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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Jan Steen und das Sittenbild der Holländer

kvnzerte" mit der Devise Wie die Alten singen, wie sie vor Zeiten schon
Jordaeus in Antwerpen in großem Format mit vielen Abwechslungen zu¬
sammengestellt hatte, Jan Steen hat sich und seine Angehörigen auf zwei
mäßig großen Breitbilderu dargestellt, beidemal elf Personen: größer in Amster¬
dam, datiert 1668, etwas kleiner im Haag (166 ..), Beide sind sorgsam aus¬
geführt, Ebenso das Dreikönigsfest von 1668 in Kassel, mit fünfzehn Per¬
sonen, darunter Jan Steen als Rommelpotspieler; seine Frau, die Mutter des
spaßigen kleinen Bohnenkönigs, starb im nächsten Jahre. Im Buckingham
Palace findet sich noch ein Dreikönigsfest und in Brüssel eine kleine Dar¬
stellung desselben Gegenstands, Auf einem hübschen Bilde in Amsterdam
lassen vier Kinder des Künstlers eine Katze nach der Flöte tanzen; auf einem
andern, wo wir einen der kleinen Jungen wiederfinden, reicht ein prächtig ge¬
wachsenes junges Frauei?zimmer einem Papagei einen Bissen in seinen von
der Decke herabhängenden Käfig hinein.

Das Bauernbild kommt auch spater noch vor. Eine Dorfhochzeit von
1672 in Amsterdam. Die fröhliche Rückkehr ebenda: alles steigt gesättigt in
die vor dem Wirtshaus liegenden Kähne ein, äußerst lebendig und mit graziösen
Einzelheiten. Der Zahnarzt vor zahlreichem Publikum auf einem Dvrfplatz,
im Haag. Zwei Chnrlatane, die sich produzieren, eine Frau am Scheuerfaß
und ähnliches in Amsterdam. In Brüssel ein Interieur mit zwei Frauen und
einem gemüseputzendcn Mann, ein jüngerer tänzelt zur Thür herein und über¬
reicht schnalzend einen Hering und einige Zwiebeln, sehr fein in der Farbe.
Endlich ein vollendetes Sittenbild in Bmuuschweig, bisher daS schönste in
Deutschland, der Heiratskontrakt, von einem etwas gezwungnen Humor, aber
meisterhaft im Vortrag und im Malerischen, Seit kurzem ist in Berlin die
köstliche Kindtaufe (früher im Besitz des Lords Clinton-Hope), die ihm den
Rang streitig macht. Ein mehr zu Herzen gehendes Bild der Natürlichkeit
und des Frohsinns, vollendet durchgeführt. An der Wand hängen Gemälde,
darunter zwei Sittenbildnisse von Frans Hals; eins stellt den Thpus des
Kasseler Mulatten dar in einer Umbildung, die in der Sammlung Thieme in
Leipzig erhalten ist.

Die in Holland üblichen und namentlich in Lehden beliebten Darstellungen
des Arztes, der eine Kranke besucht, fallen bei Jan Steen besonders glücklich
aus. Auf dem feinsten (Amsterdem, Ur. 1377) fühlt der Arzt einem un¬
beschreiblich anmutig lächelnden jungen Mädchen den Puls; zwei andre im
Haag zeigen uns noch mehr Personen in reizend behandelten Interieurs, auf
den: einen sieht eine Amorettcnstatuette von einem Zierschrank auf den Vor¬
gang herab; andre in München, Schwerin, Petersburg und sonst, einige mit
einem erläuternden Spruch von der Minne Pein. Das wäre am ehesten etwas
von Molieres Geist.

Man sieht, wie neu und eigentümlich er die alten Stoffe zu werden ver¬
standen hat. Eine nächtliche Serenade maskierter Männer und Frauen bei
Mondenschein (in Prag) hat einen Anstrich von Romantik und Rokoko. All


Jan Steen und das Sittenbild der Holländer

kvnzerte" mit der Devise Wie die Alten singen, wie sie vor Zeiten schon
Jordaeus in Antwerpen in großem Format mit vielen Abwechslungen zu¬
sammengestellt hatte, Jan Steen hat sich und seine Angehörigen auf zwei
mäßig großen Breitbilderu dargestellt, beidemal elf Personen: größer in Amster¬
dam, datiert 1668, etwas kleiner im Haag (166 ..), Beide sind sorgsam aus¬
geführt, Ebenso das Dreikönigsfest von 1668 in Kassel, mit fünfzehn Per¬
sonen, darunter Jan Steen als Rommelpotspieler; seine Frau, die Mutter des
spaßigen kleinen Bohnenkönigs, starb im nächsten Jahre. Im Buckingham
Palace findet sich noch ein Dreikönigsfest und in Brüssel eine kleine Dar¬
stellung desselben Gegenstands, Auf einem hübschen Bilde in Amsterdam
lassen vier Kinder des Künstlers eine Katze nach der Flöte tanzen; auf einem
andern, wo wir einen der kleinen Jungen wiederfinden, reicht ein prächtig ge¬
wachsenes junges Frauei?zimmer einem Papagei einen Bissen in seinen von
der Decke herabhängenden Käfig hinein.

Das Bauernbild kommt auch spater noch vor. Eine Dorfhochzeit von
1672 in Amsterdam. Die fröhliche Rückkehr ebenda: alles steigt gesättigt in
die vor dem Wirtshaus liegenden Kähne ein, äußerst lebendig und mit graziösen
Einzelheiten. Der Zahnarzt vor zahlreichem Publikum auf einem Dvrfplatz,
im Haag. Zwei Chnrlatane, die sich produzieren, eine Frau am Scheuerfaß
und ähnliches in Amsterdam. In Brüssel ein Interieur mit zwei Frauen und
einem gemüseputzendcn Mann, ein jüngerer tänzelt zur Thür herein und über¬
reicht schnalzend einen Hering und einige Zwiebeln, sehr fein in der Farbe.
Endlich ein vollendetes Sittenbild in Bmuuschweig, bisher daS schönste in
Deutschland, der Heiratskontrakt, von einem etwas gezwungnen Humor, aber
meisterhaft im Vortrag und im Malerischen, Seit kurzem ist in Berlin die
köstliche Kindtaufe (früher im Besitz des Lords Clinton-Hope), die ihm den
Rang streitig macht. Ein mehr zu Herzen gehendes Bild der Natürlichkeit
und des Frohsinns, vollendet durchgeführt. An der Wand hängen Gemälde,
darunter zwei Sittenbildnisse von Frans Hals; eins stellt den Thpus des
Kasseler Mulatten dar in einer Umbildung, die in der Sammlung Thieme in
Leipzig erhalten ist.

Die in Holland üblichen und namentlich in Lehden beliebten Darstellungen
des Arztes, der eine Kranke besucht, fallen bei Jan Steen besonders glücklich
aus. Auf dem feinsten (Amsterdem, Ur. 1377) fühlt der Arzt einem un¬
beschreiblich anmutig lächelnden jungen Mädchen den Puls; zwei andre im
Haag zeigen uns noch mehr Personen in reizend behandelten Interieurs, auf
den: einen sieht eine Amorettcnstatuette von einem Zierschrank auf den Vor¬
gang herab; andre in München, Schwerin, Petersburg und sonst, einige mit
einem erläuternden Spruch von der Minne Pein. Das wäre am ehesten etwas
von Molieres Geist.

Man sieht, wie neu und eigentümlich er die alten Stoffe zu werden ver¬
standen hat. Eine nächtliche Serenade maskierter Männer und Frauen bei
Mondenschein (in Prag) hat einen Anstrich von Romantik und Rokoko. All


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[0635] Jan Steen und das Sittenbild der Holländer kvnzerte" mit der Devise Wie die Alten singen, wie sie vor Zeiten schon Jordaeus in Antwerpen in großem Format mit vielen Abwechslungen zu¬ sammengestellt hatte, Jan Steen hat sich und seine Angehörigen auf zwei mäßig großen Breitbilderu dargestellt, beidemal elf Personen: größer in Amster¬ dam, datiert 1668, etwas kleiner im Haag (166 ..), Beide sind sorgsam aus¬ geführt, Ebenso das Dreikönigsfest von 1668 in Kassel, mit fünfzehn Per¬ sonen, darunter Jan Steen als Rommelpotspieler; seine Frau, die Mutter des spaßigen kleinen Bohnenkönigs, starb im nächsten Jahre. Im Buckingham Palace findet sich noch ein Dreikönigsfest und in Brüssel eine kleine Dar¬ stellung desselben Gegenstands, Auf einem hübschen Bilde in Amsterdam lassen vier Kinder des Künstlers eine Katze nach der Flöte tanzen; auf einem andern, wo wir einen der kleinen Jungen wiederfinden, reicht ein prächtig ge¬ wachsenes junges Frauei?zimmer einem Papagei einen Bissen in seinen von der Decke herabhängenden Käfig hinein. Das Bauernbild kommt auch spater noch vor. Eine Dorfhochzeit von 1672 in Amsterdam. Die fröhliche Rückkehr ebenda: alles steigt gesättigt in die vor dem Wirtshaus liegenden Kähne ein, äußerst lebendig und mit graziösen Einzelheiten. Der Zahnarzt vor zahlreichem Publikum auf einem Dvrfplatz, im Haag. Zwei Chnrlatane, die sich produzieren, eine Frau am Scheuerfaß und ähnliches in Amsterdam. In Brüssel ein Interieur mit zwei Frauen und einem gemüseputzendcn Mann, ein jüngerer tänzelt zur Thür herein und über¬ reicht schnalzend einen Hering und einige Zwiebeln, sehr fein in der Farbe. Endlich ein vollendetes Sittenbild in Bmuuschweig, bisher daS schönste in Deutschland, der Heiratskontrakt, von einem etwas gezwungnen Humor, aber meisterhaft im Vortrag und im Malerischen, Seit kurzem ist in Berlin die köstliche Kindtaufe (früher im Besitz des Lords Clinton-Hope), die ihm den Rang streitig macht. Ein mehr zu Herzen gehendes Bild der Natürlichkeit und des Frohsinns, vollendet durchgeführt. An der Wand hängen Gemälde, darunter zwei Sittenbildnisse von Frans Hals; eins stellt den Thpus des Kasseler Mulatten dar in einer Umbildung, die in der Sammlung Thieme in Leipzig erhalten ist. Die in Holland üblichen und namentlich in Lehden beliebten Darstellungen des Arztes, der eine Kranke besucht, fallen bei Jan Steen besonders glücklich aus. Auf dem feinsten (Amsterdem, Ur. 1377) fühlt der Arzt einem un¬ beschreiblich anmutig lächelnden jungen Mädchen den Puls; zwei andre im Haag zeigen uns noch mehr Personen in reizend behandelten Interieurs, auf den: einen sieht eine Amorettcnstatuette von einem Zierschrank auf den Vor¬ gang herab; andre in München, Schwerin, Petersburg und sonst, einige mit einem erläuternden Spruch von der Minne Pein. Das wäre am ehesten etwas von Molieres Geist. Man sieht, wie neu und eigentümlich er die alten Stoffe zu werden ver¬ standen hat. Eine nächtliche Serenade maskierter Männer und Frauen bei Mondenschein (in Prag) hat einen Anstrich von Romantik und Rokoko. All

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/635>, abgerufen am 22.07.2024.