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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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politischer Weisheit zu stempeln, zu dein auch die nationalökonomische Wissen¬
schaft nur bewundernd emporheben könne.

Der sonst so verdienstvolle Statistiker Professor Georg von Mnyr in
München hat ganz kürzlich in dieser Tendenz ein Buch unter dem Titel "Zoll-
tarifentwnrf und Wissenschaft"^) erscheinen lassen, das unter den wenigen
Professoraten Versuchen, dem in die blinde Verherrlichung des Schutzzolls ge-
melten Teil unsrer Beamten in der Tariffrage über den Berg zu helfen, am
meisten Beachtung verdient. Die wissenschaftliche und staatsmännische Qualität
des Verfassers machte ihn zu diesem Vorspaundienst ganz besonders geschickt,
aber das Vues selbst -- dessen Tendenz hier nur in aller Kürze angedeutet
werden kann -- ist deshalb weder wissenschaftlich noch staatsmännisch eine
rühmliche Leistung. Ganz besonders bezeichnend ist es, das; Mayr von vorn¬
herein für das "Schutzzollshstem," das die Tarifcntwerfer vollends ausbauen
wollen, alle die Nationalökonomen, die dein "Schutzzollprinzip" überhaupt in
der Zollpolitik irgend welchen Einfluß einräumen, als Kronzeugen in Anspruch
nimmt, um so der Behauptung einen Schein von Wahrheit zu verleihen, die
deutsche Wissenschaft sei eigentlich mit dein Tarif auch in dieser seiner Tendenz
ganz einverstanden. Bezeichnend ist eS ferner, wie er I. Conrad abthun
zu können glaubt. In den grundlegenden wissenschaftlichen Auffassungen,
schreibt er, sei Conrad nusgesprochner Freihändler. Er sei z. B. Anwalt der
"Vodencntwertnng"; er sei Anhänger der Theorie, die die Interessen der Land¬
wirte und die der Landwirtschaft glaube trennen zu können; er meine, die
Auffassung der Schutzzöllner gestalte sich auf dem Boden der privatwirtschaft-
lichen Beurteilung gegenüber einem höhern volksivirtschaftlichen Standpunkt
-- während gerade das Gegenteil der Fall sei --; er schließe sich der Auf¬
fassung an, daß bei den Handelsverträgen zuerst die Interessen der Industrie
vertreten seien, weil die Landwirtschaft, "wenn auch verarmt," doch bleibe,
während die Arbeit für den Export sofort aufhöre, wenn die Unkosten nicht
gedeckt würden: "kurz, Conrad ist theoretisch Freihändler und insbesondre Anti-
Agrarier vom reinsten Wasser." Es ist zum erschrecken, daß daS für eine
^Nenschafttiche Kritik der Conradschen Stellung zur Sache ausgegeben wird,
^>'n daß Mähr Conrad mißversteht, ist unmöglich. Warum widerlegt er nicht
. ^ezc, ^> Charakterisierung Conrads als "ausgesprochnen Frei-
. ^ erZ" "Antiagrariers vom reinsten Wasser" -- übrigens in der
^""'nziöses^ Formulierung -- mitteilt, statt fast die Hälfte seines Buchs dem
uimpf ^ Brentanvschen Freihandclsargumente zu widmen, über deren
, Mlosigteit se" die praktische Wirtschaftspolitik Conrad selbst das treffendste
"teil schon längst gefällt hat? Was weiß Herr von Mähr von dem Agrarier-
"u>, das der ganzen agrarischen Bewegung den Charakter giebt und die Über¬
macht beim Entwerfen des Zolltarifs gehabt hat, das heißt von dein ostelbischen
Ugmriertum, im Vergleich mit Conrad? Was soll es heißem Conrad sei
'Uitiagrarier? Mähr kaun damit hier nur eine die landwirtschaftlichen Jnter-



Verlag von N. Oldenbourg, München und Berlin, 1901.

politischer Weisheit zu stempeln, zu dein auch die nationalökonomische Wissen¬
schaft nur bewundernd emporheben könne.

