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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Grund der Unverwüstlichkeit, die z. B. den Rheinführer, der 1899 seine acht¬
undzwanzigste Auflage erlebte, jetzt in sein zweiundsechzigstes Lebensjahr, von
der ersten von Baedeker besorgten Auflage von 1839 an gerechnet, treten läßt;
die Kleinsche "Rheinreise," von der er in direkter Linie abstammt, war aber
sogar schon 1828 erschienen. Manche Reisehandbücher, besonders nichtdeutsche,
hatten noch heute an der Methode fest, die eigentliche Beschreibung der Ört-
lichkeiten im Hauptteil des Buchs zu geben, der dann lange Jahre unverändert
oder unwesentlich verändert wieder abgedruckt wird, während die Angaben über
Gasthäuser, Eisenbahnen, Führer usw. ein untrer Teil des Buchs bringt, der
in kürzern Zwischenräumen neu bearbeitet wird, llnbcquemlichkeiten beim Ge¬
brauch, Weitläufigkeiten und Widersprüche sind die Folge dieser Einrichtung,
die nur scheinbar billiger arbeitet als der völlige Umguß jeder Auflage bei
Baedeker. Daß dieser in Frankreich die in vielen Beziehungen lobenswerten
Führer von Joanne immer mehr verdrängt, hängt wesentlich damit zusammen,
daß Joanne sich von jenein zweischichtigen System nicht losmachen kann. Eine
interessante Erscheinung sind überhaupt die französischen und die englischen
Baedeker, von denen einige Ausgaben noch stärker verbreitet sind als die
deutschen für dieselben Länder. Karl Baedeker hatte 1855 seinen ersten Führer
durch Paris bei Gelegenheit der Pariser Ausstellung herausgegeben; von diesem
erschien 1860 in Paris eine nicht autorisierte französische Übersetzung, und
darauf ließ die Verlagsbuchhandlung 1865 den Baedeker für Paris in eigner
Übersetzung erscheinen. Das war der Anfang einer langen Reihe von franzö¬
sischen und englischen Baedekern für die verschiedensten Länder, unter denen
der französische für Paris und seine Umgebungen vierzehn, Lüi88ö einundzwanzig,
I^s IZorä8 t!u Rhin sechzehn, ^.llvnmgnö elf Auflagen erlebt haben. Die eng¬
lischen Ausgaben sind zum Teil uoch verbreiteter. Über solche Erfolge, die im
Wettstreit mit sehr tüchtigen französischen und englischen Reisehandbüchern er¬
rungen worden siud, können Nur nus als Deutsche uur freuen. Der Vorzug
der deutschen Bücher muß auffallend sein, wenn er die sozusagen natürliche
Abneigung gegen fremde Führer zu überwinden vermag. Daß Baedeker in
seineu fremdsprachigen Ausgaben nicht einfach übersetzt, sondern neue, dein Ge¬
schmack der Franzosen und der Engländer angepaßte Bücher liefert, kaun ihm
nur Kurzsichtigkeit zum Vorwurf machen. Nur unter dieser Voraussetzung
kann er auf dem fremden Markt mit seiner im Kern grunddeutschen Ware er¬
scheinen, die als Nitäs in Ka-rum/, das stolze Karl Baedeker, Leipzig, den
deutschen Druckort, die deutsche kartographische Anstalt usw. als Ursprungs¬
zeugnisse trägt.

