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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Bollingers zweite Lebenshälfte

bauliche beschränkte, verpönen und die Theologie mit der Dogmatik identi¬
fizieren. Die guten Köpfe des Ordens warfen sich von da ub auf Mathe¬
matik und Naturwissenschaften, besonders Astronomie, worin sie bekanntlich
Bedeutendes geleistet daheim Der Unterschied zwischen ihnen und den katho¬
lischen Gelehrten des Döllingerscheu Kreises besteht nun darin, daß sie bei¬
zeiten Unrat merkten und die Binde fester um die Angen schnürten, während
die deutschen Theologen noch eine geraume Zeit getrost weiter forschten in der
Überzeugung, die historische Forschung könne nichts andres als mit dem
Kirchenglauben übereinstimmendes und müsse vor allem die glänzendste Recht¬
fertigung des Papsttums ergeben. Als sie dann ihren Irrtum mit schmerz¬
lichem Erstaunen erkannten, waren sie schon zu sehr Historiker geworden, als
daß es ihnen möglich gewesen wäre, ihre ans historischem Wege gewonnene
wissenschaftliche Überzeugung in ihrem dogmatischen Glauben zu ersäufen.
Alles, was diese klare wissenschaftliche Überzeugung nicht hatte und die Kirche
über alles schätzte, flüchtete aus der historischen in die dogmatische Strömung.
In dieser aber fiel den Jesuiten die Führung zu, weil sie eine organisierte,
auch in der Wissenschaft nach festen Plänen und Methoden arbeitende Gesell¬
schaft, die übrigem katholischen Theologen aber unorganisiert, uneinig und
vielfach schwankend waren, und infolge ihrer Stellung in Rom. Diese ergab
sich daraus, daß sie dem Papste, der sie, wie Nur vou Friedrich erfahren, eigent¬
lich nicht leiden konnte, unentbehrlich waren, weil sie die Welt und die Wissen¬
schaften kannten, während die italienischen Geistlichen, die dem Orden nicht
angehörten, so unwissend waren wie Pius selbst. Die führende Rolle in dem
Feldzuge, den man unternahm, um die katholische Kirche vor der Gefahr der
Auflösung durch die historische Kritik zu retten, der die protestantischen Kirchen
schon unterlegen zu sein schienen, ergab sich also ans der geschichtlichen Ent¬
wicklung auf die natürlichste Weise, und es bedarf zu ihrer Erklärung nicht
der Annahme einer heimlichen Verschwörung gegen den Döllingerscheu Kreis
oder gegen Deutschland. Ich glaube an diese Verschwörung so wenig, wie
ich, wenn ich vor 1350 schon ein reifer Mann gewesen wäre, an die Ver¬
schwörung und die geheimen Konventikel der Freunde Döllingers geglaubt
haben würde, deren Aufdeckung die freiwillige Polizei der Protestanten so ver¬
geblich wie eifrig betriebe" hat.

Zum Schluß sei denen, die sich für die kirchlichen Bewegungen im katho¬
lischen Teile des deutschen Volkes interessieren, eine zweite kleinere Biographie
empfohlen: Franz Heinrich Reusch, 1825 bis 1900. Eine Darstellung
seiner Lebensarbeit von Dr. Leopold Karl Götz, Professor am altkntholisch-
thevlogischen Seminar in Bonn. Mit Porträt. lGotha, Friedrich Andreas
Perthes, 1901.) Ein bescheidner Gelehrter von reinem Gemüt, fleckenlosen
Wandel und tiefer Frömmigkeit, dabei keine Kampfnatnr wie Döllinger, sondern
sich allein in friedfertiger stiller Arbeit wohlfühlcnd, hat der Bonner Professor
Reusch den Bruch mit der Kirche tiefer und schmerzlicher empfunden als sein
älterer Freund. Er äußerte im entscheidenden Augenblicke: "Das Los, das


