Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Litteratur Wenn du auf den elektrischen Knopf drückst, und ein Geldtüte erfolgt; wenn du am Am jüngsten Tage giebt man Rechenschaft von jedem unnützen Wort. Gehört Litteratur Grundriß zum Studium der politischen Ökonomie von Professor Jo. I. Conrad, Der Verfasser unterscheidet im Vorwort zwischen Grundriß und Handbuch; in Litteratur Wenn du auf den elektrischen Knopf drückst, und ein Geldtüte erfolgt; wenn du am Am jüngsten Tage giebt man Rechenschaft von jedem unnützen Wort. Gehört Litteratur Grundriß zum Studium der politischen Ökonomie von Professor Jo. I. Conrad, Der Verfasser unterscheidet im Vorwort zwischen Grundriß und Handbuch; in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235989"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_638" prev="#ID_637"> Wenn du auf den elektrischen Knopf drückst, und ein Geldtüte erfolgt; wenn du am<lb/> elektrischen Schalter drehst, und es Licht wird, so ist das ein Wunder von Wirkung,<lb/> aber immer nur entspricht hier einer Bewegung eine Erscheinung. Deinen Freund<lb/> oder Scheinfreund — zufolge stiller Übereinkunft nämlich ists dein Feind — nimmst<lb/> du heran, drückst ihm aus den .Knopf und verlangst die Leistungen des Phono¬<lb/> graphen, ha! des Psychophouen, nämlich Generalbeichte seines Erlebens, Thuns<lb/> und Leidens in der Kürze und Rhythmik der elektrischen Klingel! Ist das Vor¬<lb/> ahnung neuer Erfindungen? oder gedankenlose Anmaßung? oder grausame Tortur?<lb/> Wahrlich! Tortur ists, berechnete Tortur, ausgedacht von der Neuzeit und ge¬<lb/> kleidet in die Form der allgemeinen Höflichkeit, deren wir uns ja mehr und mehr<lb/> rühmen. Die Kultur, die Verfeinerung der Sitten erklärt alles. Wir spucken nicht<lb/> mehr voreinander aus, ballen nicht die Faust, weisen nicht die Zähne, wir werden<lb/> nicht einmal rot vor Zorn, wenn wir unsern Feind sehen; wir fragen: „Wie<lb/> gehts?" — sehen kalt lächelnd, wie der andre sich krümmt zwischen der Pflicht der<lb/> Artigkeit, etwas vernünftiges zu antworten, und der Gewißheit, daß wir einstweilen<lb/> von ihm denken: Hol dich der Teufel!</p><lb/> <p xml:id="ID_639"> Am jüngsten Tage giebt man Rechenschaft von jedem unnützen Wort. Gehört<lb/> dazu nicht auch die Frage: Wie gehts? Mit Nichten. Sie hat ihren Sinn und<lb/> Nutzen, gewinnt dem Feind den Vorteil ab oder macht dem Freund das Leben<lb/> sauer. Unnütze Worte wird dereinst nur der zu verantworten haben, der auf die<lb/><note type="byline"> p, F,</note> Frage „Wie gehts"? jemals etwas erwidert hat. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <p xml:id="ID_640"> Grundriß zum Studium der politischen Ökonomie von Professor Jo. I. Conrad,<lb/> Halle a. S. Erster Teil: Nationalökonomie. Dritte, wesentlich erweiterte Auslage. Jena,<lb/> Gustav Fischer, l900</p><lb/> <p xml:id="ID_641" next="#ID_642"> Der Verfasser unterscheidet im Vorwort zwischen Grundriß und Handbuch; in<lb/> einem Handbuch müsse das ganze Material niedergelegt, darum mich die Litteratur<lb/> vollständig angegeben sein; in einem Grundriß wirke es nnr verwirrend auf den<lb/> Leser, wenn ihm eine zu große Auswahl von Schriften vorgelegt wird, weil er<lb/> selbst die richtige Wahl nicht zu treffen vermag. Das ist sehr richtig, die Be¬<lb/> schränkung der jedem Kapitel vorangeschickten Litteratnrnachweise auf die aller-<lb/> wichtigsten Werke ist ein wirklicher Vorzug des Buchs, das wir weiter nicht zu<lb/> empfehlen brauchen, weil seine materiellen und formellen Vorzüge längst anerkannt<lb/> sind. Grcnzbotenleser, die das Buch benutzen, werden finden, daß wir in vielen<lb/> brennenden Fragen mit Conrad übereinstimmen, so z. B. in der Ansicht über Wert<lb/> und Preis. Auch Conrad gelangt zu dem Ergebnis, daß sich der sehr verwickelte<lb/> Vorgang der Preisbildung nicht in eine einzige kurze Formel bringen laßt, daß<lb/> bei unentbehrliche» Gütern des Massenverbrauchs die auf ihre Herstellung verwandte<lb/> Arbeit den Ausschlag giebt, und daß Tauschwert »ut Preis zusammenfallen. Wie<lb/> wir, mahnt auch er zur Vorsicht bei der Anwendung des Wortes Volksvermögen<lb/> »ut macht auf die Fehler aufmerksam, die bei der Schätzung dieses Vermögens<lb/> gewöhnlich begangen werden. In dem Kapitel, das die Abhängigkeit des Volls-<lb/> wvhlstands von der physischen, intellektuellen und moralischen Leistungsfähigkeit der<lb/> verschiednen Völker darstellt, findet man eine sehr gute Charakteristik der haupt¬<lb/> sächlichsten Nationen. Es heißt da unter anderen: „Der Slawe und der Romane<lb/> hat, was er weiß, in jedem Momente präsent und weiß es in gefälliger Form zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0167]
Litteratur
Wenn du auf den elektrischen Knopf drückst, und ein Geldtüte erfolgt; wenn du am
elektrischen Schalter drehst, und es Licht wird, so ist das ein Wunder von Wirkung,
aber immer nur entspricht hier einer Bewegung eine Erscheinung. Deinen Freund
oder Scheinfreund — zufolge stiller Übereinkunft nämlich ists dein Feind — nimmst
du heran, drückst ihm aus den .Knopf und verlangst die Leistungen des Phono¬
graphen, ha! des Psychophouen, nämlich Generalbeichte seines Erlebens, Thuns
und Leidens in der Kürze und Rhythmik der elektrischen Klingel! Ist das Vor¬
ahnung neuer Erfindungen? oder gedankenlose Anmaßung? oder grausame Tortur?
Wahrlich! Tortur ists, berechnete Tortur, ausgedacht von der Neuzeit und ge¬
kleidet in die Form der allgemeinen Höflichkeit, deren wir uns ja mehr und mehr
rühmen. Die Kultur, die Verfeinerung der Sitten erklärt alles. Wir spucken nicht
mehr voreinander aus, ballen nicht die Faust, weisen nicht die Zähne, wir werden
nicht einmal rot vor Zorn, wenn wir unsern Feind sehen; wir fragen: „Wie
gehts?" — sehen kalt lächelnd, wie der andre sich krümmt zwischen der Pflicht der
Artigkeit, etwas vernünftiges zu antworten, und der Gewißheit, daß wir einstweilen
von ihm denken: Hol dich der Teufel!
Am jüngsten Tage giebt man Rechenschaft von jedem unnützen Wort. Gehört
dazu nicht auch die Frage: Wie gehts? Mit Nichten. Sie hat ihren Sinn und
Nutzen, gewinnt dem Feind den Vorteil ab oder macht dem Freund das Leben
sauer. Unnütze Worte wird dereinst nur der zu verantworten haben, der auf die
p, F, Frage „Wie gehts"? jemals etwas erwidert hat.
Litteratur
Grundriß zum Studium der politischen Ökonomie von Professor Jo. I. Conrad,
Halle a. S. Erster Teil: Nationalökonomie. Dritte, wesentlich erweiterte Auslage. Jena,
Gustav Fischer, l900
Der Verfasser unterscheidet im Vorwort zwischen Grundriß und Handbuch; in
einem Handbuch müsse das ganze Material niedergelegt, darum mich die Litteratur
vollständig angegeben sein; in einem Grundriß wirke es nnr verwirrend auf den
Leser, wenn ihm eine zu große Auswahl von Schriften vorgelegt wird, weil er
selbst die richtige Wahl nicht zu treffen vermag. Das ist sehr richtig, die Be¬
schränkung der jedem Kapitel vorangeschickten Litteratnrnachweise auf die aller-
wichtigsten Werke ist ein wirklicher Vorzug des Buchs, das wir weiter nicht zu
empfehlen brauchen, weil seine materiellen und formellen Vorzüge längst anerkannt
sind. Grcnzbotenleser, die das Buch benutzen, werden finden, daß wir in vielen
brennenden Fragen mit Conrad übereinstimmen, so z. B. in der Ansicht über Wert
und Preis. Auch Conrad gelangt zu dem Ergebnis, daß sich der sehr verwickelte
Vorgang der Preisbildung nicht in eine einzige kurze Formel bringen laßt, daß
bei unentbehrliche» Gütern des Massenverbrauchs die auf ihre Herstellung verwandte
Arbeit den Ausschlag giebt, und daß Tauschwert »ut Preis zusammenfallen. Wie
wir, mahnt auch er zur Vorsicht bei der Anwendung des Wortes Volksvermögen
»ut macht auf die Fehler aufmerksam, die bei der Schätzung dieses Vermögens
gewöhnlich begangen werden. In dem Kapitel, das die Abhängigkeit des Volls-
wvhlstands von der physischen, intellektuellen und moralischen Leistungsfähigkeit der
verschiednen Völker darstellt, findet man eine sehr gute Charakteristik der haupt¬
sächlichsten Nationen. Es heißt da unter anderen: „Der Slawe und der Romane
hat, was er weiß, in jedem Momente präsent und weiß es in gefälliger Form zu
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