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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Zur Umgestaltung der Wasserwirtschaft

die sämtlichen Wnssertricbwerke wie auch die Binnenschiffahrt in den Sommer¬
monaten fast gänzlich, sie zwingt die Städte, ihre Trink- und Nutzwasseranlagen
von Grund aus umzugestalten, sie bringt die Wegspülung der immer mehr an¬
schwellenden Abwässer der Fabriken ins Stocken und zieht dadurch große sanitäre
Übelstünde nach sich, die man -- ohne unsrer blühenden chemischen Industrie
störende Schranken zu setzen -- auch durch Gesetz nicht wesentlich mildern kann.
Der Landwirtschaft aber erwächst aus den ungeregelten Wasserverhültnissen eine
doppelte Gefahr, da sie gleichermaßen unter dem plötzlichen Hochwasserandrange
wie unter dem andauernden niedrigen Wasserstande der Flüsse zu leiden hat.
Das eine bedroht jahraus jahrein die Kulturen aller Thalgründe -- im Hügel¬
lands sowohl wie in den Niederungen -- durch Dammbruch und Überschwem¬
mung; das andre setzt durch Versagung des so sehr begehrten Niesel- und
Stauwasfers die meisten in ihrer Anlage häufig sehr kostspieligen Meliorationen
mehr oder weniger außer Wirkung und verhindert die Anbahnung weiterer
im Interesse der allgemeinen Landeskultur wünschenswerter Unternehmungen
auch da, wo die übrigen natürlichen Bedingungen durchaus günstig sind.

Faßt man alle diese Thatsachen zusammen, so muß unsre Wasserwirtschaft
in dreifacher Hinsicht unbefriedigend und von Grund aus verbesserungsbedürftig
erscheinen. Erstens ist es notwendig, dnrch Wiederbelebung der Wasserkraft¬
anlagen in großem Stil und unter Zuhilfenahme der elektrischen Kraftüber¬
tragung eine Verbilligung und Vermehrung der volkswirtschaftlichen Betriebs¬
energie -- und zwar in möglichst dezentralisierter Form -- vorzubereiten,
damit wir die Konkurrenz des Weltmarkts dauernd aushalten können; zweitens
müssen im allgemeinen Interesse die Hochwassergefahren eingeschränkt werden,
und drittens muß mit allen Mitteln der drohenden gänzlichen Wasservcrarmung
unsrer Flußnetze, und zwar mit besondrer Berücksichtigung der Binnenschiff¬
fahrt, der vermehrten Abwäsferspüluug und der allgemeinen Landeskultur ent¬
gegengewirkt werden.

Da die staatlichen und die provinziellen Mittel -- sowohl an Geld wie
an Beamten -- nicht ausreichen, in absehbarer Zeit eine derartige völlige Um¬
gestaltung der bestehenden Verhältnisse durchzuführen, wird es notwendig sein,
unter staatlicher Leitung und mit neuen gesetzlichen sowie verwaltnngstcchnischen
Handhaben und Garantien die an der Wiederbelebung der Wasserkräfte zunächst
mitinteressierten Privatunternehmer an dem Ausbau der obern Flußläufe in
möglichst weitem Umfange zu beteiligen. Dabei müssen alle Nückstauanlagen
(Thalsperren) systematisch so organisiert werden, daß schädliche Hochwasser ver¬
hütet werden, und den niedrigen Wasserständen der mittlern und untern Wasser-
lüufe abgeholfen wird.

