Elsaß-Lothringens mit den deutschen Bundesstaaten zu einer populären Forderung zu machen, die als wirksames Schlagwort und Agitatiousmittel, als gemeinsamer Schlachtruf für alle Elsaß-Lothringer dienen kann. Der Straßburger Reichstagsabgevrdnete Riff hat einen vollständigen Entwurf des Zukunftsstants Elsaß-Lothringen ausgearbeitet und diesen Entwurf in der Tagespresse veröffentlicht. Die Vorschläge von Riff sind folgende: 1. Beseitigung der Befugnis des Bundesrath und des Reichstags, bei dem Erlaß von Gesetzen in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten mitzuwirken. 2. Einsetzung eines Oberhauses von dreißig Mitgliedern, von denen ein Drittel dnrch den Kaiser oder den Statthalter, die übrigen zwei Drittel durch die Kreise auf Grund eines zweistnfigen Wahlsystems gewählt werden. 3. Ein¬ setzung eines Landtags von vierundfünfzig Mitgliedern, die durch allgemeines Stimmrecht uach dein Listenshstem gewählt werden. 4. Einräumung von drei Stimmen im Bundesrat an den Vundesstaat Elsaß-Lothringen. 5. Errichtung eines Obcrverwaltungsgerichts und eiues Nechnuugshvfs. Diese Vorschläge eines angesehenen Reichstagsmitglieds können nicht ohne weiteres als müßige Phantasien behandelt werden. Es kann erwartet werden, daß sich der Reichstag in seiner nächsten Session mit einem Antrage Riff wegen der definitiven Verfassung von Elsaß-Lothringen beschäftigen wird. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/274>, abgerufen am 01.09.2024.