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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. Michel und der Michcielskultns

Lutung XIV. benutzte Mont Se. Michel außerdem als Besserungsanstalt
für junge Edellellte, deren Leben ihm oder ihren Familien Anstoß gab. Nach
Michelet hat im folgenden Jahrhundert der Vater Mirabeaus, der schon seinen
Sohn in die Bastille gebracht hatte, auch seine Frau, mit der er in völligem
Zerwürfnis lebte, aufheben und in "das grausame Haus von Samt Michel"
setzen lassen. Und sie würde dort für immer unbekannt geblieben sein, wenn
ihre Tochter nicht unerschrocken bei dem Parlament Anzeige erstattet hätte.
Verschiedne Einkerkerungen auf Grund von IsUres <in un-vbel, zuletzt noch am
10. März 1787 die eines Marinezahlmcisters Baudnrt, die aber noch in dem¬
selben Jahre auf Vorstellungen des Parlaments rückgängig gemacht wurde,
ließen deu Mont Se. Michel in den Augen des Volkes nicht mehr als heiligen
Verg, sondern als Zwingburg, als Bastille des Nordens erscheinen. Ans die
Kunde von dem Bastillensturm am 14. Juli 1789 öffnete der Prior selbst den
Gefangnen die Thüren, darunter etwa zwanzig Mönchen.

Bald mußten die Mönche -- seit 1622 waren es Benediktiner von
Se. Maur -- von dem Berge weichen. Am 12. Oktober 1790 bemächtigte sich
der Prokurator von Avranches des reichen Schatzes. Die Gold- und Silber¬
geräte wurden eingeschmolzen, die übrigen Schmucksachen zum größten Teil
verschleudert. Der Berg wurde in Mont Michel, dann in Mont Libre um-
getauft. Seine Bestimmung blieb aber dieselbe. Nach der Niederwerfung
der Parteigänger des Königtums in der Vendee und der Normandie wurden
zahlreiche Priester als Gefangne eingebracht, und eine starke Wache auf den
Berg gelegt.

Vom 21. April 1796 an kamen nicht nur politische Gefangne, sondern
anch Verbrecher gegen das gemeine Recht in beträchtlicher Anzahl auf den
Berg. Nach verschiednen Änderungen während des Kaiserreichs wurde er
schließlich durch Dekret vom 2. April 1817 nußer für Staatsgefangne zum
Zuchthaus für beide Geschlechter eingerichtet. Die dadurch nötigen Umände¬
rungen schädigten und verstümmelten die edle Architektur des Baus. Mit der
dem Anfang des vorigen Jahrhunderts eignen Rücksichtslosigkeit gegen die
Bauwerke des Mittelalters ging man vor. Wieder liegt der Vergleich mit
der Marienburg ucchc. Werkstätten wurden geschaffen, in Säulen und Wände
Löcher geschlagen, um Verschlüge zu befestigen, die schönsten Teile des Ge¬
bäudes getrennt. In den Rittersaal kamen die Männer, in das Refektorium
die Frauen, die Abteikirche wurde zur Baumwollweberei umgewandelt, die
Sakristei zur Küche.

In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1834 bedrohte eine gewaltige
Feuersbrunst den Bau mit Vernichtung. Unter eifriger Beihilfe der Gefangnen
gelang es jedoch, die Abtei zu retten.

Unter den politischen Gefangnen glänzen besonders die Namen der Revo¬
lutionäre Bcirbes und Blnnqni. Die politischen Gefangnen scheinen härter
behandelt worden zu sein als die andern. Denn während sich "die Roten"
1848 über ihren Direktor M. Regley wegen barbarischer Behandlung be-


Mont Se. Michel und der Michcielskultns

Lutung XIV. benutzte Mont Se. Michel außerdem als Besserungsanstalt
für junge Edellellte, deren Leben ihm oder ihren Familien Anstoß gab. Nach
Michelet hat im folgenden Jahrhundert der Vater Mirabeaus, der schon seinen
Sohn in die Bastille gebracht hatte, auch seine Frau, mit der er in völligem
Zerwürfnis lebte, aufheben und in „das grausame Haus von Samt Michel"
setzen lassen. Und sie würde dort für immer unbekannt geblieben sein, wenn
ihre Tochter nicht unerschrocken bei dem Parlament Anzeige erstattet hätte.
Verschiedne Einkerkerungen auf Grund von IsUres <in un-vbel, zuletzt noch am
10. März 1787 die eines Marinezahlmcisters Baudnrt, die aber noch in dem¬
selben Jahre auf Vorstellungen des Parlaments rückgängig gemacht wurde,
ließen deu Mont Se. Michel in den Augen des Volkes nicht mehr als heiligen
Verg, sondern als Zwingburg, als Bastille des Nordens erscheinen. Ans die
Kunde von dem Bastillensturm am 14. Juli 1789 öffnete der Prior selbst den
Gefangnen die Thüren, darunter etwa zwanzig Mönchen.

Bald mußten die Mönche — seit 1622 waren es Benediktiner von
Se. Maur — von dem Berge weichen. Am 12. Oktober 1790 bemächtigte sich
der Prokurator von Avranches des reichen Schatzes. Die Gold- und Silber¬
geräte wurden eingeschmolzen, die übrigen Schmucksachen zum größten Teil
verschleudert. Der Berg wurde in Mont Michel, dann in Mont Libre um-
getauft. Seine Bestimmung blieb aber dieselbe. Nach der Niederwerfung
der Parteigänger des Königtums in der Vendee und der Normandie wurden
zahlreiche Priester als Gefangne eingebracht, und eine starke Wache auf den
Berg gelegt.

