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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Baedeker

Köln Blumen und Früchte dar. Den Rücken endlich ziert die Stirnansicht
eines Dampfschiffs, damals für viele eine nie gesehene Sehenswürdigkeit.
Ganz diesem Stil entsprechend sind die Kupferstiche, die Nhcinlandschaften in
der damals beliebten Umrißmanier, einfach aber wirkungsvoll. Aber im Text
erkennt man schon den Einfluß der englischen Reisehandlmchcr, besonders der
"Murrahs": statt der breiten Anlage Gedrängtheit, statt der unpraktischen
Deklamationen und Zitate praktische Angaben und Winke. Baedekers 1839
erschienene Reisehandbücher für Holland und Belgien sind dann englischen Mustern
direkt nachgebildet. In ihnen waren die in den Rhcinführern noch sehr stark
vertretnen historischen Erzählungen und Notizen, Sagen, Dichtungen, aber anch
persönliche Urteile durch das unmittelbar Notwendige zurückgedrängt. Jene
sind natürlich am längsten in den "Rheinlanden" lebendig geblieben. In dem
"Handbuch für Deutschland und den Österreichischen Kaiserstaat" von 1842
dagegen sagt der Verfasser ausdrücklich, er habe es vermieden, sich in wort¬
reiche Schilderungen bei Betrachtungen von Naturschönheiten oder Gegenständen
der Kunst zu verlieren, weil es ihn unbescheiden deuchte, hierin dem Gefühl
des Reisenden vorzugreifen. Als dieses Buch in rasch hintereinander folgenden
Auflagen zweibündig als "Deutschland und das österreichische Oberitalien" er¬
schien, verschwanden sogar die schönen Verse von Schmidt von Lübeck: Von
allen Ländern in der Welt das deutsche mir am besten gefüllt usw. vom Titel¬
blatt, und statt ihrer erschien Philanders von Sittenwald viel praktischere
Mahnung:

Die hat seitdem vielen Hunderttausenden in die Ohren geklungen; ich finde sie
sogar in etwas andrer Form französisch an derselben Stelle, d. h. auf der
Rückseite des Titelblatts in der letzten Auflage von Baedekers 8na One8t
6s Kranes (1901). Die Vorrede zu dem "Handbuch für Reisende durch
Deutschland und den Österreichischen Kaiserstaat," das 181-2 erschien, ist eine
Art von Unnbhnngigkeitserklärung des deutschen Verfassers. Nochmals hebt er
rühmend die Brauchbarkeit der Murrayschen Bücher hervor, die auch noch dem
ersten Entwurf dieses erste" großen Baedekerschen Reisehandbuchs zum Muster
genommen waren. Aber "beim Fortschreiten der Arbeit zeigte sich immer mehr
und mehr, daß nur der Rahmen des englischen Vorbildes beibehalten werden
konnte. Die Volks- und Länderanschauung ist von der des Engländers durch¬
aus verschieden. Vieles diesem Bekannte mußte den: Engländer weitläufig er¬
zählt werden. Geschichtliche Andeutungen, diesen: wertlos, dem Deutschen
dagegen anregend, mußten für diesen eingefügt werden. Endlich pflegt der Eng¬
länder auch wohl anders zu reisen als der Deutsche. So ist aus der anfangs


Baedeker

Köln Blumen und Früchte dar. Den Rücken endlich ziert die Stirnansicht
eines Dampfschiffs, damals für viele eine nie gesehene Sehenswürdigkeit.
Ganz diesem Stil entsprechend sind die Kupferstiche, die Nhcinlandschaften in
der damals beliebten Umrißmanier, einfach aber wirkungsvoll. Aber im Text
erkennt man schon den Einfluß der englischen Reisehandlmchcr, besonders der
„Murrahs": statt der breiten Anlage Gedrängtheit, statt der unpraktischen
Deklamationen und Zitate praktische Angaben und Winke. Baedekers 1839
erschienene Reisehandbücher für Holland und Belgien sind dann englischen Mustern
direkt nachgebildet. In ihnen waren die in den Rhcinführern noch sehr stark
vertretnen historischen Erzählungen und Notizen, Sagen, Dichtungen, aber anch
persönliche Urteile durch das unmittelbar Notwendige zurückgedrängt. Jene
sind natürlich am längsten in den „Rheinlanden" lebendig geblieben. In dem
„Handbuch für Deutschland und den Österreichischen Kaiserstaat" von 1842
dagegen sagt der Verfasser ausdrücklich, er habe es vermieden, sich in wort¬
reiche Schilderungen bei Betrachtungen von Naturschönheiten oder Gegenständen
der Kunst zu verlieren, weil es ihn unbescheiden deuchte, hierin dem Gefühl
des Reisenden vorzugreifen. Als dieses Buch in rasch hintereinander folgenden
Auflagen zweibündig als „Deutschland und das österreichische Oberitalien" er¬
schien, verschwanden sogar die schönen Verse von Schmidt von Lübeck: Von
allen Ländern in der Welt das deutsche mir am besten gefüllt usw. vom Titel¬
blatt, und statt ihrer erschien Philanders von Sittenwald viel praktischere
Mahnung:

Die hat seitdem vielen Hunderttausenden in die Ohren geklungen; ich finde sie
sogar in etwas andrer Form französisch an derselben Stelle, d. h. auf der
Rückseite des Titelblatts in der letzten Auflage von Baedekers 8na One8t
6s Kranes (1901). Die Vorrede zu dem „Handbuch für Reisende durch
Deutschland und den Österreichischen Kaiserstaat," das 181-2 erschien, ist eine
Art von Unnbhnngigkeitserklärung des deutschen Verfassers. Nochmals hebt er
rühmend die Brauchbarkeit der Murrayschen Bücher hervor, die auch noch dem
ersten Entwurf dieses erste» großen Baedekerschen Reisehandbuchs zum Muster
genommen waren. Aber „beim Fortschreiten der Arbeit zeigte sich immer mehr
und mehr, daß nur der Rahmen des englischen Vorbildes beibehalten werden
konnte. Die Volks- und Länderanschauung ist von der des Engländers durch¬
aus verschieden. Vieles diesem Bekannte mußte den: Engländer weitläufig er¬
zählt werden. Geschichtliche Andeutungen, diesen: wertlos, dem Deutschen
dagegen anregend, mußten für diesen eingefügt werden. Endlich pflegt der Eng¬
länder auch wohl anders zu reisen als der Deutsche. So ist aus der anfangs


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[0247] Baedeker Köln Blumen und Früchte dar. Den Rücken endlich ziert die Stirnansicht eines Dampfschiffs, damals für viele eine nie gesehene Sehenswürdigkeit. Ganz diesem Stil entsprechend sind die Kupferstiche, die Nhcinlandschaften in der damals beliebten Umrißmanier, einfach aber wirkungsvoll. Aber im Text erkennt man schon den Einfluß der englischen Reisehandlmchcr, besonders der „Murrahs": statt der breiten Anlage Gedrängtheit, statt der unpraktischen Deklamationen und Zitate praktische Angaben und Winke. Baedekers 1839 erschienene Reisehandbücher für Holland und Belgien sind dann englischen Mustern direkt nachgebildet. In ihnen waren die in den Rhcinführern noch sehr stark vertretnen historischen Erzählungen und Notizen, Sagen, Dichtungen, aber anch persönliche Urteile durch das unmittelbar Notwendige zurückgedrängt. Jene sind natürlich am längsten in den „Rheinlanden" lebendig geblieben. In dem „Handbuch für Deutschland und den Österreichischen Kaiserstaat" von 1842 dagegen sagt der Verfasser ausdrücklich, er habe es vermieden, sich in wort¬ reiche Schilderungen bei Betrachtungen von Naturschönheiten oder Gegenständen der Kunst zu verlieren, weil es ihn unbescheiden deuchte, hierin dem Gefühl des Reisenden vorzugreifen. Als dieses Buch in rasch hintereinander folgenden Auflagen zweibündig als „Deutschland und das österreichische Oberitalien" er¬ schien, verschwanden sogar die schönen Verse von Schmidt von Lübeck: Von allen Ländern in der Welt das deutsche mir am besten gefüllt usw. vom Titel¬ blatt, und statt ihrer erschien Philanders von Sittenwald viel praktischere Mahnung: Die hat seitdem vielen Hunderttausenden in die Ohren geklungen; ich finde sie sogar in etwas andrer Form französisch an derselben Stelle, d. h. auf der Rückseite des Titelblatts in der letzten Auflage von Baedekers 8na One8t 6s Kranes (1901). Die Vorrede zu dem „Handbuch für Reisende durch Deutschland und den Österreichischen Kaiserstaat," das 181-2 erschien, ist eine Art von Unnbhnngigkeitserklärung des deutschen Verfassers. Nochmals hebt er rühmend die Brauchbarkeit der Murrayschen Bücher hervor, die auch noch dem ersten Entwurf dieses erste» großen Baedekerschen Reisehandbuchs zum Muster genommen waren. Aber „beim Fortschreiten der Arbeit zeigte sich immer mehr und mehr, daß nur der Rahmen des englischen Vorbildes beibehalten werden konnte. Die Volks- und Länderanschauung ist von der des Engländers durch¬ aus verschieden. Vieles diesem Bekannte mußte den: Engländer weitläufig er¬ zählt werden. Geschichtliche Andeutungen, diesen: wertlos, dem Deutschen dagegen anregend, mußten für diesen eingefügt werden. Endlich pflegt der Eng¬ länder auch wohl anders zu reisen als der Deutsche. So ist aus der anfangs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/247>, abgerufen am 01.09.2024.