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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se, Michel und der Michaelsknltus

Fremdenraums empfangen wurden, so die Fußreisenden von dem Almosenier.
Einem jeden teilte der Almosenier ein Pfund Brot und eine genügende Menge
Wein aus. Es gab alle Tage achtzehn Portionen für die Armen des Orts,
denen man also ein Pfund Brot, als Zukost viermal in der Woche Saubohnen
und die andern Tage Gemüse gab. Bei den großen Festlichkeiten und fünf-
uudzwauzigmal im Jahr ersetzte Fleisch die Bohnen. Jedes Jahr gab mau
zu Ostern einem jeden von ihnen neun Ellen Leineustoff und ein Paar Schuhe.
Sechs Mönche wurden für diesen Dienst gebraucht: der Majordomus, der den
Armen und Gästen austeilte; der Träger der Almosen; zwei gingen täglich
ius Holz mit ihren Eseln; die beiden andern hatten für den Backofen zu
sorgen. Man verteilte außerordentliche Almosen.--Außerdem verteilte man
täglich zwölf Torten, jede drei Pfund schwer, an die Witwe" und Waisen,
die Lahmen und die Blinden, die Greise und alle Kranken, die sich einfanden.
Es war außerdem Pflicht des Almoseniers, einmal in der Woche durch das
Gebiet der Abtei zu gehn und dabei über die Kranken Erkundigungen einzu-
ziehn und ihnen Brot, Wein und alles, was man vom beseelt finden konnte,
zu geben." Der Mönch Udnlrich fügt dann später hinzu, daß man in dem
Jahre, wo er seine "ältern Gewohnheiten des Klosters Cluuv" schrieb,
250 Schinken und an 17000 Arme Almosen verteilt habe. Jedes Kloster,
das von Clunh abhängig war, folgte diesem Beispiel nach Maßgabe seiner
Mittel. Daß auch Se. Michel diese Pflicht in reichem Maße ausübte, wie es
armen Pilgern gegenüber besonders nötig war, beweist der stattliche Raum
für diese" Zweck. Sechs starke runde Säulen in der Mitte teilen den Raum
und tragen die hohen, leichter geschwuugneu Wölbungen. In dem ovllisr,
der der Besatzung als Eßsaal und sonst wohl als Keller diente, zeigen die
Wölbungen denselben Charakter, aber zwei Reihen von viereckigen Pfeilern
zerlegen den Raum i" drei Abteilungen, Ausgestattet lvareu beide Räume
sellistverstäildlich einst mit langen Reihen von Tafeln und Bänken für die
Schmausenden.

Im zweiten Stockwerk wird in dein r^tvotoiro, wohl dem alten Schlaf¬
saal der Mönche, der ganze Raum in der Mitte von einer Reihe von sechs
eleganten hohen Säulen durchzogen, die auf reich mit Blumen verzierten
Kapitalen luftige Wölbungen tragen. I" dem berühmten Rittersaal ent¬
sprechen den doppelten Pfeilerreihe" im Lvllit-r darunter zwei Reihen von je
sechs einfachen Ruudsüuleu. Wundervolle Laubgewinde bilden die Kapitale.
Voll ihnen gehn in der Form von Palmeiiwedcln die Nippen der Gewölbe
aus, die sich dann um der Mauer ans Hcilbsnulen aus drei Säulenbündeln
stütze". Durch die breite" Fenster flutet Helles Licht herein. Zwei Kamine
sind interessante Beispiele dafür, daß mau erst im vierzehnten Jahrhundert die
Mäntel der Kamine mit Skulpturen und Basreliefs zu schmücken begann.
Wie alles, was für den täglichen Gebrauch bestimmt war, lvareu bis dahin
die Kamine mit wenig Ausnahmen sehr einfach gehalten. Der Zweck dieses
Raumes war sehr verschiede". Nach der Borschrift des heiligen Benedikt


Mont Se, Michel und der Michaelsknltus

Fremdenraums empfangen wurden, so die Fußreisenden von dem Almosenier.
Einem jeden teilte der Almosenier ein Pfund Brot und eine genügende Menge
Wein aus. Es gab alle Tage achtzehn Portionen für die Armen des Orts,
denen man also ein Pfund Brot, als Zukost viermal in der Woche Saubohnen
und die andern Tage Gemüse gab. Bei den großen Festlichkeiten und fünf-
uudzwauzigmal im Jahr ersetzte Fleisch die Bohnen. Jedes Jahr gab mau
zu Ostern einem jeden von ihnen neun Ellen Leineustoff und ein Paar Schuhe.
Sechs Mönche wurden für diesen Dienst gebraucht: der Majordomus, der den
Armen und Gästen austeilte; der Träger der Almosen; zwei gingen täglich
ius Holz mit ihren Eseln; die beiden andern hatten für den Backofen zu
sorgen. Man verteilte außerordentliche Almosen.--Außerdem verteilte man
täglich zwölf Torten, jede drei Pfund schwer, an die Witwe» und Waisen,
die Lahmen und die Blinden, die Greise und alle Kranken, die sich einfanden.
Es war außerdem Pflicht des Almoseniers, einmal in der Woche durch das
Gebiet der Abtei zu gehn und dabei über die Kranken Erkundigungen einzu-
ziehn und ihnen Brot, Wein und alles, was man vom beseelt finden konnte,
zu geben." Der Mönch Udnlrich fügt dann später hinzu, daß man in dem
Jahre, wo er seine „ältern Gewohnheiten des Klosters Cluuv" schrieb,
250 Schinken und an 17000 Arme Almosen verteilt habe. Jedes Kloster,
das von Clunh abhängig war, folgte diesem Beispiel nach Maßgabe seiner
Mittel. Daß auch Se. Michel diese Pflicht in reichem Maße ausübte, wie es
armen Pilgern gegenüber besonders nötig war, beweist der stattliche Raum
für diese» Zweck. Sechs starke runde Säulen in der Mitte teilen den Raum
und tragen die hohen, leichter geschwuugneu Wölbungen. In dem ovllisr,
der der Besatzung als Eßsaal und sonst wohl als Keller diente, zeigen die
Wölbungen denselben Charakter, aber zwei Reihen von viereckigen Pfeilern
zerlegen den Raum i» drei Abteilungen, Ausgestattet lvareu beide Räume
sellistverstäildlich einst mit langen Reihen von Tafeln und Bänken für die
Schmausenden.

Im zweiten Stockwerk wird in dein r^tvotoiro, wohl dem alten Schlaf¬
saal der Mönche, der ganze Raum in der Mitte von einer Reihe von sechs
eleganten hohen Säulen durchzogen, die auf reich mit Blumen verzierten
Kapitalen luftige Wölbungen tragen. I» dem berühmten Rittersaal ent¬
sprechen den doppelten Pfeilerreihe» im Lvllit-r darunter zwei Reihen von je
sechs einfachen Ruudsüuleu. Wundervolle Laubgewinde bilden die Kapitale.
Voll ihnen gehn in der Form von Palmeiiwedcln die Nippen der Gewölbe
aus, die sich dann um der Mauer ans Hcilbsnulen aus drei Säulenbündeln
stütze». Durch die breite» Fenster flutet Helles Licht herein. Zwei Kamine
sind interessante Beispiele dafür, daß mau erst im vierzehnten Jahrhundert die
Mäntel der Kamine mit Skulpturen und Basreliefs zu schmücken begann.
Wie alles, was für den täglichen Gebrauch bestimmt war, lvareu bis dahin
die Kamine mit wenig Ausnahmen sehr einfach gehalten. Der Zweck dieses
Raumes war sehr verschiede». Nach der Borschrift des heiligen Benedikt


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[0202] Mont Se, Michel und der Michaelsknltus Fremdenraums empfangen wurden, so die Fußreisenden von dem Almosenier. Einem jeden teilte der Almosenier ein Pfund Brot und eine genügende Menge Wein aus. Es gab alle Tage achtzehn Portionen für die Armen des Orts, denen man also ein Pfund Brot, als Zukost viermal in der Woche Saubohnen und die andern Tage Gemüse gab. Bei den großen Festlichkeiten und fünf- uudzwauzigmal im Jahr ersetzte Fleisch die Bohnen. Jedes Jahr gab mau zu Ostern einem jeden von ihnen neun Ellen Leineustoff und ein Paar Schuhe. Sechs Mönche wurden für diesen Dienst gebraucht: der Majordomus, der den Armen und Gästen austeilte; der Träger der Almosen; zwei gingen täglich ius Holz mit ihren Eseln; die beiden andern hatten für den Backofen zu sorgen. Man verteilte außerordentliche Almosen.--Außerdem verteilte man täglich zwölf Torten, jede drei Pfund schwer, an die Witwe» und Waisen, die Lahmen und die Blinden, die Greise und alle Kranken, die sich einfanden. Es war außerdem Pflicht des Almoseniers, einmal in der Woche durch das Gebiet der Abtei zu gehn und dabei über die Kranken Erkundigungen einzu- ziehn und ihnen Brot, Wein und alles, was man vom beseelt finden konnte, zu geben." Der Mönch Udnlrich fügt dann später hinzu, daß man in dem Jahre, wo er seine „ältern Gewohnheiten des Klosters Cluuv" schrieb, 250 Schinken und an 17000 Arme Almosen verteilt habe. Jedes Kloster, das von Clunh abhängig war, folgte diesem Beispiel nach Maßgabe seiner Mittel. Daß auch Se. Michel diese Pflicht in reichem Maße ausübte, wie es armen Pilgern gegenüber besonders nötig war, beweist der stattliche Raum für diese» Zweck. Sechs starke runde Säulen in der Mitte teilen den Raum und tragen die hohen, leichter geschwuugneu Wölbungen. In dem ovllisr, der der Besatzung als Eßsaal und sonst wohl als Keller diente, zeigen die Wölbungen denselben Charakter, aber zwei Reihen von viereckigen Pfeilern zerlegen den Raum i» drei Abteilungen, Ausgestattet lvareu beide Räume sellistverstäildlich einst mit langen Reihen von Tafeln und Bänken für die Schmausenden. Im zweiten Stockwerk wird in dein r^tvotoiro, wohl dem alten Schlaf¬ saal der Mönche, der ganze Raum in der Mitte von einer Reihe von sechs eleganten hohen Säulen durchzogen, die auf reich mit Blumen verzierten Kapitalen luftige Wölbungen tragen. I» dem berühmten Rittersaal ent¬ sprechen den doppelten Pfeilerreihe» im Lvllit-r darunter zwei Reihen von je sechs einfachen Ruudsüuleu. Wundervolle Laubgewinde bilden die Kapitale. Voll ihnen gehn in der Form von Palmeiiwedcln die Nippen der Gewölbe aus, die sich dann um der Mauer ans Hcilbsnulen aus drei Säulenbündeln stütze». Durch die breite» Fenster flutet Helles Licht herein. Zwei Kamine sind interessante Beispiele dafür, daß mau erst im vierzehnten Jahrhundert die Mäntel der Kamine mit Skulpturen und Basreliefs zu schmücken begann. Wie alles, was für den täglichen Gebrauch bestimmt war, lvareu bis dahin die Kamine mit wenig Ausnahmen sehr einfach gehalten. Der Zweck dieses Raumes war sehr verschiede». Nach der Borschrift des heiligen Benedikt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/202>, abgerufen am 01.09.2024.