Ein Kulturhistoriker, der einst das beschreibe!? wird, was mau den Mecha¬
nismus des geistigen Lebens unsers Zeitalters nennen könnte, wird den Reise¬
handbüchern einen großen Einfluß ans die Art zu reisen und auf die Erleich¬
terung und Häufigkeit des Reifens zurechnen. Da aber vom Reisen das
Persönliche Sichkennen, Schätzen und Abstoßen der Böller und die Ausgleichung
der Sitten und Gebräuche abhängt, wird er dein Einfluß der Reisehandbücher


Lacdeker

Grund der Unverwüstlichkeit, die z. B. den Rheinführer, der 1899 seine acht¬
undzwanzigste Auflage erlebte, jetzt in sein zweiundsechzigstes Lebensjahr, von
der ersten von Baedeker besorgten Auflage von 1839 an gerechnet, treten läßt;
die Kleinsche „Rheinreise," von der er in direkter Linie abstammt, war aber
sogar schon 1828 erschienen. Manche Reisehandbücher, besonders nichtdeutsche,
hatten noch heute an der Methode fest, die eigentliche Beschreibung der Ört-
lichkeiten im Hauptteil des Buchs zu geben, der dann lange Jahre unverändert
oder unwesentlich verändert wieder abgedruckt wird, während die Angaben über
Gasthäuser, Eisenbahnen, Führer usw. ein untrer Teil des Buchs bringt, der
in kürzern Zwischenräumen neu bearbeitet wird, llnbcquemlichkeiten beim Ge¬
brauch, Weitläufigkeiten und Widersprüche sind die Folge dieser Einrichtung,
die nur scheinbar billiger arbeitet als der völlige Umguß jeder Auflage bei
Baedeker. Daß dieser in Frankreich die in vielen Beziehungen lobenswerten
Führer von Joanne immer mehr verdrängt, hängt wesentlich damit zusammen,
daß Joanne sich von jenein zweischichtigen System nicht losmachen kann. Eine
interessante Erscheinung sind überhaupt die französischen und die englischen
Baedeker, von denen einige Ausgaben noch stärker verbreitet sind als die
deutschen für dieselben Länder. Karl Baedeker hatte 1855 seinen ersten Führer
durch Paris bei Gelegenheit der Pariser Ausstellung herausgegeben; von diesem
erschien 1860 in Paris eine nicht autorisierte französische Übersetzung, und
darauf ließ die Verlagsbuchhandlung 1865 den Baedeker für Paris in eigner
Übersetzung erscheinen. Das war der Anfang einer langen Reihe von franzö¬
sischen und englischen Baedekern für die verschiedensten Länder, unter denen
der französische für Paris und seine Umgebungen vierzehn, Lüi88ö einundzwanzig,
I^s IZorä8 t!u Rhin sechzehn, ^.llvnmgnö elf Auflagen erlebt haben. Die eng¬
lischen Ausgaben sind zum Teil uoch verbreiteter. Über solche Erfolge, die im
Wettstreit mit sehr tüchtigen französischen und englischen Reisehandbüchern er¬
rungen worden siud, können Nur nus als Deutsche uur freuen. Der Vorzug
der deutschen Bücher muß auffallend sein, wenn er die sozusagen natürliche
Abneigung gegen fremde Führer zu überwinden vermag. Daß Baedeker in
seineu fremdsprachigen Ausgaben nicht einfach übersetzt, sondern neue, dein Ge¬
schmack der Franzosen und der Engländer angepaßte Bücher liefert, kaun ihm
nur Kurzsichtigkeit zum Vorwurf machen. Nur unter dieser Voraussetzung
kann er auf dem fremden Markt mit seiner im Kern grunddeutschen Ware er¬
scheinen, die als Nitäs in Ka-rum/, das stolze Karl Baedeker, Leipzig, den
deutschen Druckort, die deutsche kartographische Anstalt usw. als Ursprungs¬
zeugnisse trägt.