Grenzboten IV 1901 ^
Bollingers zweite Lebenshälfte

bauliche beschränkte, verpönen und die Theologie mit der Dogmatik identi¬
fizieren. Die guten Köpfe des Ordens warfen sich von da ub auf Mathe¬
matik und Naturwissenschaften, besonders Astronomie, worin sie bekanntlich
Bedeutendes geleistet daheim Der Unterschied zwischen ihnen und den katho¬
lischen Gelehrten des Döllingerscheu Kreises besteht nun darin, daß sie bei¬
zeiten Unrat merkten und die Binde fester um die Angen schnürten, während
die deutschen Theologen noch eine geraume Zeit getrost weiter forschten in der
Überzeugung, die historische Forschung könne nichts andres als mit dem
Kirchenglauben übereinstimmendes und müsse vor allem die glänzendste Recht¬
fertigung des Papsttums ergeben. Als sie dann ihren Irrtum mit schmerz¬
lichem Erstaunen erkannten, waren sie schon zu sehr Historiker geworden, als
daß es ihnen möglich gewesen wäre, ihre ans historischem Wege gewonnene
wissenschaftliche Überzeugung in ihrem dogmatischen Glauben zu ersäufen.
Alles, was diese klare wissenschaftliche Überzeugung nicht hatte und die Kirche
über alles schätzte, flüchtete aus der historischen in die dogmatische Strömung.
In dieser aber fiel den Jesuiten die Führung zu, weil sie eine organisierte,
auch in der Wissenschaft nach festen Plänen und Methoden arbeitende Gesell¬
schaft, die übrigem katholischen Theologen aber unorganisiert, uneinig und
vielfach schwankend waren, und infolge ihrer Stellung in Rom. Diese ergab
sich daraus, daß sie dem Papste, der sie, wie Nur vou Friedrich erfahren, eigent¬
lich nicht leiden konnte, unentbehrlich waren, weil sie die Welt und die Wissen¬
schaften kannten, während die italienischen Geistlichen, die dem Orden nicht
angehörten, so unwissend waren wie Pius selbst. Die führende Rolle in dem
Feldzuge, den man unternahm, um die katholische Kirche vor der Gefahr der
Auflösung durch die historische Kritik zu retten, der die protestantischen Kirchen
schon unterlegen zu sein schienen, ergab sich also ans der geschichtlichen Ent¬
wicklung auf die natürlichste Weise, und es bedarf zu ihrer Erklärung nicht
der Annahme einer heimlichen Verschwörung gegen den Döllingerscheu Kreis
oder gegen Deutschland. Ich glaube an diese Verschwörung so wenig, wie
ich, wenn ich vor 1350 schon ein reifer Mann gewesen wäre, an die Ver¬
schwörung und die geheimen Konventikel der Freunde Döllingers geglaubt
haben würde, deren Aufdeckung die freiwillige Polizei der Protestanten so ver¬
geblich wie eifrig betriebe« hat.

Zum Schluß sei denen, die sich für die kirchlichen Bewegungen im katho¬
lischen Teile des deutschen Volkes interessieren, eine zweite kleinere Biographie
empfohlen: Franz Heinrich Reusch, 1825 bis 1900. Eine Darstellung
seiner Lebensarbeit von Dr. Leopold Karl Götz, Professor am altkntholisch-
thevlogischen Seminar in Bonn. Mit Porträt. lGotha, Friedrich Andreas
Perthes, 1901.) Ein bescheidner Gelehrter von reinem Gemüt, fleckenlosen
Wandel und tiefer Frömmigkeit, dabei keine Kampfnatnr wie Döllinger, sondern
sich allein in friedfertiger stiller Arbeit wohlfühlcnd, hat der Bonner Professor
Reusch den Bruch mit der Kirche tiefer und schmerzlicher empfunden als sein
älterer Freund. Er äußerte im entscheidenden Augenblicke: „Das Los, das


