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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Künstler. Die Thatsache, daß sich sogar sehr gebildete Leute erst ein endgiltiges
Urteil über ein Konzert bilden, wenn sie am Tage darauf die Rezension darüber
gelesen haben, kann als Beleg dafür dienen. Und auch was die Sicherheit der
Existenz anbetrifft -- da hat man leider schon genug von darbenden Pastoren¬
witwen gehört, und ebenso von der unbequemen Lebenslage pensionierter Gymnasial¬
lehrer.

Nun aber die Konkurrenz! Schon ihretwegen raten ja alle ältern Musiker
von der Musik als Lebensberuf ub! Wir wollen die häufig sehr egoistischen
Motive davon nicht naher untersuchen und nur fragen: Auf welchem Gebiete wäre
denn heutzutage diese ungeheure Konkurrenz nicht vorhanden? Das Abraten von
einem Beruf aus diesem Grunde ist jetzt allgemein geworden. Was soll z. B. ein
junger Mann noch auf der Universität studieren, ohne sich mit dieser Konknrreuz-
frage auseinandersetzen zu müssen? Vielleicht -- Zahnheilknnde, wie ein mir be¬
kannter Universitätsprofessor neulich einmal meinte. Sonst ist auch in allen andern
Fächern Überfüllung, die die Aussichten in schlechtem Lichte zeigt. Vor dem juristischen
Studium ist ab und zu sogar schon von den Behörden gewarnt worden, Philologen
und Theologen müssen als Hauslehrer umherwander", und von dem "Ärzteelend"
wird genug in den Zeitungen geschrieben. Sieht man genan umher, so wird man
bemerken, daß der Kampf uns Dasein in der Musik nicht schlimmer ist, als auf
den andern Gebieten, nicht härter und nicht milder.

Darum, ihr Eltern, laßt euern Sohn getrost die Kunst zu seinem Lebensberuf
erwählen. Bedenkt nur auf das sorgsamste zweierlei: ob er das nötige Talent hat,
und ob ihr über die nötigen Mittel verfügt, es korrekt und allseitig ausbilden zu
lassen. Den" bei der Beantwortung der heute so schwer wiegenden Frage: Was
soll ich werden? entscheidet sich leider eine Menge sogenannter halber Talente für
die Musik als Lebensberuf, und andrerseits wird allzu häufig von richtigen Talenten
aus äußern oder innern Gründen so einseitig oder ungenügend studiert, daß die
sogenannten verunglückten Existenzen auch hier unmöglich ausbleiben können. Für
ein gehöriges Mnsikstudium sind bei genügender Vorbildung ungefähr dieselben
Kostenanschläge zu machen, wie für ein teureres Universitätsstudium. Man muß nicht
nur sechs bis acht Semester sorglos studieren können, sondern bedarf mich nnter
Umständen danach noch für einige Jahre der Zuschüsse dazu, in der praktischen
Musikwelt Fuß zu fassen. Genau so wie der Jurist nach der bestandnen Referendar¬
prüfung nicht gleich Amtsrichter oder Nechtsanwnlt werden kann, sondern erst noch
das Assessorexamen bestehn muß, ehe er ans nennenswerten materiellen Gewinn
rechnen darf. Sind aber solche Vorbedingungen erfüllt, dann mit gut Glück auf
den Weg! Und das Glück pflegt ja dem tüchtigen Künstler in der mannigfachsten
Form hold zu sein. Darauf zu sehen, ist immer noch vernünftiger, als auf die
zweifelhaft günstige Beantwortung der unverständigen Frage nach späterer Erst¬
"
Bruno Schrader rangigkeit."






Herausgegeben von Johannes Grunoiv in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunnw in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Künstler. Die Thatsache, daß sich sogar sehr gebildete Leute erst ein endgiltiges
Urteil über ein Konzert bilden, wenn sie am Tage darauf die Rezension darüber
gelesen haben, kann als Beleg dafür dienen. Und auch was die Sicherheit der
Existenz anbetrifft — da hat man leider schon genug von darbenden Pastoren¬
witwen gehört, und ebenso von der unbequemen Lebenslage pensionierter Gymnasial¬
lehrer.

Nun aber die Konkurrenz! Schon ihretwegen raten ja alle ältern Musiker
von der Musik als Lebensberuf ub! Wir wollen die häufig sehr egoistischen
Motive davon nicht naher untersuchen und nur fragen: Auf welchem Gebiete wäre
denn heutzutage diese ungeheure Konkurrenz nicht vorhanden? Das Abraten von
einem Beruf aus diesem Grunde ist jetzt allgemein geworden. Was soll z. B. ein
junger Mann noch auf der Universität studieren, ohne sich mit dieser Konknrreuz-
frage auseinandersetzen zu müssen? Vielleicht — Zahnheilknnde, wie ein mir be¬
kannter Universitätsprofessor neulich einmal meinte. Sonst ist auch in allen andern
Fächern Überfüllung, die die Aussichten in schlechtem Lichte zeigt. Vor dem juristischen
Studium ist ab und zu sogar schon von den Behörden gewarnt worden, Philologen
und Theologen müssen als Hauslehrer umherwander», und von dem „Ärzteelend"
wird genug in den Zeitungen geschrieben. Sieht man genan umher, so wird man
bemerken, daß der Kampf uns Dasein in der Musik nicht schlimmer ist, als auf
den andern Gebieten, nicht härter und nicht milder.

