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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Döllingers zweite TebensIMfte

keine Stätte, und so sei es denn kein Wunder, daß er aus verletztem Stolz
der Autorität, unter deren Fahne er gefochten habe, den Krieg erkläre. Friedrich
meint, Döllingers Gleichgültigkeit gegen einen geistig unbedeutenden Menschen
sei um so entschuldbarer, als dieser ein Svnderlmndsführer war, und Döllinger
die Berufung der Jesuiten nach Luzern, eine Hanptursnche des Sonderbund¬
kriegs, für einen großen politischen Fehler erklärt habe. Jedoch ist damit die
Frage nach Döllingers Gemütsart noch nicht erledigt. Von einer vollständigen
Analyse eiues so komplizierten und so großen Menschen kann um so weniger
die Rede sein, da ja schon die einfachste Persönlichkeit, ja schon die Kindes-
seele ein unergründliches Geheimnis bleibt. Aber man kann doch an einem
solchen Menschen viel Interessantes entdecken, wie am Rande eines unzugäng¬
lichen Urwalds. Und da ist denn zu bemerken, daß viele andre denselben Ein¬
druck empfangen haben wie Meder, während wieder andre nicht weniger zahl¬
reiche seine Herzlichkeit, Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft rühmten. Es
ist natürlich, daß ein Mann, den die großen Interessen der Menschheit und
die Wissenschaft ganz ausfüllten, mit Leuten, die nur von kleinen persönlichen
Interessen oder höchstens von einer engen Kirchturmspolitik bewegt werden,
nichts anzufangen wußte und sie schweigend über sich ergehn ließ. Mir ihn
war weder die Bierfrnge, noch die Theatcrfrage, uoch die Dienstboten-, noch die
Gehaltsfrage, noch sonst eine der Fragen vorhanden, die den Hauptgegenstand
des Gesprächs am Biertisch und im Familienzünmer bilden. Wo er Männer
traf, von denen er lernen konnte, oder die von ihm zu lernen begierig waren,
entwickelte er eine bezaubernde Liebenswürdigkeit und war er der lebendigste
Gesellschafter. Staunend saß einmal ein dritter Mann in Rom mit Döllinger
und Theiner zu Tische; Theiner war ein ähnliches Weltwunder von Gelehr¬
samkeit; jeden Faden, den der eine anspann, vermochte der andre weiterzu-
spinnen. Und Sybel erzählt: "Als ich 185"? als Professor der Geschichte in
die Universität München eintrat, war diese von starkem Parteihadcr erfüllt,
unter dein auch der persönliche Verkehr vielfach litt; Döllinger galt als das
Haupt und meine Wenigkeit als der bestgehaßte Gegner der damals sogenannten
ultramontanen Partei. So war ich denn, als ich Döllinger meinen Antritts¬
besuch machte, auf die Art des Empfangs gespannt und fand mich um so an¬
genehmer durch seine entgegenkommende Freundlichkeit überrascht. Ich freue
mich Ihres Hierherkommens, sagte er; ich habe während der Vakanz Ihres
Amtes zuweilen historische Vorlesungen halten müssen, noch neulich über Ihr
jetziges Arbeitsfeld, über die französische Revolution; das war freilich
Dilettantenwerk. Ich konnte ihm darauf nur zurückgeben, daß. aus seinen
Händen ganz sicher niemals Dilettantenwerk komme, und daß für eine der
wichtigsten Seiten der Revolution, ihren Kampf mit der katholischen Kirche,
nicht ich, sondern er der Sachverständige sei. So erfreulich diese erste An-
knüpfung gewesen war, so lag es doch in den Verhältnissen, daß ich ihn nnr
selteii sah. Indessen führten mich ab und zu kleine Geschäftssachen zu ihm,
und sehr bald ergriff ich jede solche Gelegenheit wie die Einladung zu einem


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keine Stätte, und so sei es denn kein Wunder, daß er aus verletztem Stolz
der Autorität, unter deren Fahne er gefochten habe, den Krieg erkläre. Friedrich
meint, Döllingers Gleichgültigkeit gegen einen geistig unbedeutenden Menschen
sei um so entschuldbarer, als dieser ein Svnderlmndsführer war, und Döllinger
die Berufung der Jesuiten nach Luzern, eine Hanptursnche des Sonderbund¬
kriegs, für einen großen politischen Fehler erklärt habe. Jedoch ist damit die
Frage nach Döllingers Gemütsart noch nicht erledigt. Von einer vollständigen
Analyse eiues so komplizierten und so großen Menschen kann um so weniger
die Rede sein, da ja schon die einfachste Persönlichkeit, ja schon die Kindes-
seele ein unergründliches Geheimnis bleibt. Aber man kann doch an einem
solchen Menschen viel Interessantes entdecken, wie am Rande eines unzugäng¬
lichen Urwalds. Und da ist denn zu bemerken, daß viele andre denselben Ein¬
druck empfangen haben wie Meder, während wieder andre nicht weniger zahl¬
reiche seine Herzlichkeit, Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft rühmten. Es
ist natürlich, daß ein Mann, den die großen Interessen der Menschheit und
die Wissenschaft ganz ausfüllten, mit Leuten, die nur von kleinen persönlichen
Interessen oder höchstens von einer engen Kirchturmspolitik bewegt werden,
nichts anzufangen wußte und sie schweigend über sich ergehn ließ. Mir ihn
war weder die Bierfrnge, noch die Theatcrfrage, uoch die Dienstboten-, noch die
Gehaltsfrage, noch sonst eine der Fragen vorhanden, die den Hauptgegenstand
des Gesprächs am Biertisch und im Familienzünmer bilden. Wo er Männer
traf, von denen er lernen konnte, oder die von ihm zu lernen begierig waren,
entwickelte er eine bezaubernde Liebenswürdigkeit und war er der lebendigste
Gesellschafter. Staunend saß einmal ein dritter Mann in Rom mit Döllinger
und Theiner zu Tische; Theiner war ein ähnliches Weltwunder von Gelehr¬
samkeit; jeden Faden, den der eine anspann, vermochte der andre weiterzu-
spinnen. Und Sybel erzählt: „Als ich 185«? als Professor der Geschichte in
die Universität München eintrat, war diese von starkem Parteihadcr erfüllt,
unter dein auch der persönliche Verkehr vielfach litt; Döllinger galt als das
Haupt und meine Wenigkeit als der bestgehaßte Gegner der damals sogenannten
ultramontanen Partei. So war ich denn, als ich Döllinger meinen Antritts¬
besuch machte, auf die Art des Empfangs gespannt und fand mich um so an¬
genehmer durch seine entgegenkommende Freundlichkeit überrascht. Ich freue
mich Ihres Hierherkommens, sagte er; ich habe während der Vakanz Ihres
Amtes zuweilen historische Vorlesungen halten müssen, noch neulich über Ihr
jetziges Arbeitsfeld, über die französische Revolution; das war freilich
Dilettantenwerk. Ich konnte ihm darauf nur zurückgeben, daß. aus seinen
Händen ganz sicher niemals Dilettantenwerk komme, und daß für eine der
wichtigsten Seiten der Revolution, ihren Kampf mit der katholischen Kirche,
nicht ich, sondern er der Sachverständige sei. So erfreulich diese erste An-
knüpfung gewesen war, so lag es doch in den Verhältnissen, daß ich ihn nnr
selteii sah. Indessen führten mich ab und zu kleine Geschäftssachen zu ihm,
und sehr bald ergriff ich jede solche Gelegenheit wie die Einladung zu einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/138>, abgerufen am 01.09.2024.