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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Döllingers zweite Lebenshälfte

anlassling vor, Wenn der Staat durch gesetzliche Bestimmungen einen größern
Barvorrat hervorruft, dient er damit dem Verkehr in keiner Hinsicht und
bürdet der Gesamtheit nur die Last und den Nachteil auf, eine überflüssige
Menge kostspieligen Edelmetalls anschaffen zu müssen.




Döllingers zweite Lebenshälfte

rofessor Friedrichs großes Werk liegt nnn vollendet vor,*) und
nur können diesem dritten Bande (es ist der stärkste; mit Register
732 Seiten) dasselbe Lob spenden wie den ersten beiden (Jahr¬
gang 1899 der Grenzboten, zweites Vierteljahr, S. 513 und 570),
Wir geben nachstehend nicht einen Auszug in der Form einer
zusammenhängenden Erzählung, sondern nur eine Blütenlese ans der reichen
Fülle dessen, was teils für die Zeitgeschichte, teils für die Charakteristik des
große" Gelehrten wichtig ist; die Geschichte Döllingers von 1861 an finden
die ältern Leser in ihrer Erinnerung, die jüngern im Konversationslexikon.

Der Band beginnt allerdings mit dem Jahre 1849. Von Frankfurt
zurückgekehrt machte Döllinger eine Studienreise dnrch Tirol, die Schweiz
und Baden, wo er n. a. die Ursachen der Revolution erforschte. Er fand,
was Nltramontcme und Orthodoxe heute noch als Ursache aller Revolutionen
zu finden pflegen: "In keinem Teile Deutschlands hat man die Religion so
beharrlich untergraben und die katholische Kirche so planmäßig zerrüttet wie
in Baden. Die Mittel und Werkzeuge dazu bot eine bis ins einzelne lind
kleinlichste ausgebildete Bevormundung oder vielmehr völlige Unterjochung der
Kirche durch die Staatsbeamten, hohe und niedere, in reichem Maße dar."
Die Bildung der künftigen Volksschullehrer sei Männern anvertraut gewesen,
"die den christlichen Glauben in den Gemütern ihrer Pflegebefohlne" gründ¬
lich auszurotten verstanden." Die Studierenden hätten schon das Gvmnasinm
als bewußte und erklärte Atheisten verlassen. In den geistlichen Stand seien
immer weniger Jünglinge eingetreten, und diese wenigen Hütten ihn nur um
des Brotes willen, also ohne Beruf erwählt. Hunderte von Seelsorgstelle"
blieben ""besetzt, und das Volk wachse in heidnischer Verwilderung heran.
Die Bureaukratie haßte er überhaupt gründlich; wenn bei ihm von Schwär¬
merei die Rede sein könnte, dürfte man sagen, er habe für England geschwärmt,
das er übrigens genau kannte, nicht bloß aus Bücher", sondern auch aus"
dreimaligem Aufenthalt im Lande und dnrch beständigen brieflichen Verkehr mit



*) Ignaz von Döllinger. Sem Leben auf Grund seines schriftlichen Nachlasses dar¬
gestellt von I. Friedrich. Dritter Teil: Van der Rückkehr aus Frankfurt bis zum Tod,
1843 bis 18W. München. C. H. Bccksche Verlagsbuchhandlung. 1LV1.
Döllingers zweite Lebenshälfte

anlassling vor, Wenn der Staat durch gesetzliche Bestimmungen einen größern
Barvorrat hervorruft, dient er damit dem Verkehr in keiner Hinsicht und
bürdet der Gesamtheit nur die Last und den Nachteil auf, eine überflüssige
Menge kostspieligen Edelmetalls anschaffen zu müssen.




Döllingers zweite Lebenshälfte

rofessor Friedrichs großes Werk liegt nnn vollendet vor,*) und
nur können diesem dritten Bande (es ist der stärkste; mit Register
732 Seiten) dasselbe Lob spenden wie den ersten beiden (Jahr¬
gang 1899 der Grenzboten, zweites Vierteljahr, S. 513 und 570),
Wir geben nachstehend nicht einen Auszug in der Form einer
zusammenhängenden Erzählung, sondern nur eine Blütenlese ans der reichen
Fülle dessen, was teils für die Zeitgeschichte, teils für die Charakteristik des
große» Gelehrten wichtig ist; die Geschichte Döllingers von 1861 an finden
die ältern Leser in ihrer Erinnerung, die jüngern im Konversationslexikon.

Der Band beginnt allerdings mit dem Jahre 1849. Von Frankfurt
zurückgekehrt machte Döllinger eine Studienreise dnrch Tirol, die Schweiz
und Baden, wo er n. a. die Ursachen der Revolution erforschte. Er fand,
was Nltramontcme und Orthodoxe heute noch als Ursache aller Revolutionen
zu finden pflegen: „In keinem Teile Deutschlands hat man die Religion so
beharrlich untergraben und die katholische Kirche so planmäßig zerrüttet wie
in Baden. Die Mittel und Werkzeuge dazu bot eine bis ins einzelne lind
kleinlichste ausgebildete Bevormundung oder vielmehr völlige Unterjochung der
Kirche durch die Staatsbeamten, hohe und niedere, in reichem Maße dar."
Die Bildung der künftigen Volksschullehrer sei Männern anvertraut gewesen,
„die den christlichen Glauben in den Gemütern ihrer Pflegebefohlne» gründ¬
lich auszurotten verstanden." Die Studierenden hätten schon das Gvmnasinm
als bewußte und erklärte Atheisten verlassen. In den geistlichen Stand seien
immer weniger Jünglinge eingetreten, und diese wenigen Hütten ihn nur um
des Brotes willen, also ohne Beruf erwählt. Hunderte von Seelsorgstelle»
blieben »»besetzt, und das Volk wachse in heidnischer Verwilderung heran.
Die Bureaukratie haßte er überhaupt gründlich; wenn bei ihm von Schwär¬
merei die Rede sein könnte, dürfte man sagen, er habe für England geschwärmt,
das er übrigens genau kannte, nicht bloß aus Bücher», sondern auch aus»
dreimaligem Aufenthalt im Lande und dnrch beständigen brieflichen Verkehr mit



*) Ignaz von Döllinger. Sem Leben auf Grund seines schriftlichen Nachlasses dar¬
gestellt von I. Friedrich. Dritter Teil: Van der Rückkehr aus Frankfurt bis zum Tod,
1843 bis 18W. München. C. H. Bccksche Verlagsbuchhandlung. 1LV1.
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[0134] Döllingers zweite Lebenshälfte anlassling vor, Wenn der Staat durch gesetzliche Bestimmungen einen größern Barvorrat hervorruft, dient er damit dem Verkehr in keiner Hinsicht und bürdet der Gesamtheit nur die Last und den Nachteil auf, eine überflüssige Menge kostspieligen Edelmetalls anschaffen zu müssen. Döllingers zweite Lebenshälfte rofessor Friedrichs großes Werk liegt nnn vollendet vor,*) und nur können diesem dritten Bande (es ist der stärkste; mit Register 732 Seiten) dasselbe Lob spenden wie den ersten beiden (Jahr¬ gang 1899 der Grenzboten, zweites Vierteljahr, S. 513 und 570), Wir geben nachstehend nicht einen Auszug in der Form einer zusammenhängenden Erzählung, sondern nur eine Blütenlese ans der reichen Fülle dessen, was teils für die Zeitgeschichte, teils für die Charakteristik des große» Gelehrten wichtig ist; die Geschichte Döllingers von 1861 an finden die ältern Leser in ihrer Erinnerung, die jüngern im Konversationslexikon. Der Band beginnt allerdings mit dem Jahre 1849. Von Frankfurt zurückgekehrt machte Döllinger eine Studienreise dnrch Tirol, die Schweiz und Baden, wo er n. a. die Ursachen der Revolution erforschte. Er fand, was Nltramontcme und Orthodoxe heute noch als Ursache aller Revolutionen zu finden pflegen: „In keinem Teile Deutschlands hat man die Religion so beharrlich untergraben und die katholische Kirche so planmäßig zerrüttet wie in Baden. Die Mittel und Werkzeuge dazu bot eine bis ins einzelne lind kleinlichste ausgebildete Bevormundung oder vielmehr völlige Unterjochung der Kirche durch die Staatsbeamten, hohe und niedere, in reichem Maße dar." Die Bildung der künftigen Volksschullehrer sei Männern anvertraut gewesen, „die den christlichen Glauben in den Gemütern ihrer Pflegebefohlne» gründ¬ lich auszurotten verstanden." Die Studierenden hätten schon das Gvmnasinm als bewußte und erklärte Atheisten verlassen. In den geistlichen Stand seien immer weniger Jünglinge eingetreten, und diese wenigen Hütten ihn nur um des Brotes willen, also ohne Beruf erwählt. Hunderte von Seelsorgstelle» blieben »»besetzt, und das Volk wachse in heidnischer Verwilderung heran. Die Bureaukratie haßte er überhaupt gründlich; wenn bei ihm von Schwär¬ merei die Rede sein könnte, dürfte man sagen, er habe für England geschwärmt, das er übrigens genau kannte, nicht bloß aus Bücher», sondern auch aus» dreimaligem Aufenthalt im Lande und dnrch beständigen brieflichen Verkehr mit *) Ignaz von Döllinger. Sem Leben auf Grund seines schriftlichen Nachlasses dar¬ gestellt von I. Friedrich. Dritter Teil: Van der Rückkehr aus Frankfurt bis zum Tod, 1843 bis 18W. München. C. H. Bccksche Verlagsbuchhandlung. 1LV1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/134>, abgerufen am 27.07.2024.