Zu allen Zeiten hat es Völker gegeben, die dnrch die Kraft des Bodens,
auf dem sie wirtschafteten, zu Macht und großem Reichtum gelaugt sind; jedoch
nicht weil dieser Boden von Haus aus eine bedeutende selbstthätige Leistungs¬
fähigkeit hatte, sondern weil die Bewohner es verstanden, durch Fleiß und
geniale Anlagen seine schlummernden Kräfte zu entwickeln und die gewonnenen


Zur Umgestaltung der Wasserwirtschaft

die sämtlichen Wnssertricbwerke wie auch die Binnenschiffahrt in den Sommer¬
monaten fast gänzlich, sie zwingt die Städte, ihre Trink- und Nutzwasseranlagen
von Grund aus umzugestalten, sie bringt die Wegspülung der immer mehr an¬
schwellenden Abwässer der Fabriken ins Stocken und zieht dadurch große sanitäre
Übelstünde nach sich, die man — ohne unsrer blühenden chemischen Industrie
störende Schranken zu setzen — auch durch Gesetz nicht wesentlich mildern kann.
Der Landwirtschaft aber erwächst aus den ungeregelten Wasserverhültnissen eine
doppelte Gefahr, da sie gleichermaßen unter dem plötzlichen Hochwasserandrange
wie unter dem andauernden niedrigen Wasserstande der Flüsse zu leiden hat.
Das eine bedroht jahraus jahrein die Kulturen aller Thalgründe — im Hügel¬
lands sowohl wie in den Niederungen — durch Dammbruch und Überschwem¬
mung; das andre setzt durch Versagung des so sehr begehrten Niesel- und
Stauwasfers die meisten in ihrer Anlage häufig sehr kostspieligen Meliorationen
mehr oder weniger außer Wirkung und verhindert die Anbahnung weiterer
im Interesse der allgemeinen Landeskultur wünschenswerter Unternehmungen
auch da, wo die übrigen natürlichen Bedingungen durchaus günstig sind.

Faßt man alle diese Thatsachen zusammen, so muß unsre Wasserwirtschaft
in dreifacher Hinsicht unbefriedigend und von Grund aus verbesserungsbedürftig
erscheinen. Erstens ist es notwendig, dnrch Wiederbelebung der Wasserkraft¬
anlagen in großem Stil und unter Zuhilfenahme der elektrischen Kraftüber¬
tragung eine Verbilligung und Vermehrung der volkswirtschaftlichen Betriebs¬
energie — und zwar in möglichst dezentralisierter Form — vorzubereiten,
damit wir die Konkurrenz des Weltmarkts dauernd aushalten können; zweitens
müssen im allgemeinen Interesse die Hochwassergefahren eingeschränkt werden,
und drittens muß mit allen Mitteln der drohenden gänzlichen Wasservcrarmung
unsrer Flußnetze, und zwar mit besondrer Berücksichtigung der Binnenschiff¬
fahrt, der vermehrten Abwäsferspüluug und der allgemeinen Landeskultur ent¬
gegengewirkt werden.

Da die staatlichen und die provinziellen Mittel — sowohl an Geld wie
an Beamten — nicht ausreichen, in absehbarer Zeit eine derartige völlige Um¬
gestaltung der bestehenden Verhältnisse durchzuführen, wird es notwendig sein,
unter staatlicher Leitung und mit neuen gesetzlichen sowie verwaltnngstcchnischen
Handhaben und Garantien die an der Wiederbelebung der Wasserkräfte zunächst
mitinteressierten Privatunternehmer an dem Ausbau der obern Flußläufe in
möglichst weitem Umfange zu beteiligen. Dabei müssen alle Nückstauanlagen
(Thalsperren) systematisch so organisiert werden, daß schädliche Hochwasser ver¬
hütet werden, und den niedrigen Wasserständen der mittlern und untern Wasser-
lüufe abgeholfen wird.

