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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Christus mein Herr! Was sich daraus für ein christologischer Glaube für
die einzelne Seele allmählich entwickeln wird, das ist ihre Sache und die Sache
ihrer Führung. Es darf aber in der Kirche Christi darüber kein Zweifel
herrschen, daß das Bekenntnis! "Christus mein Herr" ein echtes christliches,
ja das grundlegende Bekenntnis ist, wenn nur das "mein" und das "Herr"
tief erfaßt ist. Wenn darüber ein Zweifel waltet, so sind die Pastoren und
diejenigen Laien, die in diesen Dingen zu sprechen haben, unter der höchsten
Verantwortlichkeit verpflichtet, einen solchen zu zerstreuen. Auf diesen Punkt
muß die praktische Arbeit in dieser großen Sache immer wieder zurückgeführt
werden. Das kirchliche Bekenntnis kann freilich nicht je nach dem Verlangen
der verschiednen Stufen christlicher Erkenntnis geändert werden. Darauf kommt
es auch nicht an, sondern darauf kommt es an, daß kein Zweifel gelassen
wird, daß die Kirche von ihren einzelnen Mitgliedern nicht die Zustimmung
zu einem dogmatischen Satze, sondern das Bekenntnis zu Christus als dem
Herrn verlangt."

"In diesem Doppelten, so schloß Harnack, daß die Kirche unbefangen der
wissenschaftlichen Arbeit an der Welterkenntnis gegenüberstehe, und daß sie
christologische Bekenntnisse entgegennehme und freudig als die ihren anerkenne,
die in dem "Christus der Herr" wurzeln, hat unsre Kirche allerdings noch
eine Aufgabe, denn sie hat das nicht hinreichend klar und deutlich gethan."")

Als einen Versuch, die evangelische Kirche Deutschlands mit den schärfste"
Mitteln der wissenschaftlichen Polemik zur Erfüllung der beiden hier von
Harnack aufgestellten Forderungen zu zwingen, möchte ich eine "Der Christus
des Glaubens" betitelte Schrift bezeichnen, worin der als verdienstvoller Ge¬
lehrter lind überzeugungstreuer Vertreter der liberalen Theologie weit über die
Grenzen seines Wirkungskreises bekannt gewordne Liegnitzer Oberpfarrer
Heinrich Ziegler "den alten Glauben des Evangeliums in der Sprache der
Gegenwart" darzustellen unternimmt."") Die mit großem Scharfsinn geführte
und zum Teil mit ergreifender Wärme vorgetragne Untersuchung beschäftigt
sich im Vorworte (S. 1 bis 48) mit der Natur, dem Ursprung, der Gewißheit
und den Aussagen des christlichen Glaubens und behandelt hierauf im ersten
Hauptteile (S. 49 bis 94) "die Aussagen unsers Glaubens über Jesus Christus,"
im zweiten (S. 94 bis 121) "die Aussagen unsers Glaubens über das Wesen
Gottes und der unsichtbaren Welt."

Schon aus dieser Einteilung ergiebt sich, daß Ziegler unter Glauben aus¬
schließlich die ticlös aus erscliwr der ältern Theologie versteht, daß ihm, wie er auch
ausdrücklich sagt, der Glaube "vollständig gleichbedeutend ist mit der Frömmigkeit,
mit der persönlichen Religiosität" <S. 2). Als Sitz der Religiosität betrachtet
Ziegler mit Schleiermacher das Gefühl, als unablässig wirkenden Antrieb zu




") ni. a. O. Seite 186.
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) H- Ziegler, Der Christus des Glaubens. Der alte Glaube des Evangeliums in der
Sprache der Gegenwart. Liegnitz, H. Krumbhaar, 1900.
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Christus mein Herr! Was sich daraus für ein christologischer Glaube für
die einzelne Seele allmählich entwickeln wird, das ist ihre Sache und die Sache
ihrer Führung. Es darf aber in der Kirche Christi darüber kein Zweifel
herrschen, daß das Bekenntnis! »Christus mein Herr« ein echtes christliches,
ja das grundlegende Bekenntnis ist, wenn nur das »mein« und das »Herr«
tief erfaßt ist. Wenn darüber ein Zweifel waltet, so sind die Pastoren und
diejenigen Laien, die in diesen Dingen zu sprechen haben, unter der höchsten
Verantwortlichkeit verpflichtet, einen solchen zu zerstreuen. Auf diesen Punkt
muß die praktische Arbeit in dieser großen Sache immer wieder zurückgeführt
werden. Das kirchliche Bekenntnis kann freilich nicht je nach dem Verlangen
der verschiednen Stufen christlicher Erkenntnis geändert werden. Darauf kommt
es auch nicht an, sondern darauf kommt es an, daß kein Zweifel gelassen
wird, daß die Kirche von ihren einzelnen Mitgliedern nicht die Zustimmung
zu einem dogmatischen Satze, sondern das Bekenntnis zu Christus als dem
Herrn verlangt."

„In diesem Doppelten, so schloß Harnack, daß die Kirche unbefangen der
wissenschaftlichen Arbeit an der Welterkenntnis gegenüberstehe, und daß sie
christologische Bekenntnisse entgegennehme und freudig als die ihren anerkenne,
die in dem »Christus der Herr« wurzeln, hat unsre Kirche allerdings noch
eine Aufgabe, denn sie hat das nicht hinreichend klar und deutlich gethan."")

Als einen Versuch, die evangelische Kirche Deutschlands mit den schärfste»
Mitteln der wissenschaftlichen Polemik zur Erfüllung der beiden hier von
Harnack aufgestellten Forderungen zu zwingen, möchte ich eine „Der Christus
des Glaubens" betitelte Schrift bezeichnen, worin der als verdienstvoller Ge¬
lehrter lind überzeugungstreuer Vertreter der liberalen Theologie weit über die
Grenzen seines Wirkungskreises bekannt gewordne Liegnitzer Oberpfarrer
Heinrich Ziegler „den alten Glauben des Evangeliums in der Sprache der
Gegenwart" darzustellen unternimmt."") Die mit großem Scharfsinn geführte
und zum Teil mit ergreifender Wärme vorgetragne Untersuchung beschäftigt
sich im Vorworte (S. 1 bis 48) mit der Natur, dem Ursprung, der Gewißheit
und den Aussagen des christlichen Glaubens und behandelt hierauf im ersten
Hauptteile (S. 49 bis 94) „die Aussagen unsers Glaubens über Jesus Christus,"
im zweiten (S. 94 bis 121) „die Aussagen unsers Glaubens über das Wesen
Gottes und der unsichtbaren Welt."

Schon aus dieser Einteilung ergiebt sich, daß Ziegler unter Glauben aus¬
schließlich die ticlös aus erscliwr der ältern Theologie versteht, daß ihm, wie er auch
ausdrücklich sagt, der Glaube „vollständig gleichbedeutend ist mit der Frömmigkeit,
mit der persönlichen Religiosität" <S. 2). Als Sitz der Religiosität betrachtet
Ziegler mit Schleiermacher das Gefühl, als unablässig wirkenden Antrieb zu




") ni. a. O. Seite 186.
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) H- Ziegler, Der Christus des Glaubens. Der alte Glaube des Evangeliums in der
Sprache der Gegenwart. Liegnitz, H. Krumbhaar, 1900.
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[0506] <Line neue Glaubenslehre Christus mein Herr! Was sich daraus für ein christologischer Glaube für die einzelne Seele allmählich entwickeln wird, das ist ihre Sache und die Sache ihrer Führung. Es darf aber in der Kirche Christi darüber kein Zweifel herrschen, daß das Bekenntnis! »Christus mein Herr« ein echtes christliches, ja das grundlegende Bekenntnis ist, wenn nur das »mein« und das »Herr« tief erfaßt ist. Wenn darüber ein Zweifel waltet, so sind die Pastoren und diejenigen Laien, die in diesen Dingen zu sprechen haben, unter der höchsten Verantwortlichkeit verpflichtet, einen solchen zu zerstreuen. Auf diesen Punkt muß die praktische Arbeit in dieser großen Sache immer wieder zurückgeführt werden. Das kirchliche Bekenntnis kann freilich nicht je nach dem Verlangen der verschiednen Stufen christlicher Erkenntnis geändert werden. Darauf kommt es auch nicht an, sondern darauf kommt es an, daß kein Zweifel gelassen wird, daß die Kirche von ihren einzelnen Mitgliedern nicht die Zustimmung zu einem dogmatischen Satze, sondern das Bekenntnis zu Christus als dem Herrn verlangt." „In diesem Doppelten, so schloß Harnack, daß die Kirche unbefangen der wissenschaftlichen Arbeit an der Welterkenntnis gegenüberstehe, und daß sie christologische Bekenntnisse entgegennehme und freudig als die ihren anerkenne, die in dem »Christus der Herr« wurzeln, hat unsre Kirche allerdings noch eine Aufgabe, denn sie hat das nicht hinreichend klar und deutlich gethan."") Als einen Versuch, die evangelische Kirche Deutschlands mit den schärfste» Mitteln der wissenschaftlichen Polemik zur Erfüllung der beiden hier von Harnack aufgestellten Forderungen zu zwingen, möchte ich eine „Der Christus des Glaubens" betitelte Schrift bezeichnen, worin der als verdienstvoller Ge¬ lehrter lind überzeugungstreuer Vertreter der liberalen Theologie weit über die Grenzen seines Wirkungskreises bekannt gewordne Liegnitzer Oberpfarrer Heinrich Ziegler „den alten Glauben des Evangeliums in der Sprache der Gegenwart" darzustellen unternimmt."") Die mit großem Scharfsinn geführte und zum Teil mit ergreifender Wärme vorgetragne Untersuchung beschäftigt sich im Vorworte (S. 1 bis 48) mit der Natur, dem Ursprung, der Gewißheit und den Aussagen des christlichen Glaubens und behandelt hierauf im ersten Hauptteile (S. 49 bis 94) „die Aussagen unsers Glaubens über Jesus Christus," im zweiten (S. 94 bis 121) „die Aussagen unsers Glaubens über das Wesen Gottes und der unsichtbaren Welt." Schon aus dieser Einteilung ergiebt sich, daß Ziegler unter Glauben aus¬ schließlich die ticlös aus erscliwr der ältern Theologie versteht, daß ihm, wie er auch ausdrücklich sagt, der Glaube „vollständig gleichbedeutend ist mit der Frömmigkeit, mit der persönlichen Religiosität" <S. 2). Als Sitz der Religiosität betrachtet Ziegler mit Schleiermacher das Gefühl, als unablässig wirkenden Antrieb zu ") ni. a. O. Seite 186. *' ) H- Ziegler, Der Christus des Glaubens. Der alte Glaube des Evangeliums in der Sprache der Gegenwart. Liegnitz, H. Krumbhaar, 1900.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/506>, abgerufen am 22.07.2024.