Darum, ihr Eltern, laßt euern Sohn getrost die Kunst zu seinem Lebensberuf
erwählen. Bedenkt nur auf das sorgsamste zweierlei: ob er das nötige Talent hat,
und ob ihr über die nötigen Mittel verfügt, es korrekt und allseitig ausbilden zu
lassen. Den» bei der Beantwortung der heute so schwer wiegenden Frage: Was
soll ich werden? entscheidet sich leider eine Menge sogenannter halber Talente für
die Musik als Lebensberuf, und andrerseits wird allzu häufig von richtigen Talenten
aus äußern oder innern Gründen so einseitig oder ungenügend studiert, daß die
sogenannten verunglückten Existenzen auch hier unmöglich ausbleiben können. Für
ein gehöriges Mnsikstudium sind bei genügender Vorbildung ungefähr dieselben
Kostenanschläge zu machen, wie für ein teureres Universitätsstudium. Man muß nicht
nur sechs bis acht Semester sorglos studieren können, sondern bedarf mich nnter
Umständen danach noch für einige Jahre der Zuschüsse dazu, in der praktischen
Musikwelt Fuß zu fassen. Genau so wie der Jurist nach der bestandnen Referendar¬
prüfung nicht gleich Amtsrichter oder Nechtsanwnlt werden kann, sondern erst noch
das Assessorexamen bestehn muß, ehe er ans nennenswerten materiellen Gewinn
rechnen darf. Sind aber solche Vorbedingungen erfüllt, dann mit gut Glück auf
den Weg! Und das Glück pflegt ja dem tüchtigen Künstler in der mannigfachsten
Form hold zu sein. Darauf zu sehen, ist immer noch vernünftiger, als auf die
zweifelhaft günstige Beantwortung der unverständigen Frage nach späterer Erst¬

Bruno Schrader rangigkeit."






Herausgegeben von Johannes Grunoiv in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunnw in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0224] Maßgebliches und Unmaßgebliches Künstler. Die Thatsache, daß sich sogar sehr gebildete Leute erst ein endgiltiges Urteil über ein Konzert bilden, wenn sie am Tage darauf die Rezension darüber gelesen haben, kann als Beleg dafür dienen. Und auch was die Sicherheit der Existenz anbetrifft — da hat man leider schon genug von darbenden Pastoren¬ witwen gehört, und ebenso von der unbequemen Lebenslage pensionierter Gymnasial¬ lehrer. Nun aber die Konkurrenz! Schon ihretwegen raten ja alle ältern Musiker von der Musik als Lebensberuf ub! Wir wollen die häufig sehr egoistischen Motive davon nicht naher untersuchen und nur fragen: Auf welchem Gebiete wäre denn heutzutage diese ungeheure Konkurrenz nicht vorhanden? Das Abraten von einem Beruf aus diesem Grunde ist jetzt allgemein geworden. Was soll z. B. ein junger Mann noch auf der Universität studieren, ohne sich mit dieser Konknrreuz- frage auseinandersetzen zu müssen? Vielleicht — Zahnheilknnde, wie ein mir be¬ kannter Universitätsprofessor neulich einmal meinte. Sonst ist auch in allen andern Fächern Überfüllung, die die Aussichten in schlechtem Lichte zeigt. Vor dem juristischen Studium ist ab und zu sogar schon von den Behörden gewarnt worden, Philologen und Theologen müssen als Hauslehrer umherwander», und von dem „Ärzteelend" wird genug in den Zeitungen geschrieben. Sieht man genan umher, so wird man bemerken, daß der Kampf uns Dasein in der Musik nicht schlimmer ist, als auf den andern Gebieten, nicht härter und nicht milder. Darum, ihr Eltern, laßt euern Sohn getrost die Kunst zu seinem Lebensberuf erwählen. Bedenkt nur auf das sorgsamste zweierlei: ob er das nötige Talent hat, und ob ihr über die nötigen Mittel verfügt, es korrekt und allseitig ausbilden zu lassen. Den» bei der Beantwortung der heute so schwer wiegenden Frage: Was soll ich werden? entscheidet sich leider eine Menge sogenannter halber Talente für die Musik als Lebensberuf, und andrerseits wird allzu häufig von richtigen Talenten aus äußern oder innern Gründen so einseitig oder ungenügend studiert, daß die sogenannten verunglückten Existenzen auch hier unmöglich ausbleiben können. Für ein gehöriges Mnsikstudium sind bei genügender Vorbildung ungefähr dieselben Kostenanschläge zu machen, wie für ein teureres Universitätsstudium. Man muß nicht nur sechs bis acht Semester sorglos studieren können, sondern bedarf mich nnter Umständen danach noch für einige Jahre der Zuschüsse dazu, in der praktischen Musikwelt Fuß zu fassen. Genau so wie der Jurist nach der bestandnen Referendar¬ prüfung nicht gleich Amtsrichter oder Nechtsanwnlt werden kann, sondern erst noch das Assessorexamen bestehn muß, ehe er ans nennenswerten materiellen Gewinn rechnen darf. Sind aber solche Vorbedingungen erfüllt, dann mit gut Glück auf den Weg! Und das Glück pflegt ja dem tüchtigen Künstler in der mannigfachsten Form hold zu sein. Darauf zu sehen, ist immer noch vernünftiger, als auf die zweifelhaft günstige Beantwortung der unverständigen Frage nach späterer Erst¬ „ Bruno Schrader rangigkeit." Herausgegeben von Johannes Grunoiv in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunnw in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/224>, abgerufen am 28.07.2024.