Zu allen Zeiten hat es Völker gegeben, die dnrch die Kraft des Bodens,
auf dem sie wirtschafteten, zu Macht und großem Reichtum gelaugt sind; jedoch
nicht weil dieser Boden von Haus aus eine bedeutende selbstthätige Leistungs¬
fähigkeit hatte, sondern weil die Bewohner es verstanden, durch Fleiß und
geniale Anlagen seine schlummernden Kräfte zu entwickeln und die gewonnenen


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[0024] Zur Umgestaltung der Wasserwirtschaft die sämtlichen Wnssertricbwerke wie auch die Binnenschiffahrt in den Sommer¬ monaten fast gänzlich, sie zwingt die Städte, ihre Trink- und Nutzwasseranlagen von Grund aus umzugestalten, sie bringt die Wegspülung der immer mehr an¬ schwellenden Abwässer der Fabriken ins Stocken und zieht dadurch große sanitäre Übelstünde nach sich, die man — ohne unsrer blühenden chemischen Industrie störende Schranken zu setzen — auch durch Gesetz nicht wesentlich mildern kann. Der Landwirtschaft aber erwächst aus den ungeregelten Wasserverhültnissen eine doppelte Gefahr, da sie gleichermaßen unter dem plötzlichen Hochwasserandrange wie unter dem andauernden niedrigen Wasserstande der Flüsse zu leiden hat. Das eine bedroht jahraus jahrein die Kulturen aller Thalgründe — im Hügel¬ lands sowohl wie in den Niederungen — durch Dammbruch und Überschwem¬ mung; das andre setzt durch Versagung des so sehr begehrten Niesel- und Stauwasfers die meisten in ihrer Anlage häufig sehr kostspieligen Meliorationen mehr oder weniger außer Wirkung und verhindert die Anbahnung weiterer im Interesse der allgemeinen Landeskultur wünschenswerter Unternehmungen auch da, wo die übrigen natürlichen Bedingungen durchaus günstig sind. Faßt man alle diese Thatsachen zusammen, so muß unsre Wasserwirtschaft in dreifacher Hinsicht unbefriedigend und von Grund aus verbesserungsbedürftig erscheinen. Erstens ist es notwendig, dnrch Wiederbelebung der Wasserkraft¬ anlagen in großem Stil und unter Zuhilfenahme der elektrischen Kraftüber¬ tragung eine Verbilligung und Vermehrung der volkswirtschaftlichen Betriebs¬ energie — und zwar in möglichst dezentralisierter Form — vorzubereiten, damit wir die Konkurrenz des Weltmarkts dauernd aushalten können; zweitens müssen im allgemeinen Interesse die Hochwassergefahren eingeschränkt werden, und drittens muß mit allen Mitteln der drohenden gänzlichen Wasservcrarmung unsrer Flußnetze, und zwar mit besondrer Berücksichtigung der Binnenschiff¬ fahrt, der vermehrten Abwäsferspüluug und der allgemeinen Landeskultur ent¬ gegengewirkt werden. Da die staatlichen und die provinziellen Mittel — sowohl an Geld wie an Beamten — nicht ausreichen, in absehbarer Zeit eine derartige völlige Um¬ gestaltung der bestehenden Verhältnisse durchzuführen, wird es notwendig sein, unter staatlicher Leitung und mit neuen gesetzlichen sowie verwaltnngstcchnischen Handhaben und Garantien die an der Wiederbelebung der Wasserkräfte zunächst mitinteressierten Privatunternehmer an dem Ausbau der obern Flußläufe in möglichst weitem Umfange zu beteiligen. Dabei müssen alle Nückstauanlagen (Thalsperren) systematisch so organisiert werden, daß schädliche Hochwasser ver¬ hütet werden, und den niedrigen Wasserständen der mittlern und untern Wasser- lüufe abgeholfen wird. Zu allen Zeiten hat es Völker gegeben, die dnrch die Kraft des Bodens, auf dem sie wirtschafteten, zu Macht und großem Reichtum gelaugt sind; jedoch nicht weil dieser Boden von Haus aus eine bedeutende selbstthätige Leistungs¬ fähigkeit hatte, sondern weil die Bewohner es verstanden, durch Fleiß und geniale Anlagen seine schlummernden Kräfte zu entwickeln und die gewonnenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/24>, abgerufen am 15.01.2025.