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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die lvohimngs > und Bodenpolitik in Großberlin

nungen unter dem gewöhnlichen Marktpreise zur Verfügung gestellt werden."
Wie sehr das uns aus dem Herzen gesprochen ist, wird der Leser begreifen.

Herr Adickes steht an der Spitze der reichsten Großstadt im Reich. Ihr
Reichtum stammt nicht von der Industrie, sondern vom Handel her, und wenn
auch sie in jüngster Zeit einen gewaltigen industriellen Aufschwung genommen
hat, so hat der alte Reichtum der eingebornen Steuerzahler ihr natürlich er-
- laube, die zugewanderte Jndnstriearbeiterschaft besonders reichlich mit den
kleinen Liebesgaben modernen Genres zu beschenken. Dagegen braucht um so
weniger etwas gesagt zu werden, als den Eingebornen Frankfurts vou der
Zeit der freien Reichsstadt her nun einmal eine gewisse Neigung im Blut
liegt, die Grenzen der Aufgaben und Gerechtsame der Kommune etwas weit
zu zieh". Dazu kommt, daß der Zuzug vom Lande nach Frankfurt qualitativ
anders sein muß als der von der Oder und der Weichsel nach den Großstädten
im Osten, und daß er eine eigentliche Verödung des platten Landes noch nicht
sichtbar zur Folge hat. Es sind ja noch immer genug übervölkerte landwirt¬
schaftliche Bezirke im Westen vorhanden. Nichtsdestoweniger werden hoffentlich
die Frankfurter und ihr Stadtoberhaupt die verhängnisvolle Bedeutung kennen
und auch zu würdigen wissen, die im Osten die Masseuwaudrung der Land¬
arbeiterschaft nach den Großstädten sowohl für die Abwandruugs- wie für die
Zuwaudrungsbezirke gewonnen hat. Namentlich sollte Adickes nach dein, was
wir eben von ihm gelesen haben, sich nicht der logischen Konsequenz entzieh",
daß, soweit es sich um eine allgemeine Aktion in ganz Preußen handelt,
gerade jetzt die Großstädte zur Subventioniern"", des Baus billigerer Arbeiter¬
wohnungen, als dem Marktpreis entspricht, im größern Maßstabe zu zwingen,
den Gaul am Schwänze aufzäumen hieße. Auch sollte er uns billigerweise
unterstütze", wenn wir bei genaueren Vergleich der sozialen Lage der gro߬
städtischen Arbeiterschaft mit der Lage der ostelbischen Landarbeiter eine durch¬
greifende, weitaussehende, mit großen öffentlichen Mitteln auszuführende soziale
Aktion auf dem Lande für weit nötiger erklären, als die einseitige Fürsorge
für die Stadtarbeiter, für die schon so viel geschehn ist und um auch noch
das ungeheuer splendide wohnnngspolitische Experiment verlangt wird. Er
sollte anerkennen, daß, wenn heute im großen Maßstab Subventionen "über
den Rahmen der im allgemeinen für das wirtschaftliche Leben geltenden Grund¬
sätze" hinaus überhaupt angebracht erscheinen, das allein für das platte Land
und die Landarbeiterschaft, nicht aber für die großstädtischen und industriellen
Arbeitermassen der Fall sein kann. Und er sollte uns namentlich auch darin
Recht geben, daß die große industrielle Frage der Zeit viel mehr in der Sorge
für die Dezentralisation der Industrie besteht, als in der kumulierten Fürsorge
für die zentralisierte Industrie. Freilich wissen wir -- auch nach dem, was er
geschrieben hat -- nicht, ob Adickes dem jüngst ganz energisch von der Kreuz¬
zeitung wieder cmfgenommnen Verlangen zuzustimmen geneigt sein würde, den
Landarbeitern die Freizügigkeit zu nehmen, und so ein Hauptbedenken gegen
die große soziale Aktion der Städte zu beseitigen. Uns erscheint dieses Ver-


Die lvohimngs > und Bodenpolitik in Großberlin

nungen unter dem gewöhnlichen Marktpreise zur Verfügung gestellt werden."
Wie sehr das uns aus dem Herzen gesprochen ist, wird der Leser begreifen.

Herr Adickes steht an der Spitze der reichsten Großstadt im Reich. Ihr
Reichtum stammt nicht von der Industrie, sondern vom Handel her, und wenn
auch sie in jüngster Zeit einen gewaltigen industriellen Aufschwung genommen
hat, so hat der alte Reichtum der eingebornen Steuerzahler ihr natürlich er-
- laube, die zugewanderte Jndnstriearbeiterschaft besonders reichlich mit den
kleinen Liebesgaben modernen Genres zu beschenken. Dagegen braucht um so
weniger etwas gesagt zu werden, als den Eingebornen Frankfurts vou der
Zeit der freien Reichsstadt her nun einmal eine gewisse Neigung im Blut
liegt, die Grenzen der Aufgaben und Gerechtsame der Kommune etwas weit
zu zieh». Dazu kommt, daß der Zuzug vom Lande nach Frankfurt qualitativ
anders sein muß als der von der Oder und der Weichsel nach den Großstädten
im Osten, und daß er eine eigentliche Verödung des platten Landes noch nicht
sichtbar zur Folge hat. Es sind ja noch immer genug übervölkerte landwirt¬
schaftliche Bezirke im Westen vorhanden. Nichtsdestoweniger werden hoffentlich
die Frankfurter und ihr Stadtoberhaupt die verhängnisvolle Bedeutung kennen
und auch zu würdigen wissen, die im Osten die Masseuwaudrung der Land¬
arbeiterschaft nach den Großstädten sowohl für die Abwandruugs- wie für die
Zuwaudrungsbezirke gewonnen hat. Namentlich sollte Adickes nach dein, was
wir eben von ihm gelesen haben, sich nicht der logischen Konsequenz entzieh»,
daß, soweit es sich um eine allgemeine Aktion in ganz Preußen handelt,
gerade jetzt die Großstädte zur Subventioniern««, des Baus billigerer Arbeiter¬
wohnungen, als dem Marktpreis entspricht, im größern Maßstabe zu zwingen,
den Gaul am Schwänze aufzäumen hieße. Auch sollte er uns billigerweise
unterstütze», wenn wir bei genaueren Vergleich der sozialen Lage der gro߬
städtischen Arbeiterschaft mit der Lage der ostelbischen Landarbeiter eine durch¬
greifende, weitaussehende, mit großen öffentlichen Mitteln auszuführende soziale
Aktion auf dem Lande für weit nötiger erklären, als die einseitige Fürsorge
für die Stadtarbeiter, für die schon so viel geschehn ist und um auch noch
das ungeheuer splendide wohnnngspolitische Experiment verlangt wird. Er
sollte anerkennen, daß, wenn heute im großen Maßstab Subventionen „über
den Rahmen der im allgemeinen für das wirtschaftliche Leben geltenden Grund¬
sätze" hinaus überhaupt angebracht erscheinen, das allein für das platte Land
und die Landarbeiterschaft, nicht aber für die großstädtischen und industriellen
Arbeitermassen der Fall sein kann. Und er sollte uns namentlich auch darin
Recht geben, daß die große industrielle Frage der Zeit viel mehr in der Sorge
für die Dezentralisation der Industrie besteht, als in der kumulierten Fürsorge
für die zentralisierte Industrie. Freilich wissen wir — auch nach dem, was er
geschrieben hat — nicht, ob Adickes dem jüngst ganz energisch von der Kreuz¬
zeitung wieder cmfgenommnen Verlangen zuzustimmen geneigt sein würde, den
Landarbeitern die Freizügigkeit zu nehmen, und so ein Hauptbedenken gegen
die große soziale Aktion der Städte zu beseitigen. Uns erscheint dieses Ver-


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[0543] Die lvohimngs > und Bodenpolitik in Großberlin nungen unter dem gewöhnlichen Marktpreise zur Verfügung gestellt werden." Wie sehr das uns aus dem Herzen gesprochen ist, wird der Leser begreifen. Herr Adickes steht an der Spitze der reichsten Großstadt im Reich. Ihr Reichtum stammt nicht von der Industrie, sondern vom Handel her, und wenn auch sie in jüngster Zeit einen gewaltigen industriellen Aufschwung genommen hat, so hat der alte Reichtum der eingebornen Steuerzahler ihr natürlich er- - laube, die zugewanderte Jndnstriearbeiterschaft besonders reichlich mit den kleinen Liebesgaben modernen Genres zu beschenken. Dagegen braucht um so weniger etwas gesagt zu werden, als den Eingebornen Frankfurts vou der Zeit der freien Reichsstadt her nun einmal eine gewisse Neigung im Blut liegt, die Grenzen der Aufgaben und Gerechtsame der Kommune etwas weit zu zieh». Dazu kommt, daß der Zuzug vom Lande nach Frankfurt qualitativ anders sein muß als der von der Oder und der Weichsel nach den Großstädten im Osten, und daß er eine eigentliche Verödung des platten Landes noch nicht sichtbar zur Folge hat. Es sind ja noch immer genug übervölkerte landwirt¬ schaftliche Bezirke im Westen vorhanden. Nichtsdestoweniger werden hoffentlich die Frankfurter und ihr Stadtoberhaupt die verhängnisvolle Bedeutung kennen und auch zu würdigen wissen, die im Osten die Masseuwaudrung der Land¬ arbeiterschaft nach den Großstädten sowohl für die Abwandruugs- wie für die Zuwaudrungsbezirke gewonnen hat. Namentlich sollte Adickes nach dein, was wir eben von ihm gelesen haben, sich nicht der logischen Konsequenz entzieh», daß, soweit es sich um eine allgemeine Aktion in ganz Preußen handelt, gerade jetzt die Großstädte zur Subventioniern««, des Baus billigerer Arbeiter¬ wohnungen, als dem Marktpreis entspricht, im größern Maßstabe zu zwingen, den Gaul am Schwänze aufzäumen hieße. Auch sollte er uns billigerweise unterstütze», wenn wir bei genaueren Vergleich der sozialen Lage der gro߬ städtischen Arbeiterschaft mit der Lage der ostelbischen Landarbeiter eine durch¬ greifende, weitaussehende, mit großen öffentlichen Mitteln auszuführende soziale Aktion auf dem Lande für weit nötiger erklären, als die einseitige Fürsorge für die Stadtarbeiter, für die schon so viel geschehn ist und um auch noch das ungeheuer splendide wohnnngspolitische Experiment verlangt wird. Er sollte anerkennen, daß, wenn heute im großen Maßstab Subventionen „über den Rahmen der im allgemeinen für das wirtschaftliche Leben geltenden Grund¬ sätze" hinaus überhaupt angebracht erscheinen, das allein für das platte Land und die Landarbeiterschaft, nicht aber für die großstädtischen und industriellen Arbeitermassen der Fall sein kann. Und er sollte uns namentlich auch darin Recht geben, daß die große industrielle Frage der Zeit viel mehr in der Sorge für die Dezentralisation der Industrie besteht, als in der kumulierten Fürsorge für die zentralisierte Industrie. Freilich wissen wir — auch nach dem, was er geschrieben hat — nicht, ob Adickes dem jüngst ganz energisch von der Kreuz¬ zeitung wieder cmfgenommnen Verlangen zuzustimmen geneigt sein würde, den Landarbeitern die Freizügigkeit zu nehmen, und so ein Hauptbedenken gegen die große soziale Aktion der Städte zu beseitigen. Uns erscheint dieses Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/543>, abgerufen am 25.08.2024.