Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Die Aynastsagen liegt ein Ort an: Rhein, wo jeder Fremde, der das erstemal dahin kommt, Fülleborn glaubt deu Grund hierfür darin zu erkennen, daß man es liebe, Mag es auch verlockend sein, in ihnen und in der lautlicher Ähnlichkeit Grenzboten III 1901 11
Die Aynastsagen liegt ein Ort an: Rhein, wo jeder Fremde, der das erstemal dahin kommt, Fülleborn glaubt deu Grund hierfür darin zu erkennen, daß man es liebe, Mag es auch verlockend sein, in ihnen und in der lautlicher Ähnlichkeit Grenzboten III 1901 11
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Die Aynastsagen
liegt ein Ort an: Rhein, wo jeder Fremde, der das erstemal dahin kommt,
sich an das Halseisen schließen und mit Wasser begießen lassen muß. In
Friedrichsbühl muß jeder Fremde einen hölzernen Narren küssen. Ehemals
gab es auch in Jauer unter dem Striegauer Thor eine sogenannte Jgelkeule,
die jeder Fremde unter allerlei spaßhaften Gebräuchen küssen mußte," Irre
ich mich nicht, so hat auch derselbe Brauch früher an den Thoren Breslaus
bestanden; ich erinnere mich wenigstens aus meiner eignen Jugend, daß vor
dem ersten Besuch der Prvvinzialhanptstadt uns damit Angst gemacht wurde,
wir hätten eine Jgelkeule beim Eintritt in die Stadt zu küssen.
Fülleborn glaubt deu Grund hierfür darin zu erkennen, daß man es liebe,
„Personen, die in ein neues Verhältnis eintreten, mit allerlei spöttischen Bei¬
namen und Neckereien, auch wohl mit Mißhandlungen zu bewillkommnen/'
wahrscheinlich aber gehören diese Sitten dem großen Gebiete symbolischer Hand-
lungen an, mit denen in frühern Zeiten das öffentliche und das private Leben
umkleidet waren, und es kommt in diesen Thatsachen der alte Rechtsgrundsatz
zum Ausdruck, daß wer einen fremden Ort betrat, den Stadt- oder Burg¬
frieden öffentlich anerkennen mußte, indem er entweder schon beim Eintritt
einen Igelkolben, eine Art Morgenstern, feierlich begrüßte oder sich bei der im
Weichbilde errichteten Stcinpsäule, dem Zeichen städtischer Justiz, durch Anketten¬
lassen seiner Selbständigkeit begab. So schnell und vollkommen ist der tiefe
Sinn dieser Bräuche vergessen worden, daß sie schon im siebzehnten Jahr¬
hundert nur noch unverstanden fortlebten und später, als die heimatlichen
Sagen um Kunigunde vom Khnnst bereichert worden waren, in Beziehung zu
dieser gesetzt werden konnten.
Mag es auch verlockend sein, in ihnen und in der lautlicher Ähnlichkeit
zwischen dem Namen der Burg und ihrer Herrin allein das poetische Motiv
zu suchen, dem Fischer die Form gegeben hat, so liegt es doch näher, da in
Thüringen eine Sage ähnlichen Inhalts lebt, um eine Übertragung von dort
zu denken. Fischer hat (Progr. Hirschberg 1862) seine ganze Studienzeit in
Halle zugebracht, und Thüringen ist ihm sicherlich nicht unbekannt geblieben.
Hier aber haftet an den Ruinen der Vnrg Lohra an der Hainleite eine Über¬
lieferung, die sich mit unsrer schlesischen auffallend berührt, Heinrich, der letzte
Graf von Lohra, ein kampflustiger Herr, hat nur ein Kind, eine Tochter
Adelheid, die dem Ritter Ludwig von Straußberg verlobt ist. Als der Graf
einst der Stadt Mühlhausen die Fehde ansagt, nimmt Adelheid dein Verlobten
den Schwur ab, er wolle ihn im Kampfe schützen; trotzdem sucht Ludwig
von Straußberg feige ein Versteck auf, und Graf Heinrich wird in der Nähe
seines Schlosses von den Bürgern erschlagen. Nun wendet sich Adelheid von
dem Eidbrüchige» ab und schwört, sich nie zu vermähle». Sie lebt fortan nur
dem Andenken des Gefallnen, läßt ein Steinkreuz um der Kampfstätte errichte»
und besucht das Grab täglich. Doch Freier stelle» sich bald ein, und um sie
zu verscheuchen erklärt die Grafin, nur den zu heiraten, der auf der Mauer
um Lohra herumritte. Viele Ritter verunglücken bei dem Wagnis, endlich
Grenzboten III 1901 11
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