Der sonst so verdienstvolle Statistiker Professor Georg von Mnyr in
München hat ganz kürzlich in dieser Tendenz ein Buch unter dem Titel „Zoll-
tarifentwnrf und Wissenschaft"^) erscheinen lassen, das unter den wenigen
Professoraten Versuchen, dem in die blinde Verherrlichung des Schutzzolls ge-
melten Teil unsrer Beamten in der Tariffrage über den Berg zu helfen, am
meisten Beachtung verdient. Die wissenschaftliche und staatsmännische Qualität
des Verfassers machte ihn zu diesem Vorspaundienst ganz besonders geschickt,
aber das Vues selbst — dessen Tendenz hier nur in aller Kürze angedeutet
werden kann — ist deshalb weder wissenschaftlich noch staatsmännisch eine
rühmliche Leistung. Ganz besonders bezeichnend ist es, das; Mayr von vorn¬
herein für das „Schutzzollshstem," das die Tarifcntwerfer vollends ausbauen
wollen, alle die Nationalökonomen, die dein „Schutzzollprinzip" überhaupt in
der Zollpolitik irgend welchen Einfluß einräumen, als Kronzeugen in Anspruch
nimmt, um so der Behauptung einen Schein von Wahrheit zu verleihen, die
deutsche Wissenschaft sei eigentlich mit dein Tarif auch in dieser seiner Tendenz
ganz einverstanden. Bezeichnend ist eS ferner, wie er I. Conrad abthun
zu können glaubt. In den grundlegenden wissenschaftlichen Auffassungen,
schreibt er, sei Conrad nusgesprochner Freihändler. Er sei z. B. Anwalt der
„Vodencntwertnng"; er sei Anhänger der Theorie, die die Interessen der Land¬
wirte und die der Landwirtschaft glaube trennen zu können; er meine, die
Auffassung der Schutzzöllner gestalte sich auf dem Boden der privatwirtschaft-
lichen Beurteilung gegenüber einem höhern volksivirtschaftlichen Standpunkt
— während gerade das Gegenteil der Fall sei —; er schließe sich der Auf¬
fassung an, daß bei den Handelsverträgen zuerst die Interessen der Industrie
vertreten seien, weil die Landwirtschaft, „wenn auch verarmt," doch bleibe,
während die Arbeit für den Export sofort aufhöre, wenn die Unkosten nicht
gedeckt würden: „kurz, Conrad ist theoretisch Freihändler und insbesondre Anti-
Agrarier vom reinsten Wasser." Es ist zum erschrecken, daß daS für eine
^Nenschafttiche Kritik der Conradschen Stellung zur Sache ausgegeben wird,
^>'n daß Mähr Conrad mißversteht, ist unmöglich. Warum widerlegt er nicht
. ^ezc, ^> Charakterisierung Conrads als „ausgesprochnen Frei-
. ^ erZ" „Antiagrariers vom reinsten Wasser" — übrigens in der
^""'nziöses^ Formulierung — mitteilt, statt fast die Hälfte seines Buchs dem
uimpf ^ Brentanvschen Freihandclsargumente zu widmen, über deren
, Mlosigteit se" die praktische Wirtschaftspolitik Conrad selbst das treffendste
"teil schon längst gefällt hat? Was weiß Herr von Mähr von dem Agrarier-
"u>, das der ganzen agrarischen Bewegung den Charakter giebt und die Über¬
macht beim Entwerfen des Zolltarifs gehabt hat, das heißt von dein ostelbischen
Ugmriertum, im Vergleich mit Conrad? Was soll es heißem Conrad sei
'Uitiagrarier? Mähr kaun damit hier nur eine die landwirtschaftlichen Jnter-



