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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Reisen: die Humanisten und ihre Schüler, die Soldaten, die Kaufleute, die
jungen Handwerker. Reisen als Bildungsmittel fingen an, in den höhern
Ständen für notwendig erachtet zu werden, daher die Menge von Prinzen-
und Fürstcnreisen, die in den Archiven liegen. Ein kleiner Teil davon ist
gedruckt. Hoffentlich macht die Sucht, Handschriften von beliebigem Wert
herauszugeben, vor diesen meist ganz banalen Neisetagebüchern Halt. Man
könnte das sechzehnte Jahrhundert auch das pädagogische nennen. Auch des
Reisens bemächtigten sich die lehreifrigen Humanisten, und es entstand eine ganze
Reihe von zierlichen Duodezbändchen, die der Anleitung zum Reisen gewidmet
sind. Freilich drängen die mit Jugendfeuer vertretnen antiquarischen oder auch
allgemein gelehrten Interessen in dieser "apodemischen" Litteratur die geo¬
graphischen und praktischen Anweisungen zurück, und so kommt es in einer der
gehaltvollsten Neiseanlcitungen dieser Zeit, dem Itinöi-Muiu xsr nonnullas
Og-tu-uz Lölg'iiuz g-res" des berühmten Geographen und Archäologen Abraham
Ortclins (1584) überhaupt nur auf die in Belgien zu findenden Inschriften
und Antiken an. So much in vielen andern. Oder diese Bücher wollten mehr
Quellen für die Zeitgeschichte als Reisehandbücher sein, so das ungemein in¬
haltreiche von Valckenicr 1656 herausgegcbne Risxiurig.s se ImsitainÄL Itiiw,-
reunir, das eine Anzahl von wirklich gemachte!? Reisen in diesen Ländern
mit allen Zufälligkeiten darstellt. Ein Reisender konnte sich des Buchs
wohl mit Nutzen bedienen, aber doch nur ungefähr so, wie man heute mit
Nachtigals Sahara und Sudan nach Bornu reisen könnte. Oder endlich es
sind einfache geographische Beschreibungen mit solchen Notizen, wie sie dem
Reisenden nützen mochten, so das 1671 bei Zunner in Frankfurt a. M. er¬
schienene Viatorinui 6"zrrrmin<uz (Zullms u,v ItÄlmiz, das nicht nach eigner
Anschauung, sondern nach den litterarischen Quellen zusammengestellt ist. Der
Name des Buchs täuscht, es ist eigentlich mir ein geographisches Nachschlagc-
bnch; die Orte sind nicht nach Reisewegen, sondern in politischer Ordnung
beschrieben.

Indem diese Litteratur, offenbar von der Gunst und dem Gelde des
reisenden Publikums in hohem Maße genährt, sich rasch ausbreitete, wagten
sich auch schon Anleitungen zum Besuch einzelner Städte hervor. Venedig,
das leuchtende Ziel der "Bildungsreisen" junger Fürsten und Kavaliere, war
uuzühligemal in der Form von Reiseerinnerungen beschrieben worden. Aber
an sittengeschichtlichem Wert übertrifft alle diese Darstellungen der 1718 zu
Frankfurt a. M. erschienene LHour ac I>g,ris, Entworffen von liiuentes. Das
ist zugleich ein erschöpfender Leitfaden des Äußerlichen der französischen Kultur
im Zeitalter Ludwigs XIV., des "Schliffes," den junge Deutsche sich in Paris
und Versailles anzueignen strebten. Ein eminent praktisches Buch, für die,
so es anging! Sehr schwerfällig nehmen sich daneben die mehrbändigen Reise¬
werke der Gelehrten aus, von denen auch einige in der Bibliothek des Herrn
Rat standen, wie wir aus "Dichtung und Wahrheit" erfahren, z. B. Küffners
Reisen, die wegen ihrer ausführlichen Angaben über Kunstsammlungen noch


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Reisen: die Humanisten und ihre Schüler, die Soldaten, die Kaufleute, die
jungen Handwerker. Reisen als Bildungsmittel fingen an, in den höhern
Ständen für notwendig erachtet zu werden, daher die Menge von Prinzen-
und Fürstcnreisen, die in den Archiven liegen. Ein kleiner Teil davon ist
gedruckt. Hoffentlich macht die Sucht, Handschriften von beliebigem Wert
herauszugeben, vor diesen meist ganz banalen Neisetagebüchern Halt. Man
könnte das sechzehnte Jahrhundert auch das pädagogische nennen. Auch des
Reisens bemächtigten sich die lehreifrigen Humanisten, und es entstand eine ganze
Reihe von zierlichen Duodezbändchen, die der Anleitung zum Reisen gewidmet
sind. Freilich drängen die mit Jugendfeuer vertretnen antiquarischen oder auch
allgemein gelehrten Interessen in dieser „apodemischen" Litteratur die geo¬
graphischen und praktischen Anweisungen zurück, und so kommt es in einer der
gehaltvollsten Neiseanlcitungen dieser Zeit, dem Itinöi-Muiu xsr nonnullas
Og-tu-uz Lölg'iiuz g-res« des berühmten Geographen und Archäologen Abraham
Ortclins (1584) überhaupt nur auf die in Belgien zu findenden Inschriften
und Antiken an. So much in vielen andern. Oder diese Bücher wollten mehr
Quellen für die Zeitgeschichte als Reisehandbücher sein, so das ungemein in¬
haltreiche von Valckenicr 1656 herausgegcbne Risxiurig.s se ImsitainÄL Itiiw,-
reunir, das eine Anzahl von wirklich gemachte!? Reisen in diesen Ländern
mit allen Zufälligkeiten darstellt. Ein Reisender konnte sich des Buchs
wohl mit Nutzen bedienen, aber doch nur ungefähr so, wie man heute mit
Nachtigals Sahara und Sudan nach Bornu reisen könnte. Oder endlich es
sind einfache geographische Beschreibungen mit solchen Notizen, wie sie dem
Reisenden nützen mochten, so das 1671 bei Zunner in Frankfurt a. M. er¬
schienene Viatorinui 6«zrrrmin<uz (Zullms u,v ItÄlmiz, das nicht nach eigner
Anschauung, sondern nach den litterarischen Quellen zusammengestellt ist. Der
Name des Buchs täuscht, es ist eigentlich mir ein geographisches Nachschlagc-
bnch; die Orte sind nicht nach Reisewegen, sondern in politischer Ordnung
beschrieben.

Indem diese Litteratur, offenbar von der Gunst und dem Gelde des
reisenden Publikums in hohem Maße genährt, sich rasch ausbreitete, wagten
sich auch schon Anleitungen zum Besuch einzelner Städte hervor. Venedig,
das leuchtende Ziel der „Bildungsreisen" junger Fürsten und Kavaliere, war
uuzühligemal in der Form von Reiseerinnerungen beschrieben worden. Aber
an sittengeschichtlichem Wert übertrifft alle diese Darstellungen der 1718 zu
Frankfurt a. M. erschienene LHour ac I>g,ris, Entworffen von liiuentes. Das
ist zugleich ein erschöpfender Leitfaden des Äußerlichen der französischen Kultur
im Zeitalter Ludwigs XIV., des „Schliffes," den junge Deutsche sich in Paris
und Versailles anzueignen strebten. Ein eminent praktisches Buch, für die,
so es anging! Sehr schwerfällig nehmen sich daneben die mehrbändigen Reise¬
werke der Gelehrten aus, von denen auch einige in der Bibliothek des Herrn
Rat standen, wie wir aus „Dichtung und Wahrheit" erfahren, z. B. Küffners
Reisen, die wegen ihrer ausführlichen Angaben über Kunstsammlungen noch


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[0244] B aedeker Reisen: die Humanisten und ihre Schüler, die Soldaten, die Kaufleute, die jungen Handwerker. Reisen als Bildungsmittel fingen an, in den höhern Ständen für notwendig erachtet zu werden, daher die Menge von Prinzen- und Fürstcnreisen, die in den Archiven liegen. Ein kleiner Teil davon ist gedruckt. Hoffentlich macht die Sucht, Handschriften von beliebigem Wert herauszugeben, vor diesen meist ganz banalen Neisetagebüchern Halt. Man könnte das sechzehnte Jahrhundert auch das pädagogische nennen. Auch des Reisens bemächtigten sich die lehreifrigen Humanisten, und es entstand eine ganze Reihe von zierlichen Duodezbändchen, die der Anleitung zum Reisen gewidmet sind. Freilich drängen die mit Jugendfeuer vertretnen antiquarischen oder auch allgemein gelehrten Interessen in dieser „apodemischen" Litteratur die geo¬ graphischen und praktischen Anweisungen zurück, und so kommt es in einer der gehaltvollsten Neiseanlcitungen dieser Zeit, dem Itinöi-Muiu xsr nonnullas Og-tu-uz Lölg'iiuz g-res« des berühmten Geographen und Archäologen Abraham Ortclins (1584) überhaupt nur auf die in Belgien zu findenden Inschriften und Antiken an. So much in vielen andern. Oder diese Bücher wollten mehr Quellen für die Zeitgeschichte als Reisehandbücher sein, so das ungemein in¬ haltreiche von Valckenicr 1656 herausgegcbne Risxiurig.s se ImsitainÄL Itiiw,- reunir, das eine Anzahl von wirklich gemachte!? Reisen in diesen Ländern mit allen Zufälligkeiten darstellt. Ein Reisender konnte sich des Buchs wohl mit Nutzen bedienen, aber doch nur ungefähr so, wie man heute mit Nachtigals Sahara und Sudan nach Bornu reisen könnte. Oder endlich es sind einfache geographische Beschreibungen mit solchen Notizen, wie sie dem Reisenden nützen mochten, so das 1671 bei Zunner in Frankfurt a. M. er¬ schienene Viatorinui 6«zrrrmin<uz (Zullms u,v ItÄlmiz, das nicht nach eigner Anschauung, sondern nach den litterarischen Quellen zusammengestellt ist. Der Name des Buchs täuscht, es ist eigentlich mir ein geographisches Nachschlagc- bnch; die Orte sind nicht nach Reisewegen, sondern in politischer Ordnung beschrieben. Indem diese Litteratur, offenbar von der Gunst und dem Gelde des reisenden Publikums in hohem Maße genährt, sich rasch ausbreitete, wagten sich auch schon Anleitungen zum Besuch einzelner Städte hervor. Venedig, das leuchtende Ziel der „Bildungsreisen" junger Fürsten und Kavaliere, war uuzühligemal in der Form von Reiseerinnerungen beschrieben worden. Aber an sittengeschichtlichem Wert übertrifft alle diese Darstellungen der 1718 zu Frankfurt a. M. erschienene LHour ac I>g,ris, Entworffen von liiuentes. Das ist zugleich ein erschöpfender Leitfaden des Äußerlichen der französischen Kultur im Zeitalter Ludwigs XIV., des „Schliffes," den junge Deutsche sich in Paris und Versailles anzueignen strebten. Ein eminent praktisches Buch, für die, so es anging! Sehr schwerfällig nehmen sich daneben die mehrbändigen Reise¬ werke der Gelehrten aus, von denen auch einige in der Bibliothek des Herrn Rat standen, wie wir aus „Dichtung und Wahrheit" erfahren, z. B. Küffners Reisen, die wegen ihrer ausführlichen Angaben über Kunstsammlungen noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/244>, abgerufen am 06.10.2024.