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[0145] Bollingers zweite Lebenshälfte bauliche beschränkte, verpönen und die Theologie mit der Dogmatik identi¬ fizieren. Die guten Köpfe des Ordens warfen sich von da ub auf Mathe¬ matik und Naturwissenschaften, besonders Astronomie, worin sie bekanntlich Bedeutendes geleistet daheim Der Unterschied zwischen ihnen und den katho¬ lischen Gelehrten des Döllingerscheu Kreises besteht nun darin, daß sie bei¬ zeiten Unrat merkten und die Binde fester um die Angen schnürten, während die deutschen Theologen noch eine geraume Zeit getrost weiter forschten in der Überzeugung, die historische Forschung könne nichts andres als mit dem Kirchenglauben übereinstimmendes und müsse vor allem die glänzendste Recht¬ fertigung des Papsttums ergeben. Als sie dann ihren Irrtum mit schmerz¬ lichem Erstaunen erkannten, waren sie schon zu sehr Historiker geworden, als daß es ihnen möglich gewesen wäre, ihre ans historischem Wege gewonnene wissenschaftliche Überzeugung in ihrem dogmatischen Glauben zu ersäufen. Alles, was diese klare wissenschaftliche Überzeugung nicht hatte und die Kirche über alles schätzte, flüchtete aus der historischen in die dogmatische Strömung. In dieser aber fiel den Jesuiten die Führung zu, weil sie eine organisierte, auch in der Wissenschaft nach festen Plänen und Methoden arbeitende Gesell¬ schaft, die übrigem katholischen Theologen aber unorganisiert, uneinig und vielfach schwankend waren, und infolge ihrer Stellung in Rom. Diese ergab sich daraus, daß sie dem Papste, der sie, wie Nur vou Friedrich erfahren, eigent¬ lich nicht leiden konnte, unentbehrlich waren, weil sie die Welt und die Wissen¬ schaften kannten, während die italienischen Geistlichen, die dem Orden nicht angehörten, so unwissend waren wie Pius selbst. Die führende Rolle in dem Feldzuge, den man unternahm, um die katholische Kirche vor der Gefahr der Auflösung durch die historische Kritik zu retten, der die protestantischen Kirchen schon unterlegen zu sein schienen, ergab sich also ans der geschichtlichen Ent¬ wicklung auf die natürlichste Weise, und es bedarf zu ihrer Erklärung nicht der Annahme einer heimlichen Verschwörung gegen den Döllingerscheu Kreis oder gegen Deutschland. Ich glaube an diese Verschwörung so wenig, wie ich, wenn ich vor 1350 schon ein reifer Mann gewesen wäre, an die Ver¬ schwörung und die geheimen Konventikel der Freunde Döllingers geglaubt haben würde, deren Aufdeckung die freiwillige Polizei der Protestanten so ver¬ geblich wie eifrig betriebe« hat. Zum Schluß sei denen, die sich für die kirchlichen Bewegungen im katho¬ lischen Teile des deutschen Volkes interessieren, eine zweite kleinere Biographie empfohlen: Franz Heinrich Reusch, 1825 bis 1900. Eine Darstellung seiner Lebensarbeit von Dr. Leopold Karl Götz, Professor am altkntholisch- thevlogischen Seminar in Bonn. Mit Porträt. lGotha, Friedrich Andreas Perthes, 1901.) Ein bescheidner Gelehrter von reinem Gemüt, fleckenlosen Wandel und tiefer Frömmigkeit, dabei keine Kampfnatnr wie Döllinger, sondern sich allein in friedfertiger stiller Arbeit wohlfühlcnd, hat der Bonner Professor Reusch den Bruch mit der Kirche tiefer und schmerzlicher empfunden als sein älterer Freund. Er äußerte im entscheidenden Augenblicke: „Das Los, das Grenzboten IV 1901 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/145>, abgerufen am 01.09.2024.