Verlag von N. Oldenbourg, München und Berlin, 1901.
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[0227] politischer Weisheit zu stempeln, zu dein auch die nationalökonomische Wissen¬ schaft nur bewundernd emporheben könne. Der sonst so verdienstvolle Statistiker Professor Georg von Mnyr in München hat ganz kürzlich in dieser Tendenz ein Buch unter dem Titel „Zoll- tarifentwnrf und Wissenschaft"^) erscheinen lassen, das unter den wenigen Professoraten Versuchen, dem in die blinde Verherrlichung des Schutzzolls ge- melten Teil unsrer Beamten in der Tariffrage über den Berg zu helfen, am meisten Beachtung verdient. Die wissenschaftliche und staatsmännische Qualität des Verfassers machte ihn zu diesem Vorspaundienst ganz besonders geschickt, aber das Vues selbst — dessen Tendenz hier nur in aller Kürze angedeutet werden kann — ist deshalb weder wissenschaftlich noch staatsmännisch eine rühmliche Leistung. Ganz besonders bezeichnend ist es, das; Mayr von vorn¬ herein für das „Schutzzollshstem," das die Tarifcntwerfer vollends ausbauen wollen, alle die Nationalökonomen, die dein „Schutzzollprinzip" überhaupt in der Zollpolitik irgend welchen Einfluß einräumen, als Kronzeugen in Anspruch nimmt, um so der Behauptung einen Schein von Wahrheit zu verleihen, die deutsche Wissenschaft sei eigentlich mit dein Tarif auch in dieser seiner Tendenz ganz einverstanden. Bezeichnend ist eS ferner, wie er I. Conrad abthun zu können glaubt. In den grundlegenden wissenschaftlichen Auffassungen, schreibt er, sei Conrad nusgesprochner Freihändler. Er sei z. B. Anwalt der „Vodencntwertnng"; er sei Anhänger der Theorie, die die Interessen der Land¬ wirte und die der Landwirtschaft glaube trennen zu können; er meine, die Auffassung der Schutzzöllner gestalte sich auf dem Boden der privatwirtschaft- lichen Beurteilung gegenüber einem höhern volksivirtschaftlichen Standpunkt — während gerade das Gegenteil der Fall sei —; er schließe sich der Auf¬ fassung an, daß bei den Handelsverträgen zuerst die Interessen der Industrie vertreten seien, weil die Landwirtschaft, „wenn auch verarmt," doch bleibe, während die Arbeit für den Export sofort aufhöre, wenn die Unkosten nicht gedeckt würden: „kurz, Conrad ist theoretisch Freihändler und insbesondre Anti- Agrarier vom reinsten Wasser." Es ist zum erschrecken, daß daS für eine ^Nenschafttiche Kritik der Conradschen Stellung zur Sache ausgegeben wird, ^>'n daß Mähr Conrad mißversteht, ist unmöglich. Warum widerlegt er nicht . ^ezc, ^> Charakterisierung Conrads als „ausgesprochnen Frei- . ^ erZ" „Antiagrariers vom reinsten Wasser" — übrigens in der ^""'nziöses^ Formulierung — mitteilt, statt fast die Hälfte seines Buchs dem uimpf ^ Brentanvschen Freihandclsargumente zu widmen, über deren , Mlosigteit se" die praktische Wirtschaftspolitik Conrad selbst das treffendste "teil schon längst gefällt hat? Was weiß Herr von Mähr von dem Agrarier- "u>, das der ganzen agrarischen Bewegung den Charakter giebt und die Über¬ macht beim Entwerfen des Zolltarifs gehabt hat, das heißt von dein ostelbischen Ugmriertum, im Vergleich mit Conrad? Was soll es heißem Conrad sei 'Uitiagrarier? Mähr kaun damit hier nur eine die landwirtschaftlichen Jnter- Verlag von N. Oldenbourg, München und Berlin, 1901.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/227>, abgerufen am 28.07.2024.