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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Zolltarif

Interesse der Bevölkerung vielfach darauf angewiesen, für den Export zu
arbeiten; sie muß deshalb so sehr als irgend möglich gegen plötzliche Er¬
schwerungen ihres Absatzes nach dem Auslande geschützt werden." Das ist
alles, aber auch rein alles, was von Zusagen des Reichskanzlers an die
Agrarier in die Öffentlichkeit gedrungen ist, und. wohl gemerkt, auch alles, auf
was sich die agrarische Presse thatsächlich beruft, wenn sie den Landwirten
einzureden sucht, der Kanzler und die Regierung hielten die gegebnen Zusagen
nicht, wenn sie die im Tarifgesetzentwurf vorläufig genannten Minimalzölle nicht
noch erhöhten.

Leider haben der deutsche Landwirtschaftsrat und das preußische Landes-
ökonomielollcgium -- von andern agrarischen Interessenvertretungen ganz zu
schweigen -- durch ihre Forderungen diesem Geschrei willkommne Nahrung
und eine scheinbar feste Unterlage gegeben. Das sei, so redet die Agitation
jetzt den Leuten vor, die von der allein sachverständigen Stelle als "aus¬
reichend" festgestellte Mindestzollhöhe, auf ihr müßten also nicht nur die Land¬
wirte bestehn, sondern auch der Reichskanzler müsse sie bei den Verbündeten
Regierungen und vor allem beim Kaiser durchsetzen, oder er müsse von seinem
Amt zurücktreten. Nur mit diesen "ausreichenden" Minimalzöllen könne er
sein persönlich gegebnes Wort einlösen; erkenne er das nicht an, so werde er
eben wortbrüchig und ein toter Mann. Davon, daß die Zusage der preu¬
ßischen Stnatsregiernng, in der allein -- leider -- von "ausreichenden" Zöllen
gesprochen wird, noch zur Zeit der Vollkraft des Systems Miquel und des
Hochdrucks der Kanalvorlagc herausgepreßt worden ist, und daß dann doch,
trotz der Zusage, die Agrarier den Kanalbau mit Hohn zu Fall gebracht
haben, davon sagen die Herren den deutschen Landwirten natürlich kein Wort.

Wie wenig mit dem Begriff des "ausreichenden" Getreidczolls praktisch
und wissenschaftlich anzufangen ist, kann den Lesern der Grenzboten nach den
wiederholten eingehenden Besprechungen, die die Gctreidezollfrage hier erhalten
hat, nicht zweifelhaft sein. Wir verweisen deswegen vorläufig auf das früher
Gesagte, worin wir in der Hauptsache mit Professor Conrad einverstanden
waren und es noch sind. Weder die statistischen Rechenkünste Dr. Dades, noch
die neuste Schrift Adolph Wagners,") noch die agrarische Beredsamkeit auf der
Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in München haben es auch
nur versucht, geschweige denn fertig gebracht, die Bedenken, die Conrad gegen
eine weitere Erhöhung gerade der Getreidezölle geltend macht, zu widerlegen,
und zwar vor allem auch die Bedenken im Interesse der deutschen Landwirt¬
schaft selbst. Die deutsche Landwirtschaft wird durch die voraussichtliche
Steigerung der Grundpreise und der Verschuldung bei einer starken Zoll¬
erhöhung wahrscheinlich nicht finanziell gekräftigt, sondern sogar geschwächt
werden. Den finanziellen Gewinn werden nur die gegenwärtigen Besitzer und
bon ihnen anch nur die kleine Minderheit, die Inhaber größerer Betriebe,



Agrar- und Industriestaat. Jena, Gustav Fischer.
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Der Kampf um den Zolltarif

Interesse der Bevölkerung vielfach darauf angewiesen, für den Export zu
arbeiten; sie muß deshalb so sehr als irgend möglich gegen plötzliche Er¬
schwerungen ihres Absatzes nach dem Auslande geschützt werden." Das ist
alles, aber auch rein alles, was von Zusagen des Reichskanzlers an die
Agrarier in die Öffentlichkeit gedrungen ist, und. wohl gemerkt, auch alles, auf
was sich die agrarische Presse thatsächlich beruft, wenn sie den Landwirten
einzureden sucht, der Kanzler und die Regierung hielten die gegebnen Zusagen
nicht, wenn sie die im Tarifgesetzentwurf vorläufig genannten Minimalzölle nicht
noch erhöhten.

Leider haben der deutsche Landwirtschaftsrat und das preußische Landes-
ökonomielollcgium — von andern agrarischen Interessenvertretungen ganz zu
schweigen — durch ihre Forderungen diesem Geschrei willkommne Nahrung
und eine scheinbar feste Unterlage gegeben. Das sei, so redet die Agitation
jetzt den Leuten vor, die von der allein sachverständigen Stelle als „aus¬
reichend" festgestellte Mindestzollhöhe, auf ihr müßten also nicht nur die Land¬
wirte bestehn, sondern auch der Reichskanzler müsse sie bei den Verbündeten
Regierungen und vor allem beim Kaiser durchsetzen, oder er müsse von seinem
Amt zurücktreten. Nur mit diesen „ausreichenden" Minimalzöllen könne er
sein persönlich gegebnes Wort einlösen; erkenne er das nicht an, so werde er
eben wortbrüchig und ein toter Mann. Davon, daß die Zusage der preu¬
ßischen Stnatsregiernng, in der allein — leider — von „ausreichenden" Zöllen
gesprochen wird, noch zur Zeit der Vollkraft des Systems Miquel und des
Hochdrucks der Kanalvorlagc herausgepreßt worden ist, und daß dann doch,
trotz der Zusage, die Agrarier den Kanalbau mit Hohn zu Fall gebracht
haben, davon sagen die Herren den deutschen Landwirten natürlich kein Wort.

Wie wenig mit dem Begriff des „ausreichenden" Getreidczolls praktisch
und wissenschaftlich anzufangen ist, kann den Lesern der Grenzboten nach den
wiederholten eingehenden Besprechungen, die die Gctreidezollfrage hier erhalten
hat, nicht zweifelhaft sein. Wir verweisen deswegen vorläufig auf das früher
Gesagte, worin wir in der Hauptsache mit Professor Conrad einverstanden
waren und es noch sind. Weder die statistischen Rechenkünste Dr. Dades, noch
die neuste Schrift Adolph Wagners,") noch die agrarische Beredsamkeit auf der
Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in München haben es auch
nur versucht, geschweige denn fertig gebracht, die Bedenken, die Conrad gegen
eine weitere Erhöhung gerade der Getreidezölle geltend macht, zu widerlegen,
und zwar vor allem auch die Bedenken im Interesse der deutschen Landwirt¬
schaft selbst. Die deutsche Landwirtschaft wird durch die voraussichtliche
Steigerung der Grundpreise und der Verschuldung bei einer starken Zoll¬
erhöhung wahrscheinlich nicht finanziell gekräftigt, sondern sogar geschwächt
werden. Den finanziellen Gewinn werden nur die gegenwärtigen Besitzer und
bon ihnen anch nur die kleine Minderheit, die Inhaber größerer Betriebe,



Agrar- und Industriestaat. Jena, Gustav Fischer.
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[0017] Der Kampf um den Zolltarif Interesse der Bevölkerung vielfach darauf angewiesen, für den Export zu arbeiten; sie muß deshalb so sehr als irgend möglich gegen plötzliche Er¬ schwerungen ihres Absatzes nach dem Auslande geschützt werden." Das ist alles, aber auch rein alles, was von Zusagen des Reichskanzlers an die Agrarier in die Öffentlichkeit gedrungen ist, und. wohl gemerkt, auch alles, auf was sich die agrarische Presse thatsächlich beruft, wenn sie den Landwirten einzureden sucht, der Kanzler und die Regierung hielten die gegebnen Zusagen nicht, wenn sie die im Tarifgesetzentwurf vorläufig genannten Minimalzölle nicht noch erhöhten. Leider haben der deutsche Landwirtschaftsrat und das preußische Landes- ökonomielollcgium — von andern agrarischen Interessenvertretungen ganz zu schweigen — durch ihre Forderungen diesem Geschrei willkommne Nahrung und eine scheinbar feste Unterlage gegeben. Das sei, so redet die Agitation jetzt den Leuten vor, die von der allein sachverständigen Stelle als „aus¬ reichend" festgestellte Mindestzollhöhe, auf ihr müßten also nicht nur die Land¬ wirte bestehn, sondern auch der Reichskanzler müsse sie bei den Verbündeten Regierungen und vor allem beim Kaiser durchsetzen, oder er müsse von seinem Amt zurücktreten. Nur mit diesen „ausreichenden" Minimalzöllen könne er sein persönlich gegebnes Wort einlösen; erkenne er das nicht an, so werde er eben wortbrüchig und ein toter Mann. Davon, daß die Zusage der preu¬ ßischen Stnatsregiernng, in der allein — leider — von „ausreichenden" Zöllen gesprochen wird, noch zur Zeit der Vollkraft des Systems Miquel und des Hochdrucks der Kanalvorlagc herausgepreßt worden ist, und daß dann doch, trotz der Zusage, die Agrarier den Kanalbau mit Hohn zu Fall gebracht haben, davon sagen die Herren den deutschen Landwirten natürlich kein Wort. Wie wenig mit dem Begriff des „ausreichenden" Getreidczolls praktisch und wissenschaftlich anzufangen ist, kann den Lesern der Grenzboten nach den wiederholten eingehenden Besprechungen, die die Gctreidezollfrage hier erhalten hat, nicht zweifelhaft sein. Wir verweisen deswegen vorläufig auf das früher Gesagte, worin wir in der Hauptsache mit Professor Conrad einverstanden waren und es noch sind. Weder die statistischen Rechenkünste Dr. Dades, noch die neuste Schrift Adolph Wagners,") noch die agrarische Beredsamkeit auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in München haben es auch nur versucht, geschweige denn fertig gebracht, die Bedenken, die Conrad gegen eine weitere Erhöhung gerade der Getreidezölle geltend macht, zu widerlegen, und zwar vor allem auch die Bedenken im Interesse der deutschen Landwirt¬ schaft selbst. Die deutsche Landwirtschaft wird durch die voraussichtliche Steigerung der Grundpreise und der Verschuldung bei einer starken Zoll¬ erhöhung wahrscheinlich nicht finanziell gekräftigt, sondern sogar geschwächt werden. Den finanziellen Gewinn werden nur die gegenwärtigen Besitzer und bon ihnen anch nur die kleine Minderheit, die Inhaber größerer Betriebe, Agrar- und Industriestaat. Jena, Gustav Fischer. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/17>, abgerufen am 28.07.2024.