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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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die, die die Finnen beseelte beim Suchen nach Runen, Bei eingehenderer
Untersttchmig hat man denn gefunden, das; die primitivsten und am wenigsten
entwickelten Runen im Gebiete der Esthen angetroffen werden, und daß sich
dieselben Runen auch wieder in Ingermanland vorfinden, aber ausgestattet
mit teilweise neue" Zügen. Im südlichen Karelier findet man sie in noch
mehr veränderter und ausgebildeter Form, im nördlichen Karelier schließlich
in, der Form, die den Kalevalarunen zu Grunde liegt, und die am meisten ab¬
weichen von den einfachen Formen der ursprünglichen Runen,

Die Runen sind also, wie man deutlich sieht, von Süden nach Norden
gewandert und nicht umgekehrt, und auf esthnifchem Boden hat man die
Heimat der ursprünglichen Runen zu suchen, sowie der Runenmotive, die seither
ans allerlei Weise in Karelier ausgeschmückt wurden. Sehr möglich und in
gewissen Fällen erwiesen ist, daß diese Motive zu den Esthen gekommen sind
von ihren Nachbar", den Schweden im Westen (und ans Dagö und Ösel usw.)
und deu Letten im Süden.

Die Nunc über die Erschaffung der Welt ist ein gutes Beispiel einer
solche" "wandernden Rune."^) All der Küste Esthlands wird gesungen, daß
eine Schwalbe "mherfliegt und einen Platz sucht, wo sie ihr Nest bauen könne.
Sie findet drei Sträucher, wählt einen von ihnen und baut ihr Nest in ihm.
Sie legt drei Eier und beginnt sie z" brüten. Von den Jungen bestimmt sie
das eine zur Souue, das andre zum Mond und das dritte zu einem Stern.
I" Jugcrmnnland wurde diese Mythe ins Finnische übersetzt, wobei die
Sprache des Originals infolge der nahen Verwandtschaft des Esthnischen mit
dem Finnischen deutliche Spuren hinterlassen hat. Hier trägt sich die Handlung
ans offnen, Meere z"; die Gebüsche und Sträucher werden hier Tauben, die
über dem Meere herumfliegen; vom Brüten wird natürlicherweise nichts be¬
richtet. Die Eier fallen ins Meer und zerbrechen. Ans dem Dotter entsteht
die Sonne, ans dem Eiweiß und den Schalen der Mond und die Sterne.
Nördlich vom Ladvgasee ist aus der Schwalbe eine Ente geworden. Väinü-
möinen wird von einem Lappen angeschossen und treibt auf dem Meere wie
ein Hügel, oder vielmehr er erhebt sein Knie wie einen Hügel aus dem Meere,
uns das die Ende ihre Eier legt. Das El ist nun ein wirkliches Weitet ge¬
worden, aus dem sich die ganze Welt entwickelt. Vninämöinen hat noch nichts
andres damit zu thun, als daß er das Knie bewegt, sodaß das El ins Meer
rollt. Erst im nördlichen Karelier tritt er als Schöpfer auf, indem er die
Welt dnrch sein Wort ins Dasein ruft. Diese Bariante hat Lönnrot in der
Mmlg. Xxcksvala benutzt, in der my-i licüevÄlg, hat er eine Verdrehung des
Namens Bäinämvinen angewandt, nämlich Veinsmoinoil (s. v. a. Mutter des
Wassers) und damit die "Mutter des Wassers" zur eigentlichen Schöpferin
der Welt gemacht.



Über die Wnndrungcn der Runen hat Professor Kaarle Krohn in der Zeitschrift
Fenrir, K. Jahrgang Ur. Ul, Kuopio, l89Ä, in dein Artikel "Die geographische Verbreitung
Menscher Lieder" berichtet.

die, die die Finnen beseelte beim Suchen nach Runen, Bei eingehenderer
Untersttchmig hat man denn gefunden, das; die primitivsten und am wenigsten
entwickelten Runen im Gebiete der Esthen angetroffen werden, und daß sich
dieselben Runen auch wieder in Ingermanland vorfinden, aber ausgestattet
mit teilweise neue» Zügen. Im südlichen Karelier findet man sie in noch
mehr veränderter und ausgebildeter Form, im nördlichen Karelier schließlich
in, der Form, die den Kalevalarunen zu Grunde liegt, und die am meisten ab¬
weichen von den einfachen Formen der ursprünglichen Runen,

Die Runen sind also, wie man deutlich sieht, von Süden nach Norden
gewandert und nicht umgekehrt, und auf esthnifchem Boden hat man die
Heimat der ursprünglichen Runen zu suchen, sowie der Runenmotive, die seither
ans allerlei Weise in Karelier ausgeschmückt wurden. Sehr möglich und in
gewissen Fällen erwiesen ist, daß diese Motive zu den Esthen gekommen sind
von ihren Nachbar», den Schweden im Westen (und ans Dagö und Ösel usw.)
und deu Letten im Süden.

Die Nunc über die Erschaffung der Welt ist ein gutes Beispiel einer
solche» „wandernden Rune."^) All der Küste Esthlands wird gesungen, daß
eine Schwalbe »mherfliegt und einen Platz sucht, wo sie ihr Nest bauen könne.
Sie findet drei Sträucher, wählt einen von ihnen und baut ihr Nest in ihm.
Sie legt drei Eier und beginnt sie z» brüten. Von den Jungen bestimmt sie
das eine zur Souue, das andre zum Mond und das dritte zu einem Stern.
I» Jugcrmnnland wurde diese Mythe ins Finnische übersetzt, wobei die
Sprache des Originals infolge der nahen Verwandtschaft des Esthnischen mit
dem Finnischen deutliche Spuren hinterlassen hat. Hier trägt sich die Handlung
ans offnen, Meere z»; die Gebüsche und Sträucher werden hier Tauben, die
über dem Meere herumfliegen; vom Brüten wird natürlicherweise nichts be¬
richtet. Die Eier fallen ins Meer und zerbrechen. Ans dem Dotter entsteht
die Sonne, ans dem Eiweiß und den Schalen der Mond und die Sterne.
Nördlich vom Ladvgasee ist aus der Schwalbe eine Ente geworden. Väinü-
möinen wird von einem Lappen angeschossen und treibt auf dem Meere wie
ein Hügel, oder vielmehr er erhebt sein Knie wie einen Hügel aus dem Meere,
uns das die Ende ihre Eier legt. Das El ist nun ein wirkliches Weitet ge¬
worden, aus dem sich die ganze Welt entwickelt. Vninämöinen hat noch nichts
andres damit zu thun, als daß er das Knie bewegt, sodaß das El ins Meer
rollt. Erst im nördlichen Karelier tritt er als Schöpfer auf, indem er die
Welt dnrch sein Wort ins Dasein ruft. Diese Bariante hat Lönnrot in der
Mmlg. Xxcksvala benutzt, in der my-i licüevÄlg, hat er eine Verdrehung des
Namens Bäinämvinen angewandt, nämlich Veinsmoinoil (s. v. a. Mutter des
Wassers) und damit die „Mutter des Wassers" zur eigentlichen Schöpferin
der Welt gemacht.



Über die Wnndrungcn der Runen hat Professor Kaarle Krohn in der Zeitschrift
Fenrir, K. Jahrgang Ur. Ul, Kuopio, l89Ä, in dein Artikel „Die geographische Verbreitung
Menscher Lieder" berichtet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/195>, abgerufen am 28.07.2024.