Vom 21. April 1796 an kamen nicht nur politische Gefangne, sondern
anch Verbrecher gegen das gemeine Recht in beträchtlicher Anzahl auf den
Berg. Nach verschiednen Änderungen während des Kaiserreichs wurde er
schließlich durch Dekret vom 2. April 1817 nußer für Staatsgefangne zum
Zuchthaus für beide Geschlechter eingerichtet. Die dadurch nötigen Umände¬
rungen schädigten und verstümmelten die edle Architektur des Baus. Mit der
dem Anfang des vorigen Jahrhunderts eignen Rücksichtslosigkeit gegen die
Bauwerke des Mittelalters ging man vor. Wieder liegt der Vergleich mit
der Marienburg ucchc. Werkstätten wurden geschaffen, in Säulen und Wände
Löcher geschlagen, um Verschlüge zu befestigen, die schönsten Teile des Ge¬
bäudes getrennt. In den Rittersaal kamen die Männer, in das Refektorium
die Frauen, die Abteikirche wurde zur Baumwollweberei umgewandelt, die
Sakristei zur Küche.

In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1834 bedrohte eine gewaltige
Feuersbrunst den Bau mit Vernichtung. Unter eifriger Beihilfe der Gefangnen
gelang es jedoch, die Abtei zu retten.

Unter den politischen Gefangnen glänzen besonders die Namen der Revo¬
lutionäre Bcirbes und Blnnqni. Die politischen Gefangnen scheinen härter
behandelt worden zu sein als die andern. Denn während sich „die Roten"
1848 über ihren Direktor M. Regley wegen barbarischer Behandlung be-


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[0150] Mont Se. Michel und der Michcielskultns Lutung XIV. benutzte Mont Se. Michel außerdem als Besserungsanstalt für junge Edellellte, deren Leben ihm oder ihren Familien Anstoß gab. Nach Michelet hat im folgenden Jahrhundert der Vater Mirabeaus, der schon seinen Sohn in die Bastille gebracht hatte, auch seine Frau, mit der er in völligem Zerwürfnis lebte, aufheben und in „das grausame Haus von Samt Michel" setzen lassen. Und sie würde dort für immer unbekannt geblieben sein, wenn ihre Tochter nicht unerschrocken bei dem Parlament Anzeige erstattet hätte. Verschiedne Einkerkerungen auf Grund von IsUres <in un-vbel, zuletzt noch am 10. März 1787 die eines Marinezahlmcisters Baudnrt, die aber noch in dem¬ selben Jahre auf Vorstellungen des Parlaments rückgängig gemacht wurde, ließen deu Mont Se. Michel in den Augen des Volkes nicht mehr als heiligen Verg, sondern als Zwingburg, als Bastille des Nordens erscheinen. Ans die Kunde von dem Bastillensturm am 14. Juli 1789 öffnete der Prior selbst den Gefangnen die Thüren, darunter etwa zwanzig Mönchen. Bald mußten die Mönche — seit 1622 waren es Benediktiner von Se. Maur — von dem Berge weichen. Am 12. Oktober 1790 bemächtigte sich der Prokurator von Avranches des reichen Schatzes. Die Gold- und Silber¬ geräte wurden eingeschmolzen, die übrigen Schmucksachen zum größten Teil verschleudert. Der Berg wurde in Mont Michel, dann in Mont Libre um- getauft. Seine Bestimmung blieb aber dieselbe. Nach der Niederwerfung der Parteigänger des Königtums in der Vendee und der Normandie wurden zahlreiche Priester als Gefangne eingebracht, und eine starke Wache auf den Berg gelegt. Vom 21. April 1796 an kamen nicht nur politische Gefangne, sondern anch Verbrecher gegen das gemeine Recht in beträchtlicher Anzahl auf den Berg. Nach verschiednen Änderungen während des Kaiserreichs wurde er schließlich durch Dekret vom 2. April 1817 nußer für Staatsgefangne zum Zuchthaus für beide Geschlechter eingerichtet. Die dadurch nötigen Umände¬ rungen schädigten und verstümmelten die edle Architektur des Baus. Mit der dem Anfang des vorigen Jahrhunderts eignen Rücksichtslosigkeit gegen die Bauwerke des Mittelalters ging man vor. Wieder liegt der Vergleich mit der Marienburg ucchc. Werkstätten wurden geschaffen, in Säulen und Wände Löcher geschlagen, um Verschlüge zu befestigen, die schönsten Teile des Ge¬ bäudes getrennt. In den Rittersaal kamen die Männer, in das Refektorium die Frauen, die Abteikirche wurde zur Baumwollweberei umgewandelt, die Sakristei zur Küche. In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1834 bedrohte eine gewaltige Feuersbrunst den Bau mit Vernichtung. Unter eifriger Beihilfe der Gefangnen gelang es jedoch, die Abtei zu retten. Unter den politischen Gefangnen glänzen besonders die Namen der Revo¬ lutionäre Bcirbes und Blnnqni. Die politischen Gefangnen scheinen härter behandelt worden zu sein als die andern. Denn während sich „die Roten" 1848 über ihren Direktor M. Regley wegen barbarischer Behandlung be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/150>, abgerufen am 01.09.2024.