Ein Kulturhistoriker, der einst das beschreibe!? wird, was mau den Mecha¬
nismus des geistigen Lebens unsers Zeitalters nennen könnte, wird den Reise¬
handbüchern einen großen Einfluß ans die Art zu reisen und auf die Erleich¬
terung und Häufigkeit des Reifens zurechnen. Da aber vom Reisen das
Persönliche Sichkennen, Schätzen und Abstoßen der Böller und die Ausgleichung
der Sitten und Gebräuche abhängt, wird er dein Einfluß der Reisehandbücher


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[0251] Lacdeker Grund der Unverwüstlichkeit, die z. B. den Rheinführer, der 1899 seine acht¬ undzwanzigste Auflage erlebte, jetzt in sein zweiundsechzigstes Lebensjahr, von der ersten von Baedeker besorgten Auflage von 1839 an gerechnet, treten läßt; die Kleinsche „Rheinreise," von der er in direkter Linie abstammt, war aber sogar schon 1828 erschienen. Manche Reisehandbücher, besonders nichtdeutsche, hatten noch heute an der Methode fest, die eigentliche Beschreibung der Ört- lichkeiten im Hauptteil des Buchs zu geben, der dann lange Jahre unverändert oder unwesentlich verändert wieder abgedruckt wird, während die Angaben über Gasthäuser, Eisenbahnen, Führer usw. ein untrer Teil des Buchs bringt, der in kürzern Zwischenräumen neu bearbeitet wird, llnbcquemlichkeiten beim Ge¬ brauch, Weitläufigkeiten und Widersprüche sind die Folge dieser Einrichtung, die nur scheinbar billiger arbeitet als der völlige Umguß jeder Auflage bei Baedeker. Daß dieser in Frankreich die in vielen Beziehungen lobenswerten Führer von Joanne immer mehr verdrängt, hängt wesentlich damit zusammen, daß Joanne sich von jenein zweischichtigen System nicht losmachen kann. Eine interessante Erscheinung sind überhaupt die französischen und die englischen Baedeker, von denen einige Ausgaben noch stärker verbreitet sind als die deutschen für dieselben Länder. Karl Baedeker hatte 1855 seinen ersten Führer durch Paris bei Gelegenheit der Pariser Ausstellung herausgegeben; von diesem erschien 1860 in Paris eine nicht autorisierte französische Übersetzung, und darauf ließ die Verlagsbuchhandlung 1865 den Baedeker für Paris in eigner Übersetzung erscheinen. Das war der Anfang einer langen Reihe von franzö¬ sischen und englischen Baedekern für die verschiedensten Länder, unter denen der französische für Paris und seine Umgebungen vierzehn, Lüi88ö einundzwanzig, I^s IZorä8 t!u Rhin sechzehn, ^.llvnmgnö elf Auflagen erlebt haben. Die eng¬ lischen Ausgaben sind zum Teil uoch verbreiteter. Über solche Erfolge, die im Wettstreit mit sehr tüchtigen französischen und englischen Reisehandbüchern er¬ rungen worden siud, können Nur nus als Deutsche uur freuen. Der Vorzug der deutschen Bücher muß auffallend sein, wenn er die sozusagen natürliche Abneigung gegen fremde Führer zu überwinden vermag. Daß Baedeker in seineu fremdsprachigen Ausgaben nicht einfach übersetzt, sondern neue, dein Ge¬ schmack der Franzosen und der Engländer angepaßte Bücher liefert, kaun ihm nur Kurzsichtigkeit zum Vorwurf machen. Nur unter dieser Voraussetzung kann er auf dem fremden Markt mit seiner im Kern grunddeutschen Ware er¬ scheinen, die als Nitäs in Ka-rum/, das stolze Karl Baedeker, Leipzig, den deutschen Druckort, die deutsche kartographische Anstalt usw. als Ursprungs¬ zeugnisse trägt. Ein Kulturhistoriker, der einst das beschreibe!? wird, was mau den Mecha¬ nismus des geistigen Lebens unsers Zeitalters nennen könnte, wird den Reise¬ handbüchern einen großen Einfluß ans die Art zu reisen und auf die Erleich¬ terung und Häufigkeit des Reifens zurechnen. Da aber vom Reisen das Persönliche Sichkennen, Schätzen und Abstoßen der Böller und die Ausgleichung der Sitten und Gebräuche abhängt, wird er dein Einfluß der Reisehandbücher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/251>, abgerufen am 01.09.2024.