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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Angaben über das Alter und den Beginn der Krankheit sind ohne Beziehung
zu einander aufgezählt worden, während aus den Karten mit Leichtigkeit
solche und ähnliche Fragen gelöst werden konnten und die 135 Seiten Raum
genug zum Abdrucken boten. Eine Menge der interessantesten Punkte sind so
einfach gar nicht bearbeitet und veröffentlicht worden.

Eine statistische Zusammenstellung erfordert ferner Genauigkeit in den An¬
gaben und Vorsicht in der Verwertung. Nach beiden Seiten haben sich die
Verfasser der größten Sorglosigkeit hingegeben. Obgleich durch die Art des
Abdrucks fast jede Nachprüfung unmöglich gemacht ist, finden sich noch zahl¬
reiche Rechenfehler und andre Ungenauigkeiten, die beweisen, wie bequem man
mit den Zahlen umgesprungen ist. Da erscheinen bei manchen Fragen weit
mehr Antworten, als Personen gefragt worden sind, zum Beispiel 133 Ant¬
worten bei 123 Personen, 46 bei 44 Personen, Anderswo hat eine Anzahl
Personen nicht geantwortet, die bei der Verarbeitung ruhig mitgezählt werden.
Die Berechnungen wimmeln von Fehlern, die oft so eng ineinander greifen,
daß kein Druckfehlerteufel sie verschuldet haben kann. Was sich bei genauer
Prüfung ergeben würde, läßt sich aus solchen Fehlern, die obenauf liegen,
schließen.

Ebenso sorglos sind Folgerungen aus den Zahlen gezogen worden. So
wird nach vielem ungenauen Rechnen behauptet, daß die Frau in der Ehe
mit einem tuberkulösen Mann häufig nach wenig Monaten oder Jahren der
Ansteckung durch ihren Mann erliege, während der Mann in der Ehe mit
einer schwindsüchtiger Frau im allgemeinen nur dann gefährdet werde, wenn
die Tuberkulose der Frau einen sehr schweren oder tödlichen Verlauf nähme.
Dabei hatten von 1187 tuberkulösen Männern nur 68 eine kranke Frau, da¬
gegen von 353 tuberkulösen Frnueu 63 einen schwindsüchtiger Mann. Mehr
scherzhaft ist ein andres Beispiel. Aus den Akten von Versicherungsgesell¬
schaften sind 612 Todesfälle um Tuberkulose mit 252 andern Todesfällen ver¬
glichen. Bei der Verteilung der Verstorbnen nach 83 Berufsarten sind unter
den 252 natürlich manche Berufe gar nicht, dagegen unter den 612 mit einigen
Angehörigen vertreten. Nun schließt der Verfasser, daß unter den Berufs¬
klassen der Bildhauer, Steinhauer, Briefträger, Schneider und Sattler (die
Weber hat er vergessen) 100 Prozent aller Versicherten an Tuberkulose ver¬
storben sind. Die Rechnung ist richtig, die Behauptung aber völlig inhaltlos,
da bei so kleinen Zahlen der Zufall entschieden eine Rolle spielt. Ebenso
scherzhaft ist es, daß für die Ärzte eine günstige Schwindsuchtssterblichkeit
(19,5 Prozent) berechnet wird, weil zufällig fünf an Tuberkulose, acht an andern
Krankheiten gestorben sind. Schon die Berechnung solcher gleichgiltigen Ver-
hältniszahlen, während andrerseits die notwendigsten Tabellen fehlen, zeigt die
völlige Planlosigkeit dieser Arbeit.

Ein Hauptzweck der Arbeit war, die große Gefährlichkeit bazillenhaltiger
Milch und bazillenhaltigen Fleisches nachzuweisen. Der Widerspruch Kochs in
London gegen diese ganze Theorie zeigt, wie man in diesen Anfragen eine


Angaben über das Alter und den Beginn der Krankheit sind ohne Beziehung
zu einander aufgezählt worden, während aus den Karten mit Leichtigkeit
solche und ähnliche Fragen gelöst werden konnten und die 135 Seiten Raum
genug zum Abdrucken boten. Eine Menge der interessantesten Punkte sind so
einfach gar nicht bearbeitet und veröffentlicht worden.

Eine statistische Zusammenstellung erfordert ferner Genauigkeit in den An¬
gaben und Vorsicht in der Verwertung. Nach beiden Seiten haben sich die
Verfasser der größten Sorglosigkeit hingegeben. Obgleich durch die Art des
Abdrucks fast jede Nachprüfung unmöglich gemacht ist, finden sich noch zahl¬
reiche Rechenfehler und andre Ungenauigkeiten, die beweisen, wie bequem man
mit den Zahlen umgesprungen ist. Da erscheinen bei manchen Fragen weit
mehr Antworten, als Personen gefragt worden sind, zum Beispiel 133 Ant¬
worten bei 123 Personen, 46 bei 44 Personen, Anderswo hat eine Anzahl
Personen nicht geantwortet, die bei der Verarbeitung ruhig mitgezählt werden.
Die Berechnungen wimmeln von Fehlern, die oft so eng ineinander greifen,
daß kein Druckfehlerteufel sie verschuldet haben kann. Was sich bei genauer
Prüfung ergeben würde, läßt sich aus solchen Fehlern, die obenauf liegen,
schließen.

Ebenso sorglos sind Folgerungen aus den Zahlen gezogen worden. So
wird nach vielem ungenauen Rechnen behauptet, daß die Frau in der Ehe
mit einem tuberkulösen Mann häufig nach wenig Monaten oder Jahren der
Ansteckung durch ihren Mann erliege, während der Mann in der Ehe mit
einer schwindsüchtiger Frau im allgemeinen nur dann gefährdet werde, wenn
die Tuberkulose der Frau einen sehr schweren oder tödlichen Verlauf nähme.
Dabei hatten von 1187 tuberkulösen Männern nur 68 eine kranke Frau, da¬
gegen von 353 tuberkulösen Frnueu 63 einen schwindsüchtiger Mann. Mehr
scherzhaft ist ein andres Beispiel. Aus den Akten von Versicherungsgesell¬
schaften sind 612 Todesfälle um Tuberkulose mit 252 andern Todesfällen ver¬
glichen. Bei der Verteilung der Verstorbnen nach 83 Berufsarten sind unter
den 252 natürlich manche Berufe gar nicht, dagegen unter den 612 mit einigen
Angehörigen vertreten. Nun schließt der Verfasser, daß unter den Berufs¬
klassen der Bildhauer, Steinhauer, Briefträger, Schneider und Sattler (die
Weber hat er vergessen) 100 Prozent aller Versicherten an Tuberkulose ver¬
storben sind. Die Rechnung ist richtig, die Behauptung aber völlig inhaltlos,
da bei so kleinen Zahlen der Zufall entschieden eine Rolle spielt. Ebenso
scherzhaft ist es, daß für die Ärzte eine günstige Schwindsuchtssterblichkeit
(19,5 Prozent) berechnet wird, weil zufällig fünf an Tuberkulose, acht an andern
Krankheiten gestorben sind. Schon die Berechnung solcher gleichgiltigen Ver-
hältniszahlen, während andrerseits die notwendigsten Tabellen fehlen, zeigt die
völlige Planlosigkeit dieser Arbeit.

Ein Hauptzweck der Arbeit war, die große Gefährlichkeit bazillenhaltiger
Milch und bazillenhaltigen Fleisches nachzuweisen. Der Widerspruch Kochs in
London gegen diese ganze Theorie zeigt, wie man in diesen Anfragen eine


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[0628] Angaben über das Alter und den Beginn der Krankheit sind ohne Beziehung zu einander aufgezählt worden, während aus den Karten mit Leichtigkeit solche und ähnliche Fragen gelöst werden konnten und die 135 Seiten Raum genug zum Abdrucken boten. Eine Menge der interessantesten Punkte sind so einfach gar nicht bearbeitet und veröffentlicht worden. Eine statistische Zusammenstellung erfordert ferner Genauigkeit in den An¬ gaben und Vorsicht in der Verwertung. Nach beiden Seiten haben sich die Verfasser der größten Sorglosigkeit hingegeben. Obgleich durch die Art des Abdrucks fast jede Nachprüfung unmöglich gemacht ist, finden sich noch zahl¬ reiche Rechenfehler und andre Ungenauigkeiten, die beweisen, wie bequem man mit den Zahlen umgesprungen ist. Da erscheinen bei manchen Fragen weit mehr Antworten, als Personen gefragt worden sind, zum Beispiel 133 Ant¬ worten bei 123 Personen, 46 bei 44 Personen, Anderswo hat eine Anzahl Personen nicht geantwortet, die bei der Verarbeitung ruhig mitgezählt werden. Die Berechnungen wimmeln von Fehlern, die oft so eng ineinander greifen, daß kein Druckfehlerteufel sie verschuldet haben kann. Was sich bei genauer Prüfung ergeben würde, läßt sich aus solchen Fehlern, die obenauf liegen, schließen. Ebenso sorglos sind Folgerungen aus den Zahlen gezogen worden. So wird nach vielem ungenauen Rechnen behauptet, daß die Frau in der Ehe mit einem tuberkulösen Mann häufig nach wenig Monaten oder Jahren der Ansteckung durch ihren Mann erliege, während der Mann in der Ehe mit einer schwindsüchtiger Frau im allgemeinen nur dann gefährdet werde, wenn die Tuberkulose der Frau einen sehr schweren oder tödlichen Verlauf nähme. Dabei hatten von 1187 tuberkulösen Männern nur 68 eine kranke Frau, da¬ gegen von 353 tuberkulösen Frnueu 63 einen schwindsüchtiger Mann. Mehr scherzhaft ist ein andres Beispiel. Aus den Akten von Versicherungsgesell¬ schaften sind 612 Todesfälle um Tuberkulose mit 252 andern Todesfällen ver¬ glichen. Bei der Verteilung der Verstorbnen nach 83 Berufsarten sind unter den 252 natürlich manche Berufe gar nicht, dagegen unter den 612 mit einigen Angehörigen vertreten. Nun schließt der Verfasser, daß unter den Berufs¬ klassen der Bildhauer, Steinhauer, Briefträger, Schneider und Sattler (die Weber hat er vergessen) 100 Prozent aller Versicherten an Tuberkulose ver¬ storben sind. Die Rechnung ist richtig, die Behauptung aber völlig inhaltlos, da bei so kleinen Zahlen der Zufall entschieden eine Rolle spielt. Ebenso scherzhaft ist es, daß für die Ärzte eine günstige Schwindsuchtssterblichkeit (19,5 Prozent) berechnet wird, weil zufällig fünf an Tuberkulose, acht an andern Krankheiten gestorben sind. Schon die Berechnung solcher gleichgiltigen Ver- hältniszahlen, während andrerseits die notwendigsten Tabellen fehlen, zeigt die völlige Planlosigkeit dieser Arbeit. Ein Hauptzweck der Arbeit war, die große Gefährlichkeit bazillenhaltiger Milch und bazillenhaltigen Fleisches nachzuweisen. Der Widerspruch Kochs in London gegen diese ganze Theorie zeigt, wie man in diesen Anfragen eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/628>, abgerufen am 22.07.2024.