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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Jolltarif

machen, indem sie sagen, weil sie im Ausland herrsche, müsse sie mich
für uns natürlich, notwendig und vernünftig sein, so versündigt sich das deutsche
Freihciudlertum doch ebenso sehr an dem gesunden Kern der Doktrin, die es
zu vertreten vorgiebt, wenn es gerade jetzt das Reich im Kampf gegen die
Absperruugstendenzen des Auslands lähmen will und so die Leiter unsrer
Politik mehr und mehr in die schon so unbequeme Abhängigkeit von unsern
Hochschutzzöllueru und Merkantilisten bringt.

Es würde zu weit führen, wollten wir hier erörtern, wie weit die im
Kampf gegen die Absperrungstendenzen des Auslandes unentbehrlichen Kom¬
pensationen und Druckmittel gerade in hohen Jndustriezöllen des Generaltarifs
liegen oder nicht; es muß und kann das einer spätern Betrachtung vorbehalten
werden. Jedenfalls hatte Bueck Recht, wenn er in seiner Denkschrift über den
Doppeltarif vom Juli vorigen Jahres sagt, darüber könne kein Zweifel bestehn,
daß bei den für Deutschland und seine industrielle Produktion wichtigsten
Handelsverträgen die landwirtschaftlichen Zölle den Ausschlag geben würden.
Man muß bedauern, daß für absehbare Zeit an keine Ausschaltung der wich¬
tigern Agrarschutzzölle aus der Politik langfristiger Handelsverträge*) gedacht
werden kann, und daß immer wieder Kompensationsobjekte in ihnen für aus¬
ländische Zollermüßigungen, die unmittelbar der Industrie zu gute kommen, gesucht
und gefunden werden müssen, aber die Thatsache kann nicht geändert werden, daß
wir günstige Ausfuhrbedingungen für unsre Industrie in Nußland, Amerika und
andern Staaten, auf die sie hauptsächlich rechnen muß, fast nur durch Konzessionen
auf dem Gebiet der Agrarzölle zu erlangen hoffen können. Dadurch gewinnt
die Abmessung dieser Zölle auch im General- und Verhandlungstarif eine be¬
sondre Bedeutung. Sie bestimmt den Wert und die Kraft des Hauptkampf¬
mittels. Zunächst mußte deshalb dem Kampfbedürfuis entsprechend hoch ge¬
griffen werden. Die Agrarzollsätze des Tarifentwurfs sind darum durchaus
nicht ohne weiteres als übermäßig hoch zu beanstanden, am wenigsten die
Zölle für die vier Hauptgetreidearten, auf die es vor alleu als Kompensations¬
und Druckmittel ankommt. Inwieweit die zum Teil exorbitanten Erhöhungen
der vorgeschlagnen Zölle für andre Produkte der Landwirtschaft als Kompen-
sativnsobjekt gedacht sind oder zu eiuer wesentlichen Erhöhung des Zollschutzes
führen sollen, kann man vorläufig nicht entscheiden. Agrarischerseits wird
natürlich das letzte angenommen oder mit bekanntem Lärm verlangt.

Der weitere Schutz ist bei den Agrarzöllen in demselben Maße wichtiger
als bei den Jndustriezöllen, wie der Notstand der Landwirtschaft größer ist als
der der Industrie. Das erkennen wir ohne weiteres an. Es gilt uns sogar
als so selbstverständlich, daß diese Bedeutung der Agrarzölle von der Gesetz¬
gebung des Reichs bei der zukünftigen Gestaltung unsrer Zollpolitik berück¬
sichtigt wird, daß es uns von vornherein als Ungebühr erscheinen mußte,
wenn die partciagrarische Agitation der landwirtschaftlichen Bevölkerung ein-



Vergl. Heft 43 der Grenzboten vom 25. Oktober 1900 und Heft S vom 10. Januar 1901.
Der Kampf um den Jolltarif

machen, indem sie sagen, weil sie im Ausland herrsche, müsse sie mich
für uns natürlich, notwendig und vernünftig sein, so versündigt sich das deutsche
Freihciudlertum doch ebenso sehr an dem gesunden Kern der Doktrin, die es
zu vertreten vorgiebt, wenn es gerade jetzt das Reich im Kampf gegen die
Absperruugstendenzen des Auslands lähmen will und so die Leiter unsrer
Politik mehr und mehr in die schon so unbequeme Abhängigkeit von unsern
Hochschutzzöllueru und Merkantilisten bringt.

Es würde zu weit führen, wollten wir hier erörtern, wie weit die im
Kampf gegen die Absperrungstendenzen des Auslandes unentbehrlichen Kom¬
pensationen und Druckmittel gerade in hohen Jndustriezöllen des Generaltarifs
liegen oder nicht; es muß und kann das einer spätern Betrachtung vorbehalten
werden. Jedenfalls hatte Bueck Recht, wenn er in seiner Denkschrift über den
Doppeltarif vom Juli vorigen Jahres sagt, darüber könne kein Zweifel bestehn,
daß bei den für Deutschland und seine industrielle Produktion wichtigsten
Handelsverträgen die landwirtschaftlichen Zölle den Ausschlag geben würden.
Man muß bedauern, daß für absehbare Zeit an keine Ausschaltung der wich¬
tigern Agrarschutzzölle aus der Politik langfristiger Handelsverträge*) gedacht
werden kann, und daß immer wieder Kompensationsobjekte in ihnen für aus¬
ländische Zollermüßigungen, die unmittelbar der Industrie zu gute kommen, gesucht
und gefunden werden müssen, aber die Thatsache kann nicht geändert werden, daß
wir günstige Ausfuhrbedingungen für unsre Industrie in Nußland, Amerika und
andern Staaten, auf die sie hauptsächlich rechnen muß, fast nur durch Konzessionen
auf dem Gebiet der Agrarzölle zu erlangen hoffen können. Dadurch gewinnt
die Abmessung dieser Zölle auch im General- und Verhandlungstarif eine be¬
sondre Bedeutung. Sie bestimmt den Wert und die Kraft des Hauptkampf¬
mittels. Zunächst mußte deshalb dem Kampfbedürfuis entsprechend hoch ge¬
griffen werden. Die Agrarzollsätze des Tarifentwurfs sind darum durchaus
nicht ohne weiteres als übermäßig hoch zu beanstanden, am wenigsten die
Zölle für die vier Hauptgetreidearten, auf die es vor alleu als Kompensations¬
und Druckmittel ankommt. Inwieweit die zum Teil exorbitanten Erhöhungen
der vorgeschlagnen Zölle für andre Produkte der Landwirtschaft als Kompen-
sativnsobjekt gedacht sind oder zu eiuer wesentlichen Erhöhung des Zollschutzes
führen sollen, kann man vorläufig nicht entscheiden. Agrarischerseits wird
natürlich das letzte angenommen oder mit bekanntem Lärm verlangt.

Der weitere Schutz ist bei den Agrarzöllen in demselben Maße wichtiger
als bei den Jndustriezöllen, wie der Notstand der Landwirtschaft größer ist als
der der Industrie. Das erkennen wir ohne weiteres an. Es gilt uns sogar
als so selbstverständlich, daß diese Bedeutung der Agrarzölle von der Gesetz¬
gebung des Reichs bei der zukünftigen Gestaltung unsrer Zollpolitik berück¬
sichtigt wird, daß es uns von vornherein als Ungebühr erscheinen mußte,
wenn die partciagrarische Agitation der landwirtschaftlichen Bevölkerung ein-



Vergl. Heft 43 der Grenzboten vom 25. Oktober 1900 und Heft S vom 10. Januar 1901.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/13>, abgerufen am 28.07.2024.