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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se, Michel und der Michaelskultns

und Jetzt der normannische" Küche ist, was sie bieten. Da giebt es außer
den substantieller" Schinken oder Koteletts und Hühnern mit Gemüse und Snlat
als Nebenspeisen "die Früchte der Bucht," schmackhafte kleine Krabben, anstatt
der sonst in der Normandie üblichen gekochten Miesmuscheln die hier eoczsus
ass A'r"pes benannte Herzmuschel og.reunir Sauls, die einst in das Wappenschild
des Abtes Robert Jollivet aufgenommen wurde, und die eoaMlö Le.-^aues,
deren Schalen von den Pilgern gern als Erinnerungszeichen mitgenommen
wurden, Austern von den Bänken von Champeaux und Dragey fehlen in der
Saison nicht. Von den Fischen, die das leicht erwärmte Wasser der flache"
Bai mit Vorliebe als Laichplatz aufsuchen, erschien als der edelste der Lachs,
von dem man behauptet, er sei in frühern Jahren so hünfig gewesen, daß die
Dienstboten an der normannischen Küste bei dem Vermieter ihren Herren die
Bedingung stellten, nicht mehr als dreimal in der Woche Lachs essen zu
müssen. Dazu das normannisch-bretonische Nationalgetränk, köstlich kühlender
Cider und zum Schluß Eierkuchen, die Spezialität der Frau Poulard. Zur
Begleichung der mäßigen Rechnung verwies sie auf die Rückkehr "von oben."
Also auf zur Abtei !

Zum Aufstieg wählt mau entweder wie einst die Pilger die von kleinen
Läden eingefaßte Straße und die hohe Treppe iss inontönx, die sich um den
Berg herumwinden, oder den breiten Gang ans der Mauerkrone, zu dem man
durch eine Treppe gelangt. Köstliche Ausblicke eröffnen sich von den Wälle"
und schließlich vo" der Bastion vor dem Thore der Abtei hinab ans die
meilenweite" gleißenden Sandbänke, die zur Zeit der Ankunft noch vom
schimmernden Meer bedeckt waren. Und welches Leben da unten! Da ziehn
Muschelsuchcr aus, mit Korb, Spaten und breiten löffelartigen Gabeln be¬
waffnet, und stvcheru im Boden herum, wo eine kleine Wasserblase den Auf¬
enthalt einer Muschel anzeigt. Weiter entfernt vom Ufer graben Bauern aus
den nahen Ortschaften la tu-ngue, den feine" kalkige" Sand der Bucht, um
ihn als geschätzten Dünger ans ihre Felder zu bringen. Zweirädrige Karren
mit zwei voreinander gespannten strohhutbedeckten Pferden führen Laudeseiu-
geborue zur gegenüberliegenden Küste. Reisende lassen sich zu der in der
Ebbezeit gleichfalls landfest werdenden Granitinsel Tombelaine bringen, um
von der Seeseite den so verschiednen Anblick von Se. Michel zu genieße".
Und unter am Damm, stehn Esel und Maultierwagen, Droschken, Omnibusse,
Zweiräder und Automobile.

Wie ein fast unberührter Rest des Mittelalters, allein kleinlichen irdischen
Treiben entrückt, ragt auf der andern Seite still und selbstbewußt die Abtei
empor. Sie besteht aus einem Komplex der verschiedensten Bauteil, aus den
verschiedensten Zeiten und zu den verschiedensten Zwecken. Das Baumaterial,
grauer, dem Felsen ähnlicher Granit, läßt die Bauten wie cmporgcwachsene
Felsgebilde erscheinen. Nur für die wichtigern Bauteile wurde außerdem Rosa-
grauit von der Insel Jersey, verwandt.

Alle Gebunde des untersten Geschosses sind ziemlich schmal, da sie sich


Grenzlioten IV 1901 ^'
Mont Se, Michel und der Michaelskultns

und Jetzt der normannische» Küche ist, was sie bieten. Da giebt es außer
den substantieller» Schinken oder Koteletts und Hühnern mit Gemüse und Snlat
als Nebenspeisen „die Früchte der Bucht," schmackhafte kleine Krabben, anstatt
der sonst in der Normandie üblichen gekochten Miesmuscheln die hier eoczsus
ass A'r«pes benannte Herzmuschel og.reunir Sauls, die einst in das Wappenschild
des Abtes Robert Jollivet aufgenommen wurde, und die eoaMlö Le.-^aues,
deren Schalen von den Pilgern gern als Erinnerungszeichen mitgenommen
wurden, Austern von den Bänken von Champeaux und Dragey fehlen in der
Saison nicht. Von den Fischen, die das leicht erwärmte Wasser der flache«
Bai mit Vorliebe als Laichplatz aufsuchen, erschien als der edelste der Lachs,
von dem man behauptet, er sei in frühern Jahren so hünfig gewesen, daß die
Dienstboten an der normannischen Küste bei dem Vermieter ihren Herren die
Bedingung stellten, nicht mehr als dreimal in der Woche Lachs essen zu
müssen. Dazu das normannisch-bretonische Nationalgetränk, köstlich kühlender
Cider und zum Schluß Eierkuchen, die Spezialität der Frau Poulard. Zur
Begleichung der mäßigen Rechnung verwies sie auf die Rückkehr „von oben."
Also auf zur Abtei !

Zum Aufstieg wählt mau entweder wie einst die Pilger die von kleinen
Läden eingefaßte Straße und die hohe Treppe iss inontönx, die sich um den
Berg herumwinden, oder den breiten Gang ans der Mauerkrone, zu dem man
durch eine Treppe gelangt. Köstliche Ausblicke eröffnen sich von den Wälle»
und schließlich vo» der Bastion vor dem Thore der Abtei hinab ans die
meilenweite» gleißenden Sandbänke, die zur Zeit der Ankunft noch vom
schimmernden Meer bedeckt waren. Und welches Leben da unten! Da ziehn
Muschelsuchcr aus, mit Korb, Spaten und breiten löffelartigen Gabeln be¬
waffnet, und stvcheru im Boden herum, wo eine kleine Wasserblase den Auf¬
enthalt einer Muschel anzeigt. Weiter entfernt vom Ufer graben Bauern aus
den nahen Ortschaften la tu-ngue, den feine» kalkige» Sand der Bucht, um
ihn als geschätzten Dünger ans ihre Felder zu bringen. Zweirädrige Karren
mit zwei voreinander gespannten strohhutbedeckten Pferden führen Laudeseiu-
geborue zur gegenüberliegenden Küste. Reisende lassen sich zu der in der
Ebbezeit gleichfalls landfest werdenden Granitinsel Tombelaine bringen, um
von der Seeseite den so verschiednen Anblick von Se. Michel zu genieße».
Und unter am Damm, stehn Esel und Maultierwagen, Droschken, Omnibusse,
Zweiräder und Automobile.

Wie ein fast unberührter Rest des Mittelalters, allein kleinlichen irdischen
Treiben entrückt, ragt auf der andern Seite still und selbstbewußt die Abtei
empor. Sie besteht aus einem Komplex der verschiedensten Bauteil, aus den
verschiedensten Zeiten und zu den verschiedensten Zwecken. Das Baumaterial,
grauer, dem Felsen ähnlicher Granit, läßt die Bauten wie cmporgcwachsene
Felsgebilde erscheinen. Nur für die wichtigern Bauteile wurde außerdem Rosa-
grauit von der Insel Jersey, verwandt.

Alle Gebunde des untersten Geschosses sind ziemlich schmal, da sie sich


Grenzlioten IV 1901 ^'
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[0153] Mont Se, Michel und der Michaelskultns und Jetzt der normannische» Küche ist, was sie bieten. Da giebt es außer den substantieller» Schinken oder Koteletts und Hühnern mit Gemüse und Snlat als Nebenspeisen „die Früchte der Bucht," schmackhafte kleine Krabben, anstatt der sonst in der Normandie üblichen gekochten Miesmuscheln die hier eoczsus ass A'r«pes benannte Herzmuschel og.reunir Sauls, die einst in das Wappenschild des Abtes Robert Jollivet aufgenommen wurde, und die eoaMlö Le.-^aues, deren Schalen von den Pilgern gern als Erinnerungszeichen mitgenommen wurden, Austern von den Bänken von Champeaux und Dragey fehlen in der Saison nicht. Von den Fischen, die das leicht erwärmte Wasser der flache« Bai mit Vorliebe als Laichplatz aufsuchen, erschien als der edelste der Lachs, von dem man behauptet, er sei in frühern Jahren so hünfig gewesen, daß die Dienstboten an der normannischen Küste bei dem Vermieter ihren Herren die Bedingung stellten, nicht mehr als dreimal in der Woche Lachs essen zu müssen. Dazu das normannisch-bretonische Nationalgetränk, köstlich kühlender Cider und zum Schluß Eierkuchen, die Spezialität der Frau Poulard. Zur Begleichung der mäßigen Rechnung verwies sie auf die Rückkehr „von oben." Also auf zur Abtei ! Zum Aufstieg wählt mau entweder wie einst die Pilger die von kleinen Läden eingefaßte Straße und die hohe Treppe iss inontönx, die sich um den Berg herumwinden, oder den breiten Gang ans der Mauerkrone, zu dem man durch eine Treppe gelangt. Köstliche Ausblicke eröffnen sich von den Wälle» und schließlich vo» der Bastion vor dem Thore der Abtei hinab ans die meilenweite» gleißenden Sandbänke, die zur Zeit der Ankunft noch vom schimmernden Meer bedeckt waren. Und welches Leben da unten! Da ziehn Muschelsuchcr aus, mit Korb, Spaten und breiten löffelartigen Gabeln be¬ waffnet, und stvcheru im Boden herum, wo eine kleine Wasserblase den Auf¬ enthalt einer Muschel anzeigt. Weiter entfernt vom Ufer graben Bauern aus den nahen Ortschaften la tu-ngue, den feine» kalkige» Sand der Bucht, um ihn als geschätzten Dünger ans ihre Felder zu bringen. Zweirädrige Karren mit zwei voreinander gespannten strohhutbedeckten Pferden führen Laudeseiu- geborue zur gegenüberliegenden Küste. Reisende lassen sich zu der in der Ebbezeit gleichfalls landfest werdenden Granitinsel Tombelaine bringen, um von der Seeseite den so verschiednen Anblick von Se. Michel zu genieße». Und unter am Damm, stehn Esel und Maultierwagen, Droschken, Omnibusse, Zweiräder und Automobile. Wie ein fast unberührter Rest des Mittelalters, allein kleinlichen irdischen Treiben entrückt, ragt auf der andern Seite still und selbstbewußt die Abtei empor. Sie besteht aus einem Komplex der verschiedensten Bauteil, aus den verschiedensten Zeiten und zu den verschiedensten Zwecken. Das Baumaterial, grauer, dem Felsen ähnlicher Granit, läßt die Bauten wie cmporgcwachsene Felsgebilde erscheinen. Nur für die wichtigern Bauteile wurde außerdem Rosa- grauit von der Insel Jersey, verwandt. Alle Gebunde des untersten Geschosses sind ziemlich schmal, da sie sich Grenzlioten IV 1901 ^'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/153>, abgerufen